Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 30.11.2023 zum Aktenzeichen 6 Sa 160/23 entschieden, dass die Wiederholung einer Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht kommt nur dann in Betracht, wenn das Berufungsgericht zur Überzeugung gelangt, dass ein Fehler bei der Durchführung der Beweisaufnahme oder bei der Beweiswürdigung selbst erkennbar ist.
Ausdrücklich aus § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt sich für das Berufungsgericht grundsätzlich die Pflicht, die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Im Fall des Zeugenbeweises setzt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest in aller Regel eine erneute Vernehmung voraus. Insbesondere muss das Berufungsgericht einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 ZPO vernehmen, wenn es dessen Aussage „anders würdigen“ bzw. „anders verstehen oder werten“ will als die Vorinstanz. Eine erneute Vernehmung kann „allenfalls dann“ unterbleiben, wenn das Berufungsgericht seine abweichende Würdigung auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Auch im Hinblick auf objektive Umstände, die bei der Beweiswürdigung eine Rolle spielen können und von der ersten Instanz nicht beachtet worden sind, darf das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung des Zeugen und abweichend von der Vorinstanz zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zeuge in einem prozessentscheidenden Punkt mangels Urteilsfähigkeit, Erinnerungsvermögens oder Wahrheitsliebe objektiv die Unwahrheit gesagt hat (vergl. hierzu insgesamt BVerfG v. 14.09.2010 – 2 BvR 2638/09 –). All diese hier aufgezählten Obersätze haben allerdings eine Voraussetzung gemeinsam: Das Rechtsmittelgericht muss zu der Auffassung gelangen, dass ein Fehler bei der Durchführung der Beweisaufnahme oder bei der Beweiswürdigung selbst erkennbar ist. Das ist hier aber nicht der Fall.
Es gibt keine Tatsachen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen durch das Arbeitsgericht nähren könnten; es gibt keinen Anlass die Aussagen der Zeugen „anders zu würdigen“ bzw. „anders zu verstehen oder zu werten“ als dies die Vorinstanz getan hat.
Die vom Kläger gerügten Widersprüchlichkeiten hat das Arbeitsgericht gewürdigt mit dem zutreffenden Verständnis, dass eine authentische Zeugenaussage ohne Widersprüche selten ist und dass solche Widersprüche damit sogar eher Realkennzeichen dafür sind, dass das Berichtete erlebnisbasiert ist. Hinzukommt, dass die Darlegungen des Klägers selbst von Widersprüchen geprägt sind angesichts seiner Behauptung, erst am 30.03.2022 von der Kündigung erfahren zu haben: So bescheinigt die vom Kläger vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 08.04.2022 (Bl. 147) eine Arbeitsunfähigkeit für die Zeit (erst) ab dem 21.03.2022. Zusätzlich ist im Vortrag des Klägers von einer Quarantäne vom 01.03.2022 bis 09.03.2022 die Rede (Bl. 154). Eine solche Quarantäne lässt vermuten, dass vorher eine Corona-Infektion vorgelegen hatte. Die Zeugin Z, die Freundin des Klägers, hat bekundet, der Kläger sei Anfang April an Corona erkrankt gewesen und Anfang März noch nicht. Das passt nicht zusammen. Außerdem ist der Vortrag des Klägers von Unvollständigkeiten geprägt: Die Kündigung, die der Kläger nicht bekommen haben will, war zum 12.03.2022 ausgesprochen worden. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht, was zwischen Sonntag, dem 13.03.2022, und Montag, dem 21.03.2022, also bis zum Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit, passiert ist. Ob der Kläger in dieser Zeit auf der Arbeit erschienen ist, ob er gearbeitet hat, ob er weiterhin arbeitsunfähig war, ob er sich überhaupt gezeigt hat und ob ihm bei seinem Erscheinen nicht jemand gesagt hat, sein Arbeitsverhältnis sei doch beendet, lässt sich aus seinem Parteivortrag nicht schließen. Die Rüge des Klägers, die Bekundungen der Zeugen wichen in den angegebenen Uhrzeiten voneinander ab, erscheint vor diesem Hintergrund nur wenig überzeugend. Insgesamt sah die Berufungskammer keine Veranlassung in der Beweisaufnahme oder ihrer Würdigung einen Fehler zu erkennen. Die Beweisaufnahme war daher nicht zu wiederholen.