Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 26.01.2023 zum Aktenzeichen I ZB 42/22 entschieden, dass wenn der Prozessbevollmächtigte einer Partei die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, er verpflichtet ist, das Arbeitsergebnis vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittelgericht richtig bezeichnet ist.
Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat.
Das Landgericht hat eine Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das zugestellte Urteil gerichtet an das Landgericht Berufung eingelegt; dort ist der Schriftsatz per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist eingegangen.
Das Landgericht hat die Weiterleitung des Berufungsschriftsatzes an das Berufungsgericht verfügt, wo der Berufungsschriftsatz nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangen ist. Der Kläger hat sodann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung seines Antrags hat der Kläger vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe seiner langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin vor deren Urlaubsantritt den Auftrag erteilt, den Berufungsschriftsatz in der elektronischen Anwaltsakte zu erstellen und zu speichern. Kurz vor dem Urlaubsantritt der Mitarbeiterin habe der Prozessbevollmächtigte gemeinsam mit dieser eine Fristenkontrolle durchgeführt und einen als „Berufung“ bezeichneten Schriftsatz in der elektronischen Akte des Klägers vorgefunden. Diesen habe sein Prozessbevollmächtigter sodann am 28. Dezember 2021 per beA abgesandt. Zu der fehlerhaften Adressierung an das Landgericht sei es gekommen, weil die Mitarbeiterin die Anweisung, den Berufungsschriftsatz selbst zu erstellen, nicht befolgt, sondern eine Auszubildende damit beauftragt habe. Bei der Kontrolle des Schriftsatzes habe die Mitarbeiterin dann übersehen, dass dieser fehlerhaft an das Landgericht adressiert gewesen sei. Sein Prozessbevollmächtigter habe darauf vertraut, dass der Schriftsatz korrekt an das Oberlandesgericht adressiert gewesen sei. Der Schriftsatz sei versehentlich an das falsche Gericht übersandt worden, weil die Übersendung in der bekannten anwaltlichen Stresssituation im Jahresendgeschäft während der Weihnachts- und Urlaubszeit erfolgt und durch den Umstand beeinflusst gewesen sei, dass der Schriftsatz vor dem Versand an das Gericht bei Verwendung des beA anders als bei einer handschriftlichen Unterzeichnung nicht auf den ersten Blick ersichtlich sei, sondern durch Betätigung des hierfür vorgesehenen Symbols im beA hätte aufgerufen werden müssen. Es überspannte die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, wenn von ihm verlangt würde, alle Schriftsätze, die er über das beA mit seiner eigenen Kennung an die Gerichte übermittele, vor dem Absenden selbst noch einmal auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Der Berufungsschriftsatz sei zudem bei der zentralen Eingangsstelle des Landgerichts und des Oberlandesgerichts eingegangen. Es existiere eine zentrale gemeinsame Briefannahmestelle der beiden Gerichte und es könne vermutet werden, dass dies auch noch nach Einführung des beA der Fall sei. Jedenfalls könne durch die Digitalisierung, die gerade das Ziel der Beschleunigung verfolge, keine Schlechterstellung des Rechtsanwalts erfolgen, der Schriftsätze per beA einreiche. Das digitalisierte Schriftstück sei genauso zu behandeln, als wäre es an der zentralen gemeinsamen Briefannahmestelle eingegangen.
Selbst wenn man davon ausginge, dass es keine gemeinsame Briefannahmestelle gebe, so hätte der Schriftsatz doch ohne weiteres am 29. Dezember 2021, einem normalen Werktag, digital an das zuständige Rechtsmittelgericht weitergeleitet, ausgedruckt und vorgelegt werden können. Im Zeitalter der Digitalisierung innerhalb der Justiz eine Postlaufzeit von drei Tagen anzunehmen, erscheine antiquiert und laufe dem Ziel des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs zuwider.
Mit Beschluss vom 14. April 2022 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags wie folgt begründet:
Der Kläger sei nicht schuldlos an der Versäumung der Frist gehindert gewesen, da ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO das insoweit vorliegende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen sei. Dieser habe seine Pflichten dadurch verletzt, dass er den Berufungseinlegungsschriftsatz nicht auf die richtige Adressierung hin überprüft und entsprechend berichtigt habe. Die Anfertigung der Rechtsmittelschrift dürfe in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte müsse die Rechtsmittelschrift vor Unterzeichnung und Versendung mittels beA auf Vollständigkeit und auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts hin überprüfen.
Dieses Verschulden sei auch für die Versäumung der Berufungsfrist kausal geworden. Der Berufungsschriftsatz sei am 28. Dezember 2021 gerade nicht beim Oberlandesgericht eingegangen. Als Empfänger sei vielmehr das Landgericht ausgewiesen. Eine zentrale Eingangsstelle existiere nicht. Es gebe auch keinen verpflichtenden interbehördlichen digitalen Schriftverkehr. Das Landgericht sei kein Erfüllungsgehilfe des Prozessbevollmächtigen des Klägers zur Wahrung der Rechtsmittelfrist. Eine Fiktion der Wahrung der Berufungseinlegungsfrist durch Übermittlung eines digitalen Schriftsatzes an jedwedes Gericht des Landes Hessen lasse sich mit den Vorschriften der Zivilprozessordnung nicht in Einklang bringen.
Eine Partei hat die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt, wenn die Berufungsschrift an das unzuständige Landgericht adressiert war und bei dem Berufungsgericht, bei dem sie gemäß § 519 Abs. 1 ZPO hätte eingereicht werden müssen, erst nach Fristablauf eingegangen ist. Hiervon ist das Berufungsgericht im Streitfall zutreffend ausgegangen.
Das Berufungsgericht hat außerdem mit Recht angenommen, dass die nicht fristwahrende Einlegung der Berufung beim Landgericht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht und deshalb die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind.
Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet.
Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat rechtsfehlerfrei ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers darin gesehen, dass dieser seine Büroangestellte mit der Anfertigung der Berufungsschrift beauftragt und sodann vor ihrer Absendung nicht selbst überprüft hat, ob darin das Rechtsmittelgericht zutreffend bezeichnet gewesen ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und beim zuständigen Gericht innerhalb der laufenden Frist eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zwar darf der Rechtsanwalt die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen. Er ist dann aber verpflichtet, das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. So gewichtige Aufgaben wie die Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts darf auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts überprüfen.
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt und ist dabei mit Recht und von der Rechtsbeschwerde auch nicht beanstandet davon ausgegangen, dass für die Einreichung von Schriftsätzen über das beA keine abweichenden Maßstäbe gelten.
Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die von einer Büroangestellten gefertigte Berufungsschrift vor Absendung nicht und damit auch nicht auf die richtige Bezeichnung des Berufungsgerichts hin überprüft, erhebt die Rechtsbeschwerde ebenfalls keine Rüge.
Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des Berufungsgerichts, das Verschulden sei für die Versäumung der Berufungsfrist ursächlich geworden.
Allerdings ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sich das Verschulden einer Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten im Hinblick auf die unrichtige Bezeichnung des Gerichts bei der Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht auswirkt, weil die Partei darauf vertrauen darf, dass der beim unzuständigen Gericht eingereichte Schriftsatz noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird.
Die Rechtsbeschwerde hat jedoch keine Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf eine rechtzeitige Weiterleitung der Berufungsschrift an das Berufungsgericht rechtfertigen.
Da das Gericht einerseits aufgrund des Anspruchs auf ein faires Verfahren zur Rücksichtnahme auf die Parteien verpflichtet ist, andererseits die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden muss, besteht keine generelle Fürsorgepflicht des für das Rechtsmittel unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Geht ein fristwahrender Schriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht beim erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses deshalb grundsätzlich lediglich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Die eine Wiedereinsetzung begehrende Partei hat mithin darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können. Bei der Frage, ob eine fristgerechte Weiterleitung im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang zu erwarten war, ist zu berücksichtigen, dass die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht der Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit erfordert. Geht der Schriftsatz erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat.
Der Kläger hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die an das Landgericht adressierte Berufungsschrift im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können.
Dem steht nach den dargelegten Grundsätzen bereits entgegen, dass die Berufungsschrift erst am 28. Dezember 2021 und damit am Tag vor dem Ablauf der Berufungsfrist beim unzuständigen Gericht eingegangen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der Eingang des Schriftsatzes ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Prüfvermerks am Vortag des Fristablaufs erst um 18:50:24 Uhr erfolgte. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass nach dem normalen und ordnungsgemäßen Geschäftsgang zu erwarten war, dass am Landgericht an diesem oder noch rechtzeitig am Folgetag eine Zuständigkeitsprüfung erfolgen würde. Eine solche ist aber Voraussetzung für die Annahme einer Weiterleitung an das Berufungsgericht.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt im Streitfall auch kein Fehler des Gerichts vor, der einer Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehen könnte.
Allerdings sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben, wenn die Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts beruht. Davon kann im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden.
Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, dem Landgericht sei es ohne weiteres möglich gewesen, den Schriftsatz elektronisch und damit zügig am 29. Dezember 2021 weiterzuleiten. Es kann offenbleiben, ob die Rechtsbeschwerde dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass zwischen Land und Oberlandesgericht tatsächlich die technische Möglichkeit einer solchen elektronischen Weiterleitung bestanden hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, war nach den vorliegenden Umständen eine fristgerechte Weiterleitung im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht zu erwarten. Da die Berufungsschrift erst um 18:50:24 Uhr am Tag vor dem Ablauf der Berufungsfrist beim unzuständigen Gericht einging, kann nicht davon ausgegangen werden, dass am Landgericht an diesem oder noch rechtzeitig am Folgetag eine Zuständigkeitsprüfung erfolgen wird. Auf die Frage, ob darüber hinaus eine sich an die Zuständigkeitsprüfung erst anschließende digitale Weiterleitung an das Berufungsgericht erfolgen konnte, kommt es nicht an.
Das Landgericht war auch nicht verpflichtet, den Kläger oder seinen Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten.