Erfolglose Popularklage gegen Vorschriften des Polizeiaufgabengesetzes – PAG

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 14. Juni 2023 zum Aktenzeichen Vf. 15-VII-18 eine Vielzahl von Regelungen des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) betreffende Popularklageverfahren teilweise eingestellt und den Antrag im Übrigen abgewiesen. Soweit die gegen die Polizeirechtsreformen aus 2017 und 2018 gerichtete Popularklage ursprünglich Vorläuferregelungen der aktuell geltenden Bestimmungen betroffen hatte und insoweit nach der weiteren Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes vom 23. Juli 2021 für erledigt erklärt wurde, war eine Fortführung des Verfahrens nicht im öffentlichen Interesse geboten. Hinsichtlich der aktuellen Regelungen ist der Antrag zum weit überwiegenden Teil – auch zur „drohenden Gefahr“ im Sinne des Art. 11 a PAG – mangels ausreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung und teilweise unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung unzulässig.

Zulässig angegriffen wurden allein die neu geschaffenen Befugnisse zur präventiven Ingewahrsamnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG (zur Durchsetzung von Platzverweisen, Kontaktverboten, Aufenthalts- und Meldeanordnungen) und Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG (wegen Nichtbefolgung einer Elektronischen Aufenthaltsüberwachung) sowie die geltende Regelung zur höchstzulässigen Dauer des polizeilichen Präventivgewahrsams gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG (von jeweils nicht mehr als einem Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu insgesamt höchstens zwei Monaten). Der Verfassungsgerichtshof hat diese Vorschriften in der Sache geprüft und sie für mit der Bayerischen Verfassung vereinbar erachtet. Sie genügen insbesondere dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und verstoßen nicht gegen das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 102 Abs. 1 BV).

Die Antragsteller begehren mit ihrer Popularklage die Feststellung der Verfassungswidrigkeit verschiedener Regelungen des Polizeiaufgabengesetzes.

Einen Schwerpunkt der Beanstandungen bildet die Einführung des Begriffs der drohen- den Gefahr, der erstmals durch Art. 11 Abs. 3 PAG in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 in das Polizeiaufgabengesetz eingefügt worden war und seit der Neufassung durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 als Legaldefinition und Voraussetzung für (atypische) polizeiliche Eingriffsmaßnahmen in Art. 11 a PAG enthalten ist. Verschiedene Regelungen über Spezialbefugnisse, insbesondere zur Identifizierung, Aufenthaltsbestimmung und Überwachung von Personen, setzen ebenfalls das Vorliegen einer drohenden Gefahr voraus. Auf dieser Grundlage sind polizeiliche Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen bereits vor der Entstehung einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zulässig. Ein weiterer wesentlicher Angriffspunkt der Popularklage betrifft Ergänzungen der polizeilichen Befugnis zum sog. Präventivgewahrsam um zusätzliche Tatbestandsalternativen (Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PAG) und die Anhebung der früher (bis 31. Juli 2017) geltenden Höchstdauer eines solchen Gewahrsams von 14 Tagen auf aktuell (seit Neufassung durch das Änderungsgesetz vom 23. Juli 2021) einen Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG).

Die Antragsteller haben sich mit ihrer im Juli 2018 eingereichten Popularklage zunächst gegen die Vorläufervorschriften der aktuellen gesetzlichen Bestimmungen gewandt. Den damals gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 7. März 2019 abgewiesen.

Nachdem in der Folgezeit die angegriffenen Bestimmungen insbesondere durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 teilweise geändert und ergänzt wurden, haben die Antragsteller ihre Popularklage teilweise für erledigt erklärt und ihren Antrag auf diese Fassung umgestellt. Sie rügen Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 BV), den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 5 BV), das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV), das grundsätzliche Verbot der Einschränkung von Grundrechten (Art. 98 Satz 1 BV), das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen (Art. 98 Satz 2 BV), die Würde des Menschen (Art. 100 BV), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), auch in der Ausprägung der Berufsausübungsfreiheit, das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV), das Grundrecht auf Freiheit der Person einschließlich der Verfahrensgarantien (Art. 102 Abs. 1 und 2 BV), das Eigentumsgrundrecht (Art. 103 Abs. 1 BV), das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 109 BV), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und die Informationsfreiheit (Art. 112 BV) sowie die Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV).

Der Verfassungsgerichtshof hat das Verfahren teilweise eingestellt und die Popularklage im Übrigen – weit überwiegend als unzulässig, hinsichtlich Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 sowie Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG als unbegründet – abgewiesen.

Das Verfahren war einzustellen, soweit es die Antragsteller bezüglich verschiedener Vorläufervorschriften der aktuell geltenden Bestimmungen im Hinblick auf die durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 erfolgten Änderungen und – in Bezug auf Art. 39 Abs. 1 Satz 1 PAG a. F. – mit Blick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 für erledigt erklärt haben. Auch soweit der (unveränderte) Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG zuletzt nicht mehr angegriffen wurde, war keine Fortführung des Popularklageverfahrens veranlasst.

Bezüglich des weit überwiegenden Teils der Vorläuferregelungen und auch in Bezug auf Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG kam eine Fortführung schon deswegen nicht in Betracht, weil die Antragsteller diese Vorschriften ursprünglich nicht in zulässiger Weise angegriffen hatten. Auf die teilweise offensichtliche Unzulässigkeit, teilweise zweifelhafte Zulässigkeit der damaligen Angriffe gegen eine Vielzahl von Vorschriften hat der Verfassungsgerichtshof bereits bei Abweisung des vorangegangenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in seiner Entscheidung vom 7. März 2019 hingewiesen.

Auch in Bezug auf Art. 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3 PAG a. F. (zwischenzeitliche Höchstdauer des Präventivgewahrsams von bis zu drei Monaten mit Verlängerungsmöglichkeit jeweils um längstens drei Monate) und Art. 92 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 PAG a. F. erscheint die Fortführung nicht im öffentlichen Interesse geboten. Es ist unwahrscheinlich, dass aus den begrenzten Zeiträumen, in denen diese Vorschriften in Kraft waren, noch behördliche oder gerichtliche Verfahren anhängig wären, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen ankäme. Jedenfalls begründet die bloße Möglichkeit vereinzelt denkbarer Fälle, in denen Individualrechtsschutz vor den Fachgerichten und gegebenenfalls vor dem Verfassungsgerichtshof in Anspruch genommen werden konnte und kann, nicht bereits ein öffentliches Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung im Popularklageverfahren, das dem Schutz der Grundrechte als Institution dient.

Bezüglich Art. 39 Abs. 1 Satz 1 PAG a. F. (Automatisierte Kennzeichenerkennungssysteme) – fehlt es ebenfalls am für die Fortfühlung erforderlichen öffentlichen Interesse, weil die zentralen Fragen hierzu bereits durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 (BVerfGE 150, 244) geklärt wurden.

Hinsichtlich der zuletzt angegriffenen, aktuellen Bestimmungen ist der Antrag zum weit überwiegenden Teil – mit Ausnahme von Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 sowie Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG – mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung und teilweise unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung unzulässig.

Soweit sich die Antragsteller in Bezug auf einzelne Rechtsvorschriften oder auf die Änderungen in der Gesamtheit auf Verstöße gegen Verfassungsbestimmungen, die keine Grundrechte, sondern objektives Verfassungsrecht verbürgen (z. B. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV – Rechtsstaatsprinzip – oder Art. 5 BV – Grundsätze der Gewaltenteilung – oder auch Art. 98 Sätze 1 und 2 BV – Einschränkung von Grundrechten), berufen, ist ihr Vortrag zur Begründung der Zulässigkeit von vornherein ungeeignet. Im Übrigen genügt ihr Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG.

Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Generalklausel des Art. 11 a PAG, die nach Auffassung der Antragsteller das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verletzt, weil der Begriff der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ gegen das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße. Der Vortrag der Antragsteller erschöpft sich insoweit in pauschalen Behauptungen und setzt sich vor allem nicht mit dem konkreten Regelungsgehalt der Vorschrift auseinander, was für eine hinreichend substanziierte Darlegung erforderlich wäre. Denn der Begriff der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ wird zwar bei verschiedenen Einzelbefugnissen verwendet, ist aber in der grundlegenden Bestimmung des Art. 11 a PAG so nicht enthalten. Dort wer- den vielmehr dessen Voraussetzungen näher bestimmt. Sowohl der Rechtsbegriff der „drohenden Gefahr“ als auch derjenige der „bedeutenden Rechtsgüter“ werden in dieser Vorschrift legal definiert und mit einzelnen Tatbestandsmerkmalen näher umschrieben.

Damit setzen sich die Antragsteller in keiner Weise auseinander.

Entsprechend ist die unmittelbar an diese Rüge anknüpfende Behauptung der Verfassungswidrigkeit aller weiteren Befugnisnormen, in denen der Begriff der drohenden Gefahr verwendet wird oder die hierauf Bezug nehmen, nicht ausreichend substanziiert begründet. Auch die sonstigen Begründungsansätze zur angeblichen Verletzung subjektiver Rechte durch die weiteren Befugnisnormen genügen den Anforderungen nicht, nach denen insbesondere eine konkrete Darlegung bezogen auf die einzelnen angegriffenen Vorschriften erforderlich ist. Im Übrigen, beispielsweise bei den beanstandeten Regelungen über die jeweilige zeitliche Befristung verschiedener Maßnahmen, erschöpft sich der Vortrag der Antragsteller im Wesentlichen in der Wiederholung des Gesetzestextes und der bloßen Behauptung eines Verstoßes gegen verfassungsrechtliche Normen oder geht offensichtlich am Regelungsgehalt der angegriffenen Bestimmungen vorbei.

Unzulässig ist schließlich der erst nach der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes 2021 in das Verfahren aufgenommene Angriff gegen die mit der Novelle neu geschaffenen Regelungen zur polizeilichen Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß Art. 60 a PAG. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits auf eine andere Popularklage hin die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung umfassend geprüft und in seiner Entscheidung vom 17. Mai 2022 (Vf. 47-VII-21) bejaht. Neue rechtliche Gesichtspunkte oder neue, in der Entscheidung noch nicht gewürdigte Tatsachen haben die Antragsteller nicht vorgetragen.

Hinsichtlich der angegriffenen Regelungen zu Voraussetzungen und Dauer des polizeilichen Präventivgewahrsams gemäß Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG ist die Popularklage zulässig, aber unbegründet.

Die neu geschaffenen Befugnisse zur präventiven Ingewahrsamnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG (zur Durchsetzung von Maßnahmen nach Art. 16 PAG, also Platzverweisen, Kontaktverboten, Aufenthalts- und Meldeanordnungen) und Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG (wegen Nichtbefolgung einer Anordnung nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG, Elektronische Aufenthaltsüberwachung) sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

Es liegt zunächst kein offensichtlicher und schwerwiegender Verstoß gegen Bundesrecht vor, durch den das Rechtsstaatsprinzip verletzt würde. Vielmehr spricht auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR vom 24. März 2005 NVwZ 2006, 797) viel dafür, dass die Regelungen in Einklang mit dem als (einfaches) Bundesrecht geltenden Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b EMRK stehen.

Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG verstoßen nicht gegen das durch Art. 102 Abs. 1 BV garantierte Grundrecht der Freiheit der Person oder weitere Normen der Bayerischen Verfassung. Sie stehen insbesondere mit dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der bei Freiheitsentziehungen auf präventiver Grundlage wie hier strikt zu beachten ist, im Einklang.

Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum, bei dem der Freiheitsanspruch der vom Gewahrsam betroffenen Person einerseits gegenüber dem staatlichen Schutzauftrag (Art. 99 Satz 2 BV) andererseits abzuwägen ist, nicht überschritten. Es ist nicht auszuschließen, dass Maßnahmen und Anordnungen nach Art. 16 bzw. Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG trotz der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit zur Anwendung polizeilicher Zwangsmittel ohne einen Gewahrsam nicht durchgesetzt werden können. Der Gesetzgeber darf zur effektiven Durchsetzung seines Schutzauftrags im Rahmen seines Gestaltungsspielraums Vorsorge dafür treffen, dass die Polizei ihre Aufgabe auch bei solchen (atypischen) Fallgestaltungen erfüllen kann. Auch dann können gewichtige Gründe des Gemeinwohls – unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im jeweiligen Einzelfall – als ultima ratio eine Freiheitsentziehung zulassen. Die mit der Popularklage angegriffenen neuen Befugnisse entsprechen diesen Anforderungen. Sie erlauben insbesondere eine Ingewahrsamnahme nur „als letztes Mittel“.

Die neuen Befugnisse sehen auch keine Ingewahrsamnahme wegen einer nur drohenden Gefahr vor, es können (lediglich) die Maßnahmen, die durchgesetzt werden sollen, unter bestimmten Voraussetzungen bereits bei einer drohenden Gefahr im Sinn des Art. 11 a PAG angeordnet werden. Die Freiheitsentziehung selbst dient der Abwehr von konkreten Verstößen des jeweiligen Adressaten gegen die ihm gegenüber angeordneten Maßnahmen und damit der rechtsstaatlich gebotenen Durchsetzung wirksamer und vollziehbarer polizeilicher bzw. richterlicher Anordnungen. Allein die Möglichkeit einer fehlerhaften Anwendung des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG im Einzelfall macht die Regelungen nicht verfassungswidrig; insoweit besteht hinreichender Schutz durch freiheitssichernde Verfahrensregelungen.

Die Bestimmungen zur höchstzulässigen Dauer des polizeilichen Präventivgewahrsams in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG sind ebenfalls mit dem Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 102 Abs. 1 BV i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV vereinbar und insgesamt verfassungsgemäß. Die Dauer eines solchen Gewahrsams wird unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls von einem unabhängigen Richter festgelegt. Die gesetzlichen Vorgaben zu einer Dauer der Freiheitsentziehung von jeweils nicht mehr als einem Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu einer Gesamtdauer von insgesamt zwei Monaten verletzen weder den Bestimmtheitsgrundsatz noch enthalten sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person.
Der Gesetzgeber hat bei dem von ihm vorgenommenen Ausgleich zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Zwar handelt es sich bei einem auf insgesamt zwei Monate begrenzten polizeilichen Präventivgewahrsam um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Das Freiheitsgrundrecht der Betroffenen wird aber sowohl durch die im Gesetz vorgesehenen materiellen Eingriffsschwellen als auch durch verfahrensrechtliche Flankierungen ausreichend abgesichert; auch ist mit der Möglichkeit der Beschwerde und der Rechtsbeschwerde effektiver Rechtsschutz gewährleistet.

Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG steht in systematischem Zusammenhang mit den Regelungen über Freiheitsentziehungen nach Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2 und Art. 17 PAG und bezieht sich auf alle richterlichen Entscheidungen über die dort aufgeführten polizeilichen Freiheitsentziehungen. Die Regelung gilt nur für Fälle, in denen der Gewahrsamsgrund nicht weggefallen ist, mithin nur bei noch andauernder Gefahrenlage. Die Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams in diesen Fällen hat der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 PAG dem zuständigen Richter überantwortet. Die Dauer des Gewahrsams muss dabei am jeweiligen Zweck der Maßnahme und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet sein, darf aber nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG jeweils die Höchstdauer von einem Monat nicht übersteigen und insgesamt nur bis maximal zwei Monate verlängert werden.

Entgegen der Ansicht der Antragsteller fehlt dem bayerischen Landesgesetzgeber für die Regelung der Dauer des Präventivgewahrsams nicht die Gesetzgebungskompetenz. Sie betrifft den präventiv-polizeilichen Bereich, für den ausschließlich die Länder gesetzgebungsbefugt sind.

Die Bestimmung steht auch nicht offensichtlich in Widerspruch zu Bundesrecht, nämlich dem Verbot der Überschreitung der Dauer einer Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung von insgesamt zwölf Stunden nach § 163 c Abs. 2 StPO. Denn zwischen den bundesrechtlichen Regelungen der Strafverfolgung einerseits und den landesrechtlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr andererseits besteht ein grundsätzlicher Unterschied.

Ebenso wenig verletzt die Regelung den Bestimmtheitsgrundsatz. Aus der gesetzlichen Formulierung lässt sich mit hinreichender Klarheit die zulässige Dauer der richterlich anzuordnenden Freiheitentziehung erkennen. Eine unbegrenzte Gewahrsamsdauer wird entgegen der Auffassung der Antragsteller mit der Regelung nicht ermöglicht.

Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG genügt schließlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der nicht nur der Anordnung, sondern auch der Dauer des Gewahrsams Grenzen setzt. Die gesetzlichen Vorgaben dienen einem legitimen Ziel, sind hierfür geeignet und erforderlich sowie angemessen.

Der Gesetzgeber verfolgt mit der Bestimmung ein legitimes Ziel. Sie bezweckt die (weitere) Abwehr anhaltender Gefahrenlagen unter Berücksichtigung des Freiheitsanspruchs des Betroffenen. Zum staatlichen Schutzauftrag nach Art. 99 Satz 2 BV gehört es nicht nur, kurzfristige Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren, sondern auch, solchen Gefahrenlagen zu begegnen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Die Fortdauer des Gewahrsams bis zur Obergrenze von insgesamt zwei Monaten ist der Abwehr anhaltender Gefahrenlagen unter Sicherung des Freiheitsanspruchs des Betroffenen förderlich und damit zur Erfüllung des Gesetzeszwecks geeignet. Die Regelung ist auch erforderlich. Insbesondere durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass ein anderes effektives, die Betroffenen weniger belastendes Mittel nicht ausreichen würde, um länger anhaltende Gefahren im Sinn des Art. 17 PAG abzuwehren.

Die Regelung über die Fortdauer des Gewahrsams bis zu einer absoluten Höchstfrist von zwei Monaten ist schließlich auch angemessen. Zwar handelt es sich bei einem auf zwei Monate begrenzten polizeilichen Präventivgewahrsam um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Anordnung einer polizeilichen Ingewahrsamnahme nur als letztes Mittel zugelassen ist, wenn zur Gefahrenabwehr kein anderes, den Betroffenen weniger belastendes Mittel ausreicht, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Auch ist die Ausschöpfung der Höchstfrist nicht etwa zwingend vorgegeben. Vielmehr wird die Dauer des Gewahrsams im Einzelfall von einem unabhängigen Richter unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des Gewahrsamsgrunds, festgelegt. Eine Gewahrsamshöchstdauer von zwei Monaten wird daher in der Praxis nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Neben den materiellen Eingriffsschwellen sieht das Gesetz zudem verschiedene verfahrensrechtliche Flankierungen zur Abmilderung des Eingriffsgewichts vor.

Mit der Möglichkeit der Beschwerde zu den Landgerichten und der Rechtsbeschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht ist außerdem effektiver Rechtsschutz gewährleistet.

Quelle: Pressemitteilung des Bay VerfGH vom 14.06.2023