Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 10.10.2023 zum Aktenzeichen XI ZB 1/23 entschieden, dass zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO die Vorlage eines Screenshots vom beA genügt.
Am 24. November 2022 um 22:18 Uhr hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwei Schriftsätze nebst einem Screenshot per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt. Mit dem ersten dieser Schriftsätze hat sie mitgeteilt, dass aufgrund von Störungen derzeit überhaupt keine Verbindung zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (nachfolgend: beA) aufgebaut werden könne. Auf der Seite der Bundesrechtsanwaltskammer sei angegeben, dass seit ca. 14:06 Uhr die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stehe und mit Hochdruck an der Störungsbeseitigung gearbeitet werde. Da aufgrund der Größe des Schriftsatzes ein weiteres Zuwarten nicht mehr angezeigt sei, werde der beigefügte Fristverlängerungsantrag per Fax eingereicht. Mit dem zweiten Schriftsatz ist beantragt worden, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einvernehmen der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals um einen Monat zu verlängern. Beide Schriftsätze hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zudem unaufgefordert am 25. November 2022 per beA an das Berufungsgericht übermittelt.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 30. November 2022 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass der Berufungssenat beabsichtigte, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der bis zum 24. November 2022 verlängerten Frist begründet worden sei und die an diesem Tag per Telefax eingereichten Schriftsätze nicht den Anforderungen des § 130d ZPO genügten, weil die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen nicht gemäß § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft gemacht worden sei.
Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 eine Berufungsbegründung vorgelegt und mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag die Richtigkeit des am 24. November 2022 geschilderten Sachverhalts unter Bezugnahme auf ihre Berufspflichten anwaltlich versichert sowie vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil der Kläger die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt habe. Zwar enthalte der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 24. November 2022 eine ausreichende Mitteilung, dass die Einreichung des Antrags auf erneute Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung in der Form des § 130d Satz 1 ZPO aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich sei. Für die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO fehle allerdings die nach § 130d Satz 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung. Hierfür sei wenigstens eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung erforderlich. Eine solche Versicherung enthalte der Schriftsatz vom 24. November 2022 nicht und die in dem Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 enthaltene anwaltliche Versicherung sei nicht mehr unverzüglich im Sinne von § 130d Satz 3 ZPO erfolgt.
Der Kläger hat am 8. Dezember 2022 und damit innerhalb der Monatsfrist aus § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nachgeholt, indem er die Berufungsbegründung eingereicht hat (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Der Kläger war ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Er durfte darauf vertrauen, dass sein am 24. November 2022 per Telefax übermittelter Antrag, die bis zu diesem Tag verlängerte Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Einverständnis mit der Beklagten erneut zu verlängern, nicht abgelehnt werde.
Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier.
Gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung auf Antrag wiederholt verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt, unabhängig davon, ob der Rechtsmittelführer erhebliche Gründe für den Antrag geltend macht. Das Vertrauen in die Gewährung einer wiederholten Fristverlängerung ist im Regelfall erst erschüttert, wenn aus Sicht eines Rechtsmittelführers Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens trotz der Einwilligung zu einer Ablehnung der begehrten Fristverlängerung führen kann. Solche Anhaltspunkte lagen hier nicht vor.
Bei Einwilligung des Gegners ist auch das Vertrauen in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Im Übrigen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zusätzlich einen konkreten Grund für den Antrag – starke Arbeitsüberlastung – angegeben.
Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden.
Eine elektronische – und damit formgerechte – Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist hier zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2, 3 ZPO erfüllt.
Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die am 24. November 2022 bestehende Störung des beA, die dazu führte, dass mehrere Stunden lang keine Verbindung zum beA aufgebaut werden konnte, eine vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO begründete und dass der Schriftsatz vom 24. November 2022 eine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen enthält.
Allerdings überspannt das Berufungsgericht die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet, ohne den vorgelegten Screenshot zu berücksichtigen.
Die Vorlage dieses Screenshots, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war im vorliegenden Fall geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen. Denn sein Inhalt stimmt überein mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den Zeitraum Juli – Dezember 2022, nach denen vom 24. November 2022, 14:06 Uhr, bis zum 25. November 2022, 3:33 Uhr eine Störung des beA-Systems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers geschilderte Störung angesichts der auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer verfügbaren Informationen als offenkundig (§ 291 ZPO) hätte behandeln können.