Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. August 2023 zum Aktenzeichen 1 BvR 1088/23 die Verfassungsbeschwerde von Pflegeeltern, die sich gegen den Wechsel ihres langjährigen Pflegekindes in eine andere Pflegefamilie wenden, nicht zur Entscheidung angenommen.
Aus der Pressemitteilung Nr. 79/2023 vom 7. September 2023 ergibt sich:
Die Beschwerdeführenden waren für mehr als vier Jahre die Pflegeeltern eines im September 2018 geborenen Kindes. Bei dem Kind zeigten sich Entwicklungsverzögerungen, die wohl auf einen Drogenkonsum seiner leiblichen Mutter während der Schwangerschaft zurückzuführen waren. Die Vormündin des Kindes und das Jugendamt befürchteten eine Überforderung der beschwerdeführenden Pflegeeltern und brachten das Kind bei anderen Pflegeeltern unter, die aufgrund ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit mit den Störungsbildern des Kindes gut vertraut sind. Die Beschwerdeführenden wehrten sich hiergegen letztlich erfolglos vor den Familiengerichten. Diese sahen bei einem Verbleib bei den bisherigen Pflegeeltern eine größere Gefahr für das Kindeswohl als bei einem Wechsel zu den neuen Pflegeeltern.
Verfassungsrechtlich ist das nicht zu beanstanden. Auf das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG können sich Pflegeeltern nicht stützen. Das zugunsten der bisherigen Pflegeeltern wirkende Grundrecht auf Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Bei einem Wechsel von einer Pflegefamilie in eine andere kommt es maßgeblich auf das Wohl des Kindes an. Ist zu erwarten, dass diesem mit einem Wechsel der Pflegefamilie trotz des Bindungsabbruchs zu den bisherigen Pflegeeltern eher gedient ist, setzen sich die Interessen des Kindes gegen die seiner vormaligen Pflegeeltern durch.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführenden waren die Pflegeeltern eines im September 2018 geborenen Kindes. Dessen leibliche Mutter hatte während der Schwangerschaft Drogen konsumiert. Das Kind benötigte deshalb nach seiner Geburt für mehr als vier Wochen eine Drogensubstitutionsbehandlung mit einem morphinhaltigen Mittel.
Nach der Inobhutnahme des Kindes durch das zuständige Jugendamt lebte es seit März 2019 bei den die Verfassungsbeschwerde führenden Pflegeeltern. Im Verlaufe der Zeit zeigten sich bei dem Kind in verschiedenen Bereichen wohl auf den Drogenkonsum der Mutter rückführbare Entwicklungsverzögerungen. In dem von ihm besuchten integrativen Kindergarten fiel es unter anderem durch häufige Konflikte mit anderen Kindern auf. Die Vormündin des Kindes und das Jugendamt befürchteten wegen der besonderen Bedürfnisse des Kindes eine Überforderung der bisherigen Pflegeeltern mit seiner Erziehung. Sie brachten das Kind deshalb ab Februar 2023 bei anderen Pflegeeltern unter, die aufgrund ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit mit den Störungsbildern des Kindes gut vertraut sind.
Die bisherigen Pflegeeltern wehren sich gegen diesen Wechsel und haben vor den zuständigen Familiengerichten erreichen wollen, dass das Kind wieder zu ihnen zurückkehrt. Damit sind sie erfolglos geblieben. Die Gefahr für das Wohl des Kindes sei bei einem Verbleib im Haushalt der bisherigen Pflegeeltern größer als die mit dem Wechsel zu den neuen Pflegeeltern verbundene Gefahr.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Möglichkeit einer Verletzung des Familiengrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG, legt die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch nicht insoweit dar, als das Oberlandesgericht angenommen hat, die anhand von § 1632 Abs. 4 BGB getroffene Entscheidung des Familiengerichts begegne keinen Bedenken. Für die hier vorliegende Konstellation kommt es entgegen der in der Verfassungsbeschwerde vertretenen Rechtsauffassung weder fach- noch verfassungsrechtlich darauf an, ob das Kind bei einem Verbleib in dem beziehungsweise bei einer Rückführung in den Haushalt der Beschwerdeführenden konkret gefährdet wäre.
- 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB knüpft nach seinem Wortlaut die Anordnung des Verbleibs bei (oder die Rückführung zu) einer Pflegeperson daran, ob durch die Wegnahme des Kindes von dieser das Kindeswohl gefährdet würde. Es wird für die Anforderungen an die erforderliche Prognose über eine aus der Wegnahme möglicherweise drohende Kindeswohlgefährdung danach differenziert, ob das betroffene Kind aus der bisherigen Pflegefamilie zu seinen leiblichen (oder rechtlichen) Eltern zurückkehren soll oder ob ein Wechsel der Pflegestelle angestrebt ist. Im letztgenannten Fall kann eine Verbleibens- oder Rückkehranordnung an sich bereits dann ergehen, wenn aufgrund des Wechsels die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung besteht. Kommt allerdings die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung sowohl durch den Wechsel als auch bei Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie in Betracht, hat nach fachrechtlichem Verständnis des § 1632 Abs. 4 BGB eine Abwägung zu erfolgen. Maßgebend komme es dann darauf an, ob die mögliche Gefährdung durch die Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie gegenüber einer prognostisch erheblicheren Gefährdung im Fall des Verbleibs zurücktrete.
Diese Auslegung von § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB ist für den hier zu beurteilenden Wechsel eines Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere gemessen am Familiengrundrecht nach Art. 6 Abs. 1 GG, auf das sich die beschwerdeführenden Pflegeeltern stützen können, nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass wegen der unterschiedlichen Grundrechtspositionen von Eltern, die Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind, und Pflegeeltern, die dies regelmäßig nicht sind, bei den Anforderungen an die in § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB maßgebliche Gefährdungsprognose differenziert werden muss. Für einen Wechsel des Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere müssen wichtige, das Wohl des Kindes betreffende Gründe vorliegen. Mit Art. 6 Abs. 1 GG ist angesichts dessen vereinbar, das Ergehen einer Verbleibens- oder Rückkehranordnung bei möglicher Kindeswohlgefährdung sowohl im Fall des Wechsels der Pflegefamilie als auch bei einem Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie von einer am Kindeswohl orientierten Abwägung abhängig zu machen. § 1632 Abs. 4 BGB dient nämlich weniger der Stärkung der vom Gesetzgeber als Achtung gebührend anerkannten Stellung von Pflegeeltern als vielmehr der Durchsetzung des Kindeswohls.
Die verfassungsrechtlich gebotene Ausrichtung am Kindeswohl erfordert, die gewachsenen Bindungen des Kindes an seine bisherigen Pflegeeltern einzubeziehen und gerade die aus der Trennung von diesen drohende Gefahr für das Kindeswohl zu bedenken. Grundsätzlich gebietet das Kindeswohl, bei gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen das Kind aus dieser Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind. Die im Fachrecht für den Fall beidseitiger möglicher Kindeswohlgefährdung herangezogene Abwägung zwischen den Gefährdungspotentialen entspricht regelmäßig dieser verfassungsrechtlich gebotenen Kindeswohlorientierung bei der Auflösung einer bestehenden Konfliktlage zwischen den Interessen von Eltern, Pflegeltern und Kind.