Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 10.10.2023 zum Aktenzeichen 4 Sa 22/23 entschieden, dass ohne das Hinzutreten besonderer Umstände nach Ausspruch einer fristlosen Arbeitgeberkündigung regelmäßig nicht anzunehmen ist, der Arbeitnehmer hätte es böswillig unterlassen, eine zumutbare Tätigkeit anzunehmen, wenn er binnen drei Monaten eine neue Stelle findet und antritt.
Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, um Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers sowie – im Rahmen einer Widerklage – um Schadensersatzansprüche der Beklagten und die Verpflichtung des Klägers, die Richtigkeit und Vollständigkeit einer erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 03.05.2022 fristlos.
Der Kläger meldete sich daraufhin erneut am 09.05.2022 arbeitssuchend. Vom 20.06.2022 bis zum 24.06.2022 nahm der Kläger an einer Maßnahme der Agentur für Arbeit teil. Ab dem 01.08.2022 stand der Kläger in einem neuen Arbeitsverhältnis.
Der Kläger hat mit am 16.05.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Kündigungsschutzklage erhoben. Mit am 21.10.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 20.10.2022 hat der Kläger seine Klage um Annahmeverzugslohnansprüche für Mai bis Juli 2022 abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen erweitert. Die Beklagte hat mit am 16.11.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag im Wege der Stufenklage Auskunft über die Bewerbungen, Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und das Ergebnis der einzelnen Bewerbungsverfahren für den Zeitraum Mai 2022 bis Juli 2022 und die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft begehrt. Mit Schriftsatz vom 29.11.2022 hat der Kläger Auskunft erteilt.
Die Beklagte ist dem Kläger dem Grunde nach zur Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis einschließlich Juli 2022 aufgrund Ausspruchs der unwirksamen fristlosen Kündigung vom 03.05.2022 verpflichtet. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 BGB keines Angebots des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Diese Mitwirkungshandlung liegt darin, dem Arbeitnehmer für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach einer unwirksamen Kündigung muss deshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten will, die Arbeit wieder zuweisen. Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu muss er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber – wie hier – dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (BAG 19.01.1999 – 9 AZR 679/97 – zu I 1 der Gründe, BAGE 90, 329; ErfK/Preis 23. Aufl. § 615 Rn. 27 ff.).
Über die Höhe des Annahmeverzugslohns besteht zwischen den Parteien nur dahingehend Streit, ob sich der Kläger böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen muss. Dies muss er nicht. Der Kläger hat es im fraglichen Zeitraum nicht böswillig unterlassen, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.
Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, sie kann etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen (st. Rspr., zuletzt BAG 29.03.2023 – 5 AZR 255/22 – Rn. 27; 12.10.2022 – 5 AZR 30/22 – Rn. 14 mwN).
Danach liegt kein böswilliges Unterlassen vor.
Bereits der Umstand, dass der Kläger aufgrund seines Bewerbungsverhaltens keine drei Monate nach Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 03.05.2022 bereits zum 01.08.2022 eine neue Anstellung gefunden hat, spricht nach Überzeugung der Kammer für hinreichende Bemühungen des Klägers. Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände ist nach Ausspruch einer fristlosen Arbeitgeberkündigung regelmäßig nicht anzunehmen, der Arbeitnehmer hätte es böswillig unterlassen, eine zumutbare Tätigkeit anzunehmen, wenn er binnen drei Monaten eine neue Stelle findet und antritt. Der nach Kündigungsausspruch einzuleitende Bewerbungsprozess durchläuft regelmäßig mehrere Stagen (zumeist beginnend mit der Sichtung von Stellenangeboten, sodann dem Verfassen und Versenden von Bewerbungen, schließlich der Durchführung eines Vorstellungsgesprächs, u.U. auch der Teilnahme an einem Assessment-Center) und dauert für gewöhnlich mehrere Wochen. Zumindest wenn das Berufsbild des Arbeitnehmers nicht einem besonders schnelllebigen Bereich des Arbeitsmarkts zugeordnet werden kann, kann zunächst ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer hinreichende Bemühungen um eine neue Anstellung an den Tag gelegt hat, wenn er binnen drei Monaten eine solche erlangt.
Das Arbeitsgericht hat ein böswilliges Unterlassen darüber hinaus zutreffend mit der Erwägung verneint, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum zumindest 15 Bewerbungen geschrieben hat und Auflagen der Bundesagentur gefolgt ist. Die zur Akte gereichten Bewerbungen lassen nicht den Schluss zu, die Bewerbungen seien nur zum Schein abgegeben worden. Die Beklagte hat insoweit auch nichts moniert.
Die Auskunft des Klägers zu seinen Bemühungen bei der Suche eines neuen Arbeitsplatzes konnte die Kammer ihrer Beurteilung ohne weiteres zugrunde legen, berechtigte Bedenken an ihrer Richtigkeit hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Der Kläger war nicht verpflichtet, seine Angaben über die Bewerbungen, Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und das Ergebnis der einzelnen Bewerbungsverfahren für den Zeitraum von Mai 2022 bis Juli 2022 an Eides statt zu versichern. Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der nach § 260 Abs. 2 BGB analog (vgl. dazu BAG 29.07.1993 – 2 AZR 110/93 – zu II 3 a der Gründe, BAGE 74, 28) erforderliche Grund zu der Annahme, dass die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist, nicht besteht. Derartige Gründe hat die Beklagte nicht dargetan. Der Umstand, dass sich der Kläger im erstinstanzlichen Kammertermin geweigert haben soll, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, begründet die Besorgnis der Unrichtigkeit und Unvollständigkeit nicht. Diese Begründung ist erkennbar zirkelschlüssig: Die eidesstattliche Versicherung ist erst abzugeben, wenn hinreichende Gründe dargetan sind; sie ist Rechtsfolge, nicht (negative) Voraussetzung des Anspruchs.