Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 14. November 2023 zum Aktenzeichen VI ZR 98/23 entschieden, dass das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger ein „Ziehen“ im Sinne von § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG ist.
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall auf hälftigen Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch.
Als ein bei der Klägerin haftpflichtversichertes Fahrzeug mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Anhänger im Jahr 2021 rückwärts rangierte, beschädigte dieser ein anderes Fahrzeug.
Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger ein „Ziehen“ im Sinne von § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG. Diese Begriffsverwendung entspricht der Legaldefinition in § 19 Abs. 1 Satz 1 StVG („[…] eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug (Zugfahrzeug) gezogen zu werden […]“). Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 StVG erfasst unabhängig von der Fahrtrichtung jede Bewegung des Anhängers (d.h. auch das Rückwärtsschieben) durch das Zugfahrzeug. Ob der Anhänger beim konkreten Haft-pflichtgeschehen gezogen oder geschoben (z.B. während eines Rangiervorganges) wird, ist nicht relevant. Entscheidend ist allein seine abstrakte Bestimmung, prinzipiell an ein Kraftfahrzeug angehängt zu werden. Vormals hieß es in § 7 Abs. 1 StVG a.F. bezüglich der Anhängerhaftung auch „oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden“. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 19/17964 S. 9, 13) zur Neuregelung der Anhängerhaftung – nun nicht mehr in § 7 StVG, sondern in § 19 StVG – hatte die Ersetzung der Wörter „mitgeführt zu werden“ durch „gezogen zu werden“ nur sprachliche Gründe. Eine inhaltliche Änderung sollte damit ausdrücklich nicht verbunden sein. Für ein ab-weichendes Begriffsverständnis des „Ziehen“ in § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr stellt die Gesetzesbegründung darauf ab, dass der Anhänger dem Zugfahrzeug zu- und untergeordnet ist, am Zugfahrzeug hängt und daher von diesem abhängt.
Anders als die Revision meint, steht der Annahme eines Regelfalls nach § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG im Streitfall nicht entgegen, dass sich im Rückwärtsrangieren etwa eine höhere Gefahr durch den Anhänger verwirklicht hätte. Zwar trifft es zu, dass das Gespann länger und unübersichtlicher ist als (nur) das Zugfahr-zeug. Allerdings soll der in § 19 Abs. 4 Satz 2 StVG bestimmte Regelfall nach der gesetzlichen Regelung nur ausnahmsweise durchbrochen werden. Die Gesetzesbegründung führt als Beispiele an, dass „der Anhänger im Einzelfall aufgrund seiner außergewöhnlichen Beschaffenheit (Überlänge, Überbreite, Schwertranporter etc.) eine besondere Gefahr darstellt“ oder der verbundene Anhänger einen technischen Defekt aufweist. Daher kann auch dahingestellt bleiben, ob – wie die Revision beiläufig ausführt – es sich beim Zugfahrzeug um einen LKW und beim Anhänger um einen Auflieger handelte. Im Übrigen wäre nicht festgestellt, dass sich hier durch den Anhänger eine höhere Gefahr als durch das Zugfahrzeug allein auch tatsächlich verwirklicht hätte (§ 19 Abs. 4 Satz 3 StVG).