Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 30.6.2023 zum Aktenzeichen V B 13/22 entschieden, dass es einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 547 Nr. 1 ZPO und einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter darstellt, wenn in der Videoverhandlung nicht alle Richter zu sehen sind.
Zur Eröffnung der Verhandlung sei die gesamte Richterbank zu sehen gewesen, während es in der Folgezeit „zur Ausrichtung der Kamera auf den jeweils Sprechenden“ gekommen sei. Nach dem Vortrag des Sachverhalts durch die Berichterstatterin sei allein der Vors. Richter des Senats für etwa 2/3 der Dauer der 90-minütigen Verhandlung im Bild gewesen (= ca. 60 Min.). Die Richterbank mit den übrigen Richtern und der aktuell sprechende Richter waren nie gleichzeitig zu sehen gewesen. Es gab einen „regieführenden“ Beisitzer. Die „Ausrichtung der Kamera auf den Sprechenden“ habe laut Gericht der „Herstellung der Gesprächssituation“ mit diesem Richter gedient. Es sei nur eine Kamera verwendet worden, deren Einstellung während der Verhandlung verändert wurde, damit die „zugeschalteten“ Beteiligten nicht nur schemenhaft die Gesamtheit der Senatsmitglieder erkennen, sondern auch wahrnehmen konnten, welcher Richter sich gerade äußerte und wie dessen Gestik und Mimik sei.
Der BFH sieht einen Verstoß gegen die Regelungen zum gesetzlichen Richter für gegeben: Bei einer sogenannten Videokonferenz muss für die Beteiligten während der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung – ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal – feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der „Videokonferenz“ für die lediglich „zugeschalteten“ Beteiligten sichtbar sind. Daran fehlt es auf jeden Fall dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist.
Der Bundesfinanzhof lehnt anders als das Bundessozialgericht (Beschluss vom 04.11.2021 – B 9 SB 76/20) Anwendung von § 295 ZPO auf Übertragungsdefizite ab.