Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Juni 2023 zum Aktenzeichen 1 BvR 1011/23 entschieden, dass eine einstweilige Verfügung in einer äußerungsrechtlichen Angelegenheit wegen Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit verfassungswidrig ist.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich die Beschwerdeführerin gegen eine durch das Landgericht Hamburg erlassene einstweilige Verfügung, mit der der Beschwerdeführerin die Veröffentlichung eines Presseartikels untersagt wurde.
Die Beschwerdeführerin verlegt die deutschlandweit erscheinende Zeitschrift „(…)“, deren Internetseite www.(…).de sie ebenfalls verantwortet. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsteller) ist der ehemalige Chefredakteur des (…) Wochenmagazins „(…)“. Am 3. Februar 2023 veröffentlichte die Beschwerdeführerin in ihrem Bezahlportal „(…)“ den Gastbeitrag einer Journalistin, in dem diese unter dem Titel „(…)“, „(…)“ Mobbing-Vorwürfe gegen den Antragsteller erhob. Einen Tag später, am 4. Februar 2023, erschien der Artikel auch in der gedruckten Ausgabe des „(…)“, darin unter dem Titel „(…)“, „(…)“.
Fünf Wochen nach Erscheinen der online-Ausgabe des Artikels, durch außergerichtlichen anwaltlichen Schriftsatz von Freitag, dem 10. März 2023, forderte der Antragsteller die Beschwerdeführerin auf, bis spätestens Montag, den 13. März 2023, 12:00 Uhr, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Die Beschwerdeführerin erwiderte durch Schreiben vom 13. März 2023, sich hierzu am Folgetag zu äußern, da der Schriftsatz erst am 13. März 2023 den in der Sache vorbefassten Justiziar erreicht habe. Durch Schreiben vom 14. März 2023 wies sie die Abgabe der geforderten Unterlassungserklärung zurück.
Unterdessen hatte der Antragsteller am 13. März 2023 beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht, dessen Inhalt mit dem seiner außergerichtlichen Unterlassungsaufforderung weitgehend – mit Ausnahme einer als Ziffer 3. des Antrags umgestalteten Änderung – identisch war. In seiner Begründung stellte der Antragsteller die Wahrheit der erhobenen Vorwürfe in Abrede, verwies auf die der Beschwerdeführerin obliegende Darlegungs- und Beweislast und behielt sich vor, substantiiert zu erwidern und Glaubhaftmachungsmittel vorzubringen, sollte die Beschwerdeführerin näher vortragen und Glaubhaftmachungsmittel einreichen.
Diesen Antrag leitete das Landgericht der Beschwerdeführerin am Mittwoch, dem 15. März 2023, zur Stellungnahme binnen einer Frist von drei Arbeitstagen zu, die es auf entsprechenden Antrag bis Dienstag, 21. März 2023, verlängerte. Durch siebenseitigen Schriftsatz vom 21. März 2023 stellte die Beschwerdeführerin Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch in Abrede, wobei sie zum Verfügungsgrund darauf hinwies, dass eine Kenntnisnahme erst nach dem 3. Februar 2023 weder behauptet noch glaubhaft gemacht sei und dass die nach der Rechtsprechung der Kammer geltende Fünf-Wochen-Frist damit bereits am 10. März 2023, somit vor gerichtlicher Antragstellung am 13. März 2023, abgelaufen sei. Tatsächlich habe der Antragsteller auch bereits am 5. Februar 2023 einen offenen Brief zu den in dem Artikel erhobenen Vorwürfen kursieren lassen. Ein Verfügungsanspruch bestehe nicht, da es an einem Zueigenmachen fehle, ungeachtet dessen aber auch die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung erfüllt seien. Selbst bei unterstelltem Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund dürfe aber jedenfalls nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem von einer zügigen Verfahrensführung des Antragstellers, der noch längeren und weiteren gegenseitigen Schriftverkehr für erforderlich erachte, keine Rede sein könne.
Eine Woche nach Eingang dieses Schriftsatzes, am 28. März 2023, wies das Landgericht den Antragsteller unter anderem darauf hin, dass es bislang an Vortrag und Glaubhaftmachung zu einer Kenntnisnahme von der streitgegenständlichen Berichterstattung zu einem nicht dringlichkeitsschädlichen Zeitpunkt fehle und bei einem Abstellen auf den Veröffentlichungszeitpunkt der Online-Berichterstattung am 3. Februar 2023 die von der Kammer zugrunde gelegte fünfwöchige Frist bei Einreichung des Antrages am 13. März 2023 abgelaufen gewesen wäre. Zur Stellungnahme setzte das Landgericht dem Antragsteller eine Frist von drei Arbeitstagen, die es auf seinen Antrag bis zum 3. April 2023 verlängerte.
Durch 35-seitigen Schriftsatz vom 3. April 2023 erwiderte der Antragsteller sodann, indem er unter anderem in einer beigefügten 13-seitigen Erklärung eidesstattlich versicherte, zwar bereits am 3. Februar 2023 von zwei Freunden über die Veröffentlichung informiert worden zu sein, auf deren Rat, ihn nicht zu lesen, um ihn zu schonen, sie jedoch erst am nächsten Tag gemeinsam mit der gedruckten Ausgabe gelesen zu haben. Zudem legte er das Attest eines Psychiaters und Psychotherapeuten vor, wonach es ihm vom 6. Februar bis zum 7. März 2023 gesundheitlich bedingt nicht möglich gewesen sei, sich um seine rechtliche Verteidigung zu sorgen.
Diesen Schriftsatz leitete das Landgericht der Beschwerdeführerin am Mittwoch, dem 5. April 2023, zur Stellungnahme binnen einer Frist von vier Arbeitstagen zu, die es auf entsprechenden Antrag bis Freitag, den 14. April 2023, verlängerte. Durch 34-seitigen Schriftsatz von diesem Tage hielt die Beschwerdeführerin unter anderem an der fehlenden Dringlichkeit fest. Allein maßgeblich sei, dass der Antragsteller bereits am 3. Februar 2023 vom wesentlichen Inhalt der Berichterstattung Kenntnis erlangt habe. Wer sich in Kenntnis des absehbaren Inhalts bewusst einer Kenntnisnahme des konkreten Inhalts verschließe, müsse sich dies als dringlichkeitsschädlich zurechnen lassen. Bei der Fünf-Wochen-Frist handele es sich überdies auch nur um eine Faustregel und nicht um eine starre Frist. Das Gericht habe letztlich losgelöst von irgendwelchen abstrakten oder starren Zeitfenstern in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob die Sache von Antragstellerseite dringlich behandelt werde. Bis zum 7. März 2023 nicht in der Lage gewesen zu sein, weitere anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei darüber hinaus äußerst unglaubwürdig. Ausweislich einer beigefügten Email-Korrespondenz mit dem Schwager der Journalistin sei der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers von diesem vielmehr bereits Mitte Februar mandatiert worden. Auch einen Verfügungsanspruch stellte die Beschwerdeführerin weiterhin in Abrede, trug zu den einzelnen Beanstandungen ergänzend vor und fügte eidesstattliche Versicherungen weiterer Personen bei.
Am nachfolgenden Mittwoch, den 19. April 2023, verfügte das Landgericht durch Schreiben an die Parteivertreter einen Hinweis, dass auf Grundlage des weiteren Vortrags der Parteien weiterhin Bedenken hinsichtlich des Verfügungsgrundes bestünden. Der Antragsteller habe zwar an Eides Statt versichert, die streitgegenständliche Berichterstattung erst am 4. Februar 2023 in der Printausgabe gelesen zu haben, obwohl er bereits am 3. Februar 2023 von Freunden auf den Onlineartikel hingewiesen worden sei. Es bestünden aber Bedenken, ob dieser Angabe gefolgt werden könne. Aus der Darstellung der Abläufe der Mandatierung des Antragstellervertreters im Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 14. April 2023 ergebe sich, dass die Mandatierung schon vor dem 13. Februar 2023 erfolgt sei, was sich auch mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Email-Korrespondenz decken dürfe. Der Antragsteller erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme hierauf binnen dreier Arbeitstage.
Durch 19-seitigen Schriftsatz vom 24. April 2023 erwiderte der Antragsteller fristgemäß, indem er unter Beifügung einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung zur Mandatierung mitteilte, es habe sich zunächst ein befreundeter Journalist bei seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten nach der grundsätzlichen Bereitschaft einer Mandatsübernahme erkundigt und mit diesem ein weiteres Mal am 6. Februar 2023 telefoniert, an dem sein Prozessbevollmächtigter die Handakte habe anlegen lassen. Sodann habe dieser, noch vor einem direkten Kontakt mit dem Antragsteller, gegenüber dem Schwager der Journalistin lediglich geäußert, deren Mandat nicht übernehmen zu können, da er in der Sache vorbefasst sei. Was die Kenntnisnahme des Artikel-Inhalts betreffe, könne sich die Beschwerdeführerin auf ein bloßes Kennen-Müssen nicht berufen. Zum Verfügungsanspruch verwies der Antragsteller neuerlich auf die Glaubhaftmachungslast der Beschwerdeführerin und stellte eine zulässige Verdachtsberichterstattung weiterhin in Abrede.
Ohne zwischenzeitlich weitere verfahrensleitende Maßnahmen zu treffen, erließ das Landgericht neun Tage später, unter dem 3. Mai 2023, „ohne mündliche Verhandlung wegen Dringlichkeit gemäß § 937 Abs. 2 ZPO“ einen Beschluss, in dem es dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in weiten Teilen stattgab. Zur Begründung führte es in zeitlicher Hinsicht aus, es bestehe ein Verfügungsgrund, die Angelegenheit sei eilbedürftig im Sinne von § 935 ZPO. Die mit Pressesachen befassten Spruchkörper in Hamburg gingen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass dieses Erfordernis bei Angriffen gegen massenmedial verbreitete Äußerungen grundsätzlich dann erfüllt sei, wenn zwischen der Kenntnisnahme des jeweiligen Beitrags durch den Antragsteller und der Antragstellung nicht mehr als fünf Wochen lägen. Nach diesem Maßstab sei die erforderliche Eilbedürftigkeit im vorliegenden Fall gegeben. Es sei prozessual davon auszugehen, dass eine die Frist in Gang setzende Kenntnisnahme der streitgegenständlichen Berichterstattung erst am 4. März 2023 erfolgt sei. Dies habe der Antragsteller durch seine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht. Nach Vorlage der eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten seien nunmehr auch die vorgetragenen zeitlichen Abläufe plausibel gemacht. Dass der Antragsteller, was unstreitig sei, bereits am 3. Februar 2023 über das Erscheinen des ihn betreffenden Artikels von dritter Seite informiert worden sei, habe auf den dargelegten Fristbeginn keinen Einfluss. Für den Fristbeginn sei nicht ein etwaiges Kennen-Müssen einer Berichterstattung maßgeblich, sondern die Kenntnis von der tatsächlichen konkreten Rechtsverletzung. Nachdem der Antragsteller am 4. Februar 2023 von der streitgegenständlichen Berichterstattung Kenntnis genommen habe, habe er den Erlass einer einstweiligen Verfügung am 13. März 2023 beantragt. Zwar falle das Ende der fünfwöchigen Regelfrist auf Samstag, den 11. März 2023. Nach dem Rechtsgedanken des § 193 BGB verschiebe sich jedoch das Fristende, sofern dieses auf einen Samstag falle, auf den darauffolgenden Werktag, vorliegend also auf den 13. März 2023. Die an diesem Tag erfolgte Antragstellung sei mithin fristwahrend gewesen. Im tenorierten Umfang bestehe auch ein Verfügungsanspruch.
Nach elektronischer Erfassung der Richter-Unterschriften am 9. Mai 2023 fertigte das Landgericht seinen auf den 3. Mai 2023 datierenden Beschluss am 10. Mai 2023 aus, woraufhin er durch anwaltlichen Schriftsatz des Antragstellers vom 11. Mai 2023 unter Beifügung des Schriftsatzes vom 24. April 2023 der Beschwerdeführerin am 12. Mai 2023 von Anwalt zu Anwalt zugestellt wurde. Hiergegen legte diese durch Schriftsatz vom 16. Mai 2023 Widerspruch ein, woraufhin das Landgericht am 17. Mai 2023 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 23. Juni 2023 bestimmte.
Der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 3. Mai 2023 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist eine Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Das Gericht muss den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180 <188>) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 9, 89 <96 f.>; 57, 346 <359>).
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, wann über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann.
Für die Beurteilung, wann ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt und damit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, haben die Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen. Insbesondere dürfen sie dabei davon ausgehen, dass das Presserecht grundsätzlich von dem Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt ist, wenn es darum geht, gegen eine möglicherweise rechtswidrige Berichterstattung vorzugehen. Angesichts der durch das Internet, ständig aktualisierte Online-Angebote und die sozialen Medien noch beschleunigten Möglichkeit der Weiterverbreitung von Informationen kann es verfassungsrechtlich im Interesse effektiven Rechtsschutzes sogar geboten sein, Unterlassungs- ebenso wie Gegendarstellungsansprüchen (vgl. dazu BVerfGE 63, 131 <143>) in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Berichterstattung zur Geltung zu verhelfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 2022 – 1 BvR 812/22 -, Rn. 21; vom 4. Februar 2021 – 1 BvR 2743/19 -, Rn. 22; vom 6. Februar 2021 – 1 BvR 249/21 -, Rn. 21; vom 11. Januar 2021 – 1 BvR 2681/20 -, Rn. 30; vom 22. Dezember 2020 – 1 BvR 2740/20 -, Rn. 20; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 – 1 BvR 2421/17 -, Rn. 32 und – 1 BvR 1783/17 -, Rn. 19).
Die Annahme einer Dringlichkeit setzt freilich sowohl seitens des Antragstellers als auch seitens des Gerichts eine entsprechend zügige Verfahrensführung voraus. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist nach der Entscheidung des Gesetzgebers nur in dem Maße gerechtfertigt, wie die Dringlichkeit es gebietet. Wenn sich im Verlauf des Verfahrens zeigt, dass eine unverzügliche Entscheidung anders als zunächst vorgesehen nicht zeitnah ergehen muss oder kann, hat das Gericht Veranlassung, die Frage der Dringlichkeit erneut zu überdenken und gegebenenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und auf ihrer Grundlage zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 2022 – 1 BvR 812/22 -, Rn. 21; vom 4. Februar 2021 – 1 BvR 2743/19 -, Rn. 22; vom 6. Februar 2021 – 1 BvR 249/21 -, Rn. 21; vom 11. Januar 2021 – 1 BvR 2681/20 -, Rn. 30; vom 22. Dezember 2020 – 1 BvR 2740/20 -, Rn. 20; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 – 1 BvR 2421/17 -, Rn. 32 und – 1 BvR 1783/17 -, Rn. 20).
Über eine einstweilige Verfügung gegen Veröffentlichungen der Presse wird gleichwohl angesichts der Eilbedürftigkeit nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden müssen. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt demgegenüber aber nicht ohne weiteres dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag generell aus dem Verfahren herauszuhalten. Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag vielmehr grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei kann nach Art und Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert und auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Mai 2023 – 1 BvR 605/23 -, Rn. 26; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 2022 – 1 BvR 812/22 -, Rn. 22; vom 11. Januar 2022 – 1 BvR 123/21 -, Rn. 37; vom 4. Februar 2021 – 1 BvR 2743/19 -, Rn. 23; vom 6. Februar 2021 – 1 BvR 249/21 -, Rn. 22; vom 11. Januar 2021 – 1 BvR 2681/20 -, Rn. 31; vom 22. Dezember 2020 – 1 BvR 2740/20 -, Rn. 21; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 – 1 BvR 2421/17 -, Rn. 33 und – 1 BvR 1783/17 -, Rn. 21 ff.).
Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt. Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller. Dies gilt insbesondere, wenn es bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag gleichsam nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten oder dem Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO abzugeben. Erst recht ist dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, wenn der Antragsteller aufgrund eines gerichtlichen Hinweises seinen Antrag anpasst (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2022 – 1 BvR 123/21 -, Rn. 37; vom 11. Januar 2021 – 1 BvR 2681/20 -, Rn. 33, 36; vom 22. Dezember 2020 – 1 BvR 2740/20 -, Rn. 23, 26; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 – 1 BvR 2421/17 -, Rn. 36 und – 1 BvR 1783/17 -, Rn. 24).
Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
In zeitlicher Hinsicht ausgeführt hat das Landgericht allein, weshalb es einen Verfügungsgrund nach § 935 ZPO für gegeben erachtet hat. Weshalb es darüber hinaus einen dringenden Fall im Sinne von § 937 Abs. 2 ZPO angenommen und deshalb von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, obschon eine solche auch vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Regel ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Dezember 2016 – 2 BvR 617/16 -, Rn. 12), lässt sich seiner Entscheidung – abgesehen von der formelhaften Wendung „wegen Dringlichkeit“ – nicht entnehmen.
Dabei kann offenbleiben, ob eine solche Dringlichkeit – wie die Beschwerdeführerin bereits in Abrede stellt – jedenfalls bei Einleitung des Verfahrens bestand. Erstreckt sich ein einstweiliges Verfügungsverfahren über mehr als acht Wochen zwischen Antragstellung und Entscheidungsausfertigung, steht eine solche Verfahrensweise jedenfalls in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten regelmäßig in Widerspruch zu der für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung in Anspruch genommenen gesteigerten Dringlichkeit. Gründe, die im vorliegenden Fall eine abweichende Einschätzung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Indem das Landgericht seit dem 28. März 2023 Zweifel bereits am Vorliegen eines Verfügungsgrundes im Sinne von § 935 ZPO äußerte, insoweit gleich zwei Mal – im Abstand von zudem drei Wochen – die Notwendigkeit sah, Hinweise zu erteilen, es drei Fristverlängerungsanträgen stattgab, insgesamt fünf Schriftsätze abwartete und sowohl innerhalb seines Verfahrens mehrfach eine Woche ohne verfahrensleitende Maßnahmen verstreichen ließ, wie auch nach seiner Entscheidung noch eine ganze Woche bis zu deren Ausfertigung verging, zeigt seine Verfahrensführung vielmehr, dass eine unverzügliche Entscheidung anders als zunächst vorgesehen nicht zeitnah ergehen musste oder konnte. Dann aber war das Landgericht unbeschadet des ihm in § 937 Abs. 2 ZPO eröffneten Wertungsrahmens nach den genannten Maßstäben der prozessualen Waffengleichheit gehalten, die Frage der Dringlichkeit im Laufe seines Verfahrens erneut zu überdenken und die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung in Erwägung zu ziehen, wie die Beschwerdeführerin dies bereits in ihrem Schriftsatz vom 21. März 2023 angemahnt hatte, der die Pressekammer zu ihren Hinweisen veranlasst hatte.
Ungeachtet dessen wurde die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit aber auch insoweit verletzt, als das Landgericht seine wiederholt geäußerten Bedenken am Bestehen eines Verfügungsgrundes durch den im Schriftsatz des Antragstellers vom 24. April 2023 glaubhaft gemachten ergänzenden Vortrag zu den Umständen der Mandatierung seines Prozessbevollmächtigten schließlich als ausgeräumt betrachtete, ohne diesen Schriftsatz der Beschwerdeführerin vor seiner Entscheidung noch zur Kenntnis zu bringen. Weshalb es hiervon abgesehen hat, während es zuvor stets kurze Stellungnahmefristen gesetzt hatte, und obschon vom Eingang dieses Schriftsatzes am 24. April 2023 bis zur Entscheidung vom 3. Mai 2023 weitere fünf Arbeitstage vergingen, erschließt sich ebensowenig.
Soweit die Reduzierung der Eilbedürftigkeit nach § 935 ZPO auf die Wahrung einer durch das Landgericht weder begründeten noch konkret hinterfragten fünfwöchigen „Regelfrist“ verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegen dürfte, bedarf dies im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Auch auf eine Prüfung der Verletzung weiterer Grundrechte kommt es angesichts des festgestellten Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit nicht an.
Die Außervollzugsetzung der verfahrenswidrig zustande gekommenen Entscheidung gibt dem Landgericht Hamburg Gelegenheit, bei einer neuerlichen Entscheidung beide Seiten einzubeziehen und deren Vortrag zu berücksichtigen.