Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat mit Urteilen vom 5. Juli 2022 – 2 K 134/19 und 2 K 137/19 -, vom 19. Juli 2022 – 2 K 117/19 und 2 K 133/19 – und vom 27. Juni 2023 – Az: 2 K 138/19 – mehrere Normenkontrollanträge gegen die Landesverordnung zur Unterschutzstellung der Natura 2000-Gebiete im Land Sachsen-Anhalt (N2000-LVO LSA) zurückgewiesen.
Aus der Pressemitteilung des OVG SA Nr. 11/2023 vom 24.07.2023 ergibt sich:
Mit der gemäß § 23 Abs. 2 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA) vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt erlassenen N2000-LVO LSA vom 20. Dezember 2018 wurden 26 Europäische Vogelschutzgebiete im Sinne der Vogelschutz-Richtlinie (VS-RL) und 216 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) zur Umsetzung des europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000 unter Schutz gestellt. Ziel von Natura 2000 ist, innerhalb der europäischen Union einen günstigen Erhaltungszustand von Lebensräumen sowie Tier- und Pflanzenarten zu bewahren oder wiederherzustellen. Hierzu haben die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Die N2000-LVO LSA enthält in Kapitel 1 (§§ 1 – 5 N2000-LVO LSA) die Bestimmung des Schutzgegenstandes, des Schutzzwecks sowie der Lage und Grenzen der Schutzgebiete. Kapitel 2 (§§ 6 – 13 N2000-LVO LSA) enthält Schutzbestimmungen (Ge- und Verbote) und Freistellungen. Dabei regelt § 6 N2000-LVO LSA Allgemeine Schutzbestimmungen, die sich an jedermann richten. §§ 7 – 12 N2000-LVO LSA regeln weitere Schutzbestimmungen für bestimmte Adressatengruppen, wie z.B. die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, die Angel- und Berufsfischerei sowie die Aquakultur (Fischzucht). Ergänzend enthält Anlage 3 zur N2000-LVO LSA gebietsbezogene Schutzbestimmungen.
Die Antragsteller – ein Landwirt, mehrere Forstwirte, ein Fischzüchter, ein Anglerverein, der Landesanglerverband Sachsen-Anhalt sowie ein Privater – haben geltend gemacht, dass sie durch die Verordnung, insbesondere die hierin enthaltenen Ge- und Verbote, unverhältnismäßig in der Nutzung ihres Eigentums bzw. ihres Fischereiausübungsrechts eingeschränkt würden.
Der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat demgegenüber die Unterschutzstellung der Gebiete durch eine einzige Landesverordnung als zulässig angesehen. Rechtsgrundlage hierfür sei neben § 23 Abs. 2 NatSchG LSA ergänzend § 32 Abs. 4 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Die Voraussetzungen einer Unterschutzstellung lägen vor. Der 2. Senat hat angenommen, dass es sich bei den 216 FFH-Gebieten, deren rechtlicher Sicherung die N2000-LVO LSA diene, um solche handele, die von der EU-Kommission in die sog. Gemeinschaftsliste aufgenommen worden seien. Ebenso hat der 2. Senat angenommen, dass es sich bei den geschützten 26 Vogelschutzgebieten um der EU-Kommission benannte Gebiete handele. Es seien weder Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gebietsauswahl noch an der Rechtmäßigkeit der Gebietsabgrenzung ersichtlich. Der Antragsgegner habe umfassend dargelegt, nach welchen rechtlichen und fachlichen Kriterien und in welchen Schritten die Auswahl und Abgrenzung der Vogelschutz- und FFH-Gebiete zunächst in Sachsen-Anhalt und nachfolgend auf Bundes- und EU-Ebene durchgeführt worden sei. Anhaltspunkte dafür, dass hierbei die unionsrechtlichen Maßstäbe verfehlt worden seien, bestünden nicht.
Der 2. Senat hat die angegriffenen Regelungen der N2000-LVO LSA auch als verhältnismäßig angesehen. Regelungen des Naturschutzes, die die Nutzung von Grundstücken aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes beschränkten, seien keine Enteignungen, sondern Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums. Dem liege die Vorstellung zugrunde, dass jedes Grundstück durch seine Lage und Beschaffenheit sowie die Einbettung in seine Umwelt geprägt werde. Diese Situationsgebundenheit könne den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Beschränkung der Eigentümerbefugnisse berechtigen. Wenn die natürlichen oder landschaftsräumlichen Gegebenheiten eines Grundstücks im Interesse der Allgemeinheit erhaltenswert seien und des Schutzes bedürften, so ergebe sich hieraus eine Art immanenter, d.h. dem Grundstück selbst anhaftender Beschränkung der Eigentümerbefugnisse, die durch natur- und landschaftsschutzrechtliche Regelungen lediglich nachgezeichnet würden. Als unzumutbare Beschränkungen der Eigentümerbefugnisse erwiesen sie sich erst dann, wenn nicht genügend Raum für einen privatnützigen Gebrauch des Eigentums oder eine Verfügung über den Eigentumsgegenstand verbleibe oder wenn eine Nutzung, die bisher ausgeübt worden sei oder sich nach der Lage der Dinge objektiv anbiete, ohne jeglichen Ausgleich unterbunden werde. Gemessen daran handele es sich bei den angefochtenen Schutzbestimmungen um Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die von den Eigentümern hinzunehmen seien. Die Grenzen der Sozialbindung seien nicht überschritten.
Für die Landwirtschaft seien die Beschränkungen der Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln hinzunehmen. Eine weitere landwirtschaftliche Nutzung der Flächen werde nicht generell unterbunden und solle auch nicht unterbunden werden. Vielmehr lasse die N2000-LVO LSA die landwirtschaftliche Nutzung in den besonderen Schutzgebieten weiter zu. Soweit die Eigentumsbeschränkungen zu einer unzumutbaren Belastung führten, stehe den Betroffenen ein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung zu. Auch die Schutzbestimmungen für die Forstwirtschaft hielten einer rechtlichen Überprüfung stand. Dies gelte insbesondere für das in den Schutzgebieten (Vogelschutz- und FFH-Gebieten) bestehende grundsätzliche Verbot der Holzernte und Holzrückung in der Zeit vom 15. März bis zum 31. August in Verbindung mit der Möglichkeit, hiervon aus forstsanitären Gründen Ausnahmen zuzulassen. Für die Angelfischerei gelte, dass sie erhebliche Risiken und ein Störungspotential aufweise, durch das sich der Erhaltungszustand der Bestandteile eines Natura 2000-Gebietes erheblich verschlechtern könne, so dass entsprechende Beschränkungen gerechtfertigt seien. Der Besatz eines Gewässers mit Raubfischen könne Populationen aller Amphibien- und Libellenarten erheblich beeinträchtigen. Auch infolge von Bewegung, Lärm oder Licht könnten Arten gestört werden. Auch die Aquakultur weise Risiken für das Schutzziel der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Schutzgüter der FFH-Richtlinie auf. Daher sei es zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Schutzgüter geboten, auch diejenigen Beeinträchtigungen zu adressieren, die aus der Aquakultur herrührten. Von besonderer Bedeutung sei das Risiko einer Nährstoffanreicherung (Eutrophierung).
Das Urteil vom 27. Juni 2023 – 2 K 138/19 – ist noch nicht rechtskräftig.