Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Juli 2023 zum Aktenzeichen 2 BvL 22/17 eine Vorlage des Finanzgerichts Köln für unzulässig erklärt. Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob der im Einkommensteuergesetz (EStG) vorgesehene Ansatz eines Rechnungszinsfußes von 6 % zur Ermittlung der Pensionsrückstellung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar ist.
Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 75/2023 vom 25. August 2023 ergibt sich:
Sachverhalt:
Durch die Bildung von Pensionsrückstellungen wird den Verpflichtungen eines Unternehmens aus der Erteilung von Pensionszusagen an Arbeitnehmer in der Steuerbilanz Rechnung getragen. Für die Höhe der in einem jeweiligen Veranlagungszeitraum abzugsfähigen Pensionsrückstellung ist der zugrunde gelegte Rechnungszinsfuß, der für den Effekt der Abzinsung maßgeblich ist, von wesentlicher Bedeutung. Je höher dieser ist, desto niedriger ist die steuerrechtlich zulässige Pensionsrückstellung. Nach § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG ist zur Ermittlung der Pensionsrückstellung unter anderem ein starrer Rechnungszinsfuß von 6 % anzuwenden. Die steuerrechtliche Vorschrift unterscheidet sich von den Vorgaben für die Handelsbilanz, deren Bewertungsvorschrift in § 253 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) keinen starren, sondern einen dynamischen, „atmenden“ Rechnungszinsfuß vorsieht. Dieser betrug im hier gegenständlichen Streitjahr (2015) 3,89 %.
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 hat das Finanzgericht Köln die zugrundeliegende Finanzstreitsache ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der im Streitjahr 2015 geltenden Fassung mit der Verfassung vereinbar ist. Es hält die Vorschrift insoweit für verfassungswidrig, als darin ein Rechnungszinsfuß von 6 % angeordnet wird. Dies sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Vorlagebeschluss sieht Art. 3 Abs. 1 GG unter zwei Gesichtspunkten verletzt. Zum einen führe § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG zu einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, da Pensionsrückstellungen ungleich behandelt würden gegenüber anderweitigem Aufwand, soweit dieser entsprechend der tatsächlichen wirtschaftlichen Verursachung voll abzugsfähig sei. Damit komme es zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf das im gesamten übrigen Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip. Unternehmen, die Pensionsrückstellungen bildeten, seien mit „alle[n] übrigen Unternehmen, die sich an das Realisationsprinzip halten müssen“, vergleichbar (1.). Zum anderen macht das Vorlagegericht eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem geltend. Steuerpflichtige würden unabhängig von der individuellen Rendite beziehungsweise den Verschuldungskonditionen gleichbehandelt, da „der Zinsvorteil der späteren Steuerzahlung einheitlich mit 6 % typisiert“ werde. Dies wäre hinnehmbar, wenn marktübliche Zinserträge typisiert würden, jedoch umso bedenklicher, je weiter sich die Typisierung von marktüblichen Zinssätzen entferne (2.).
Hinsichtlich des ersten Vergleichspaares ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinreichend dargetan. Es erschließt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres, warum Unternehmen, die Pensionsrückstellungen bilden, mit all jenen Unternehmen vergleichbar sein sollen, „die sich an das Realisationsprinzip halten müssen“.
In steuerlicher Hinsicht wird durch Rückstellungen der (später) gewinnmindernde Aufwand zeitlich vor dem tatsächlichen Zahlungsmittelabfluss geltend gemacht. In der Handelsbilanz vorgenommene Rückstellungen begründen keine zwingenden Vorgaben für die Steuerbilanz. Der Gesetzgeber hat mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz vom 25. Mai 2009 die Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz gelockert. In der Gesetzesbegründung hieß es, es sei zu überprüfen, ob der handelsrechtliche Jahresabschluss seine bisherige Funktion, aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes die steuerliche Leistungsfähigkeit des bilanzierenden Kaufmanns abzubilden, weiterhin erfüllen könne. Mit Beschluss vom 12. Mai 2009 hielt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Normen, die die Bildung von Rückstellungen zur Jubiläumszuwendung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht begrenzten, für mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfGE 123, 111).
Mit diesen steuerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Maßgaben setzt sich der Vorlagebeschluss nicht im Hinblick auf das oben genannte Vergleichspaar auseinander. Das Vorlagegericht verkennt die Maßgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ob eine Rückstellung steuerrechtlich beachtlich ist, ist eine Entscheidung über das Wann der Besteuerung. Indem der Gesetzgeber hierbei auf den Barwert abstellt und für seine Berechnung einen bestimmten Rechnungszinsfuß vorgibt, beschränkt er die zeitlich vorgelagerte Berücksichtigung des späteren gewinnmindernden Aufwands und bestimmt damit, wann welcher Teil dieses Aufwands geltend gemacht werden kann. Es erschließt sich vor dem Hintergrund dieser Entscheidung auch nicht die Annahme des Vorlagegerichts, dass es „zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf das im gesamten übrigen Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip“ komme. Das Bundesverfassungsgericht misst dem Grundsatz der Maßgeblichkeit allenfalls eingeschränkt verfassungsrechtliche Bedeutung bei und sieht gute Gründe zu bezweifeln, dass eine aktuelle bilanzielle Gewinnminderung mit der aktuellen finanziellen Leistungsfähigkeit einhergeht.
Nicht hinreichend begründet ist die Vorlage auch hinsichtlich des zweiten Vergleichspaares, für das das Vorlagegericht eine nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem erkennt.
Das Vorlagegericht legt einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinreichend dar.
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitssatzes davon aus, dass sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen im Sinne eines stufenlosen Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber ergeben, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Im Bereich des Steuerrechts besteht ein – gegenüber einer reinen Willkürprüfung – strengerer Prüfungsmaßstab hinsichtlich der belastungsgleichen Ausgestaltung der Steuer. Jedoch erkennt das Bundesverfassungsgericht hierbei einen Typisierungsspielraum des Gesetzgebers an, der seinerseits durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird.
Die Vorlage legt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht entsprechend den aufgezeigten Maßstäben dar. Das Gericht lässt insbesondere die gebotene Auseinandersetzung mit den Maßstäben zur Beurteilung des in § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG festgelegten Rechnungszinsfußes vermissen, die das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung vom 28. November 1984 (BVerfGE 68, 287) zugrunde gelegt hat. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied, dass die damalige Anhebung des Rechnungszinsfußes für Pensionsrückstellungen von 5,5 % auf 6 % mit dem Grundgesetz vereinbar war. Unter dem Gesichtspunkt der unechten Rückwirkung ergäben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken; wesentlich sei, dass sich der Zinsfuß in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen halte.
Den Vorwurf der Willkür gegen § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG erhebt das Vorlagegericht allein insoweit, als sich kein einleuchtender Grund (mehr) für den Rechnungszinsfuß von 6 % finde. Bereits den Bezugspunkt für eine realitätsgerechte Typisierung legt es jedoch nicht den Anforderungen entsprechend dar. Es erschließt sich aus der Vorlageentscheidung nicht, warum der Rechnungszinsfuß spätere Zinserträge oder den Zinsvorteil durch spätere Steuerzahlung typisieren müsste. Da § 6a EStG eine zeitlich gestreckte steuerliche Geltendmachung der Aufwendungen zur Erfüllung von Pensionszusagen bezweckt, justiert der kalkulatorische Rechnungszinssatz den Steuerstundungseffekt aus der vorwegnehmenden Berücksichtigung künftiger Vermögensminderungen. Hieraus ergibt sich noch nicht, dass dieser Steuerstundungseffekt die gleiche Höhe haben müsste wie der Zinsvorteil, der durch die Steuerstundung entsteht. Auch die weiteren Erwägungen der Entscheidung vom 28. November 1984 (BVerfGE 68, 287) können die Darlegung des maßgeblichen Bezugspunktes für eine realitätsgerechte Typisierung nicht ersetzen. Aus diesen erschließt sich nicht, dass eine Absenkung des Rechnungszinsfußes und damit die Ermöglichung neuer Steuerstundungseffekte geboten wäre.
Auch wenn man mit dem Vorlagegericht davon ausginge, dass der Rechnungszinsfuß eine reale Marktgröße abbilden müsste, wäre die Vorlage nicht ausreichend begründet. Im Ausgangspunkt nachvollziehbar beschränkt sich das Vorlagegericht nicht allein auf den marktüblichen Zins als Vergleichsmaßstab. Seine Ausführungen zur durchschnittlichen Unternehmensrendite sind jedoch nicht aus sich heraus verständlich. Das Vorlagegericht führt nichts dazu aus, ob alternative Methoden zur Ermittlung der durchschnittlichen Unternehmensrendite in Betracht kämen und warum die von ihm gewählte Methode zwingend oder jedenfalls sachgerechter Weise zugrunde zu legen wäre. Nicht begründet hat das Vorlagegericht ferner, warum es das Ergebnis nach (und nicht vor) Steuern zugrunde gelegt hat.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig war, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt worden ist (BVerfGE 158, 282). Die Entscheidung sagt für die hier verfahrensgegenständliche Frage nichts aus.