Das Verwaltungsgericht München hat mit Urteil vom 20.12.2022 zum Aktenzeichen M 4 K 22.4098 entschieden, dass eine Klausurlösung auf Konzeptpapier und nicht auf Klausurpapier nicht bewertet werden muss.
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die von ihm im ersten Versuch der Ersten Juristischen Staatsprüfung am … … 2022 auf sog. Konzeptpapier gefertigte schriftliche Prüfungsarbeit durch zwei Prüfer bewerten zu lassen und sein Gesamtergebnis der Ersten Juristischen Staatsprüfung unter Berücksichtigung dieser Bewertung insoweit aufzuheben und entsprechend neu zu verbescheiden.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2022 lud der Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die Erste Juristische Staatsprüfung den Kläger zur Anfertigung der schriftlichen Arbeiten im Zeitraum vom … … 2022 bis zum … … 2022. In diesem Ladungsschreiben wurden die Prüflinge u.a. aufgefordert, sich „zunächst die unter https://www.justiz.bayern.de/landesjustizpruefungsamt, Rubrik (linke Seite) „Downloadbereich Prüflinge““ dort für den Termin „EJS 2022/1 – schriftliche Prüfung“ bereitgestellten Dokumente herunterzuladen. In diesem Downloadbereich für Prüflinge befand sich das Hinweisdokument „Erste Juristische Staatsprüfung Hinweise für den Ablauf der Prüfung“. Unter 2. enthält dieses Dokument den folgenden Hinweis:
„Die Bearbeitungen der Prüfungsaufgaben sind in deutscher Sprache, in Langschrift und in einem sog. Prüfungsheft, das Ihnen zur Verfügung gestellt wird, zu fertigen. Die Blätter des Prüfungsheftes sind beidseitig zu beschreiben. Es dürfen keine Blätter, auch keine leeren oder durchgestrichenen, entfernt werden. Schreibpapier (Konzeptpapier) darf nicht mitgebracht werden, es wird zur Verfügung gestellt. Beschriebenes Konzeptpapier darf nicht abgegeben werden.“
Der Kläger trat zur schriftlichen Prüfung der Ersten Juristischen Staatsprüfung am … … 2022 zur Anfertigung der ersten schriftlichen Prüfungsarbeit an. Ihm wurde ein Arbeitsplatz in der ersten Reihe des Prüfungsraums zugewiesen. Dort lag ein sog. Prüfungsheft. Die erste Seite des Prüfungshefts, das linksseitig mit zwei Heftklammern gebunden ist, enthält zwischen diesen den vertikalen Hinweis „Nicht öffnen!“ und sieht im Übrigen wie folgt aus:
Vor Beginn der Prüfung belehrte die Prüfungsaufsicht die Prüfungsteilnehmer u.a. wie folgt:
„Die Prüfungsarbeiten müssen in deutscher Sprache und in Langschrift abgefasst werden. […] Es dürfen nur die zur Verfügung gestellten Prüfungshefte verwendet werden. Das Öffnen (Entklammern) und die Entnahme von Blättern, auch von durchgestrichenen und unbeschriebenen, ist nicht erlaubt. Die Blätter des Prüfungsheftes sind unter Beachtung der bereits aufgedruckten Seitenzahlen beidseitig zu beschreiben. Nur wenn in einem Ausnahmefall ein Prüfungsheft nicht ausreichen sollte, erhält der Prüfling ein weiteres. Dieses zusätzliche Prüfungsheft ist gegebenenfalls handschriftlich ebenfalls mit Prüfungs- und Aufgabennummer, Tagesdatum sowie auffällig mit dem Wort ‚Fortsetzung‘ zu versehen. Die Angabe des Namens oder eines sonstigen Kennzeichens mittels dessen auf den Verfasser der Arbeit geschlossen werden könnte, ist unzulässig. Die Prüfungsarbeit darf nicht unterschrieben werden. Auf Konzeptpapier angefertigte Lösungsskizzen oder Notizen dürfen nicht abgegeben werden, sie werden nicht angenommen.“
Konzeptpapier lag bei den Prüfungsaufsichten aus und konnte von den Prüfungsteilnehmern dort selbst genommen werden, was der Kläger auch tat. Der Kläger fertigte seine gesamte Prüfungsarbeit auf dem Konzeptpapier an. Am Ende der Prüfungszeit stellte er fest, dass die anderen Prüfungsteilnehmer – anders als er – ihre Arbeiten in dem Prüfungsheft erbracht hatten und informierte die Prüfungsaufsicht.“
Diese forderte den Kläger nach telefonischer Rücksprache mit der örtlichen Prüfungsleitung auf, sämtliche Seiten des beschriebenen Konzeptpapiers zu nummerieren und seine Kennziffer anzubringen. Die Blätter wurden in das unbeschriebene Prüfungsheft eingelegt und zu den anderen Prüfungsarbeiten genommen. Am folgenden Tag teilte eine andere Aufsichtsperson dem Kläger mit, dass das Prüfungsamt informiert worden sei und eine Entscheidung ergehen werde. Der Kläger brauche sich „keine Gedanken“ zu machen.
Das Konzeptpapier wurde nicht an die Prüfer zur Bewertung gegeben. Beide Prüfer bewerteten die Prüfungsleistung im unbeschriebenen Prüfungsheft mit „ungenügend“ (0 Punkte).
Mit Schreiben vom 27. Juni 2022 teilte das Landesjustizprüfungsamt dem Kläger u.a. mit, dass seine schriftlichen Prüfungsarbeiten wie folgt bewertet worden seien:
und er als Gesamtnote der schriftlichen Prüfung 8,83 – befriedigend erzielt habe.
Mit Prüfungsbescheinigung vom … … 2022 bescheinigte die Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die Erste Juristische Staatsprüfung, dass der Kläger die Erste Juristische Staatsprüfung (Teil der Ersten Juristischen Prüfung) mit der Prüfungsgesamtnote vollbefriedigend (9,07) bestanden habe.
Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2022 ließ der Kläger am selben Tag durch seinen Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben und beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom … … 2022 zu verpflichten, die Prüfungsaufgabe 1 im Zivilrecht, gefertigt am … … 2022 im Prüfungstermin 2022/1, durch zwei Korrektoren fachlich korrigieren und bewerten zu lassen, und entsprechend des Korrekturergebnisses das Gesamtergebnis der Ersten Juristischen Staatsprüfung des Klägers neu zu verbescheiden.
Mit Schriftsatz vom 27. September 2022 wiederholte der Prozessbevollmächtigte seinen Klageantrag und begründete die Klage im Wesentlichen wie folgt: Der Kläger habe die seitliche Beschriftung auf dem Bogen „Nicht öffnen!“ wörtlich genommen und sei sicher gewesen, dass der „Bogen“ dafür gedacht sei, in ihn die Blätter, auf denen die „eigentliche Arbeitsleistung“ erbracht werde, hineinzulegen. Der Kläger habe nichts falsch machen und auch nicht den Anschein eines Täuschungsversuchs erwecken wollen. Deshalb habe er nicht „einsehen“ können, auf welches Papier die anderen Prüfungsteilnehmer ihre Arbeiten schrieben. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass der vor ihm liegende „Bogen“ zur Bearbeitung gedacht sei. Der Kläger habe die vollständige Prüfungsleistung auf dem „Skizzenpapier“ erbracht. Darauf habe sich, für jeden erkennbar, eine vollständig erbrachte Prüfungsleistung befunden. Weder äußerlich noch inhaltlich habe die Prüfungsleistung den Eindruck einer Skizze erweckt. Es sei rechtswidrig, die auf dem Skizzenpapier niedergeschriebene Prüfungsleistung nicht zur Grundlage eines Bewertungsvorgangs zu machen. Der Kläger habe erkennbar formal und inhaltlich eine vollständige Prüfungsleistung abgegeben. Er habe die vollständige Prüfungsleistung irrtümlich auf dem Konzeptpapier gefertigt. Ausnahmsweise seien deshalb seine Ausführungen auf dem Konzeptpapier zur Grundlage des Bewertungsvorgangs zu machen. Es bestehe kein Zweifel, dass es sich bei der Niederschrift auf dem Konzeptpapier um verbindliche Äußerungen des Klägers handle. Wegen der angebrachten Seitenzahlen und der Kennziffer entspreche die Klausur den Formalien wie jede andere Klausur. Im Übrigen seien Ausführungen auf dem Konzeptpapier auch dann nicht unbeachtlich, wenn sie geeignet seien, ggf. unfertige Teile der Originalausfertigung zu ergänzen. Etwaige Ausführungen auf dem Konzeptpapier dürften erst recht nicht unbeachtlich bleiben, wenn sie ersichtlich nicht die Hauptarbeit ergänzten, sondern diese darstellten. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen gelte, wenn eine schriftliche Prüfungsarbeit gefordert werde, als Gegenstand der Bewertung zwar in der Regel nur die Originalausfertigung, nicht jedoch die Gliederung der Bearbeitung oder ein stichwortartiges Konzept (OVG NW, B.v. 18.1.2007 – 14 A 2325/04 – juris Rn. 51). Ausnahmsweise könne es aber anders sein, wenn die unfertigen Teile geeignet seien, die Bearbeitung zu ergänzen, indem sie brauchbare Hinweise dafür gäben, dass der Prüfling – der die Bearbeitung nicht zeitgerecht habe vollenden können – auf einem guten Weg zur Lösung der Prüfungsaufgabe gewesen sei (SächsOVG, B.v. 11.9.2001 – 4 BS 156/01 – juris Rn. 15; VGH BW, U.v. 8.10.1996 – 9 S 2437/95 – juris). Vorliegend sei erkennbar, dass die ausgefertigte Arbeit inhaltlich den einzigen Bestandteil der Prüfungsleistung darstelle. Der Kläger habe keine Gliederung und Reinschrift abgegeben, sondern nur die Reinschrift. Die Aufsichtsperson habe den Kläger aufgefordert, die Seitenzahlen und die Kennziffer anzubringen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit liege nicht vor, wenn die Prüfungsleistung in der vorliegenden Form bewertet werde. Die besonderen Umstände seien zu berücksichtigen.
Die Bewertung der vom Kläger am … … 2022 angefertigten schriftlichen Prüfungsarbeit mit „ungenügend“ (0 Punkte) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewertung seiner schriftlichen Prüfungsarbeit unter Berücksichtigung der von ihm außerhalb des Prüfungshefts auf dem Konzeptpapier erbrachten schriftlichen Ausführungen (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO). Die Bewertung der schriftlichen Prüfungsleistung im Prüfungsheft mit „ungenügend“ wurde bereits nicht substantiiert angegriffen (1.). Der Beklagte hat der Bewertung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) der vom Kläger am … … 2022 angefertigten Prüfungsarbeit auch zu Recht ausschließlich die schriftliche Bearbeitung des Klägers im Prüfungsheft zu Grunde gelegt (2.).
Beide Prüfer haben die schriftliche Prüfungsarbeit des Klägers im Prüfungsheft selbständig mit jeweils „ungenügend“ (0 Punkte) bewertet und ihre Bewertungen schriftlich begründet. Gesetzliche Grundlage für die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit des Klägers vom … … 2022 mit „ungenügend“ (0 Punkte) ist § 4 Abs. 1 JAPO i.V.m. § 1 der Verordnung des Bundesministers der Justiz über eine Noten- und Punkteskala für die Erste und Zweite juristische Prüfung. Die Notenstufe „ungenügend“ (0 Punkte) ist danach für eine „völlig unbrauchbare Leistung“ zu vergeben. Die Bewertung eines unbeschriebenen Prüfungshefts durch die Prüfer als „völlig unbrauchbare Leistung“ hat der Kläger nicht mit substantiierten Einwendungen in Zweifel gezogen.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte seine auf Konzeptpapier gefertigte Ausarbeitung der Bewertung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 JAPO zugrunde legt. Das Landesjustizprüfungsamt als gemäß § 6 Abs. 1 JAPO für die Durchführung der Staatsprüfungen zuständige Behörde darf auch ohne gesetzliche Grundlage regeln, dass die zu bewertende „schriftliche Prüfungsarbeit“ i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 JAPO nur die schriftliche Bearbeitung der Prüfungsaufgabe im Prüfungsheft ist und sonstige Ausarbeitungen, wie z.B. vorliegend auf dem Konzeptpapier, nicht bewertet werden (2.1.). Diese Regelung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden, sie verstößt weder gegen Rechtsvorschriften noch verletzt sie gar Grundrechte der Prüfungsteilnehmer; sie ist insbesondere nicht willkürlich oder unverhältnismäßig (2.2.). Es liegen auch keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die ein Absehen von der Regelung zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, erfordern (2.3.).
Es bedarf zunächst – auch unter Berücksichtigung des Vorbehalts des Gesetzes – keiner gesetzlichen Regelung, was die zu bewertende schriftliche Prüfungsarbeit i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 JAPO ist; eine Regelung durch das Landesjustizprüfungsamt in Form von „Hinweisen“ genügt (vgl. dazu offenlassend VGH BW, U.v. 8.10.1996 – 9 S 2437/95 – juris Rn. 16).
Die JAPO selbst enthält keine ausdrückliche Bestimmung. Vielmehr hat das Landesjustizprüfungsamt durch
„Hinweise“ verbindlich geregelt, dass die zu bewertende schriftliche Prüfungsarbeit – ausschließlich – die Ausarbeitung im Prüfungsheft ist. Das Gericht ist der Auffassung, dass die verbindliche Regelung in Form von „Hinweisen“ durch das gemäß § 6 Abs. 1 JAPO für die Ausgestaltung der Durchführung der Ersten Juristischen Staatsprüfung zuständige Landesjustizprüfungsamt ausreichend ist.
Wegen des Vorbehalts des Gesetzes sind wesentliche Merkmale der Ausgestaltung des Prüfungsverlaufs normativ zu regeln, und es obliegt dem Normgeber insbesondere das Prüfungsverfahren – etwa die Zulassungsvoraussetzungen, die Prüfungsart sowie Vorgaben zu Abbruch oder Beendigung der Prüfung – festzulegen. Der verfahrensmäßigen Regelung des Prüfungsgeschehens kommt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die jeweilige Leistungsbewertung in ihrem Kern auf einer höchstpersönlichen Einschätzung und Wertung des Prüfers beruht, die durch Normierungen inhaltlicher Art nur wenig beeinflussbar sind, auch eine besondere Bedeutung zu. Um das daraus resultierende und nicht zu vermeidende Defizit an umfassender gerichtlicher Kontrolle möglichst weitgehend auf andere Weise auszugleichen, sind die Grundrechte verfahrensrechtlich dadurch abzusichern, dass der Gesetzgeber besonders das Verfahren bei Prüfungen in den wesentlichen Punkten selbst regeln muss. Regelungen indes, die nur dazu dienen, die äußeren Prüfungsbedingungen und Einzelheiten des Prüfungsverlaufs geschäftsmäßig zu ordnen, haben im Allgemeinen nicht das Gewicht und die Bedeutung, die es erforderlich machten, sie einer Entscheidung des Gesetzgebers zu unterstellen.
Nach diesen Maßgaben handelt es sich bei der Vorgabe, die zu bewertende schriftliche Prüfungsarbeit ausschließlich im Prüfungsheft anzufertigen, nicht um ein wesentliches Merkmal der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens, sondern um eine Regelung, die den Prüfungsverlauf geschäftsmäßig bzw. die äußere Gestaltung des Prüfungsverfahrens ordnet, wie z.B. auch die Vorgabe, dass die Arbeiten nicht mit Bleistift geschrieben werden dürfen bzw. eine Vorgabe, dass liniertes Papier für die Anfertigung einer Aufsichtsarbeit angefertigt werden muss (vgl. VG Berlin, B.v. 29.3.2004 – 28 A 81.04 – juris Rn. 7). Der Beklagte hat, insbesondere mit Schriftsatz vom 21. November 2022, dargelegt, dass das Landesjustizprüfungsamt im Jahr 2015 das Prüfungsheft eingeführt hat, um die Prüfungssicherheit durch Reduzierung des Risikos des Verlusts einzelner Bearbeitungsseiten zu erhöhen und aus organisatorischen Gründen, insbesondere, aber nicht ausschließlich, im Zusammenhang mit der zeitgleichen Einführung größerer Prüfungsräume. Insgesamt ergibt sich für das Gericht damit, dass es sich um eine geschäftsmäßige Regelung der äußeren Prüfungsbedingungen bzw. Einzelheiten des Prüfungsverlaufs handelt, die nicht dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt.
Die Regelung, ausschließlich im Prüfungsheft erbrachte schriftliche Prüfungsleistungen zu bewerten, stellt auch keine Sanktionierung des Klägers dar, für die eine gesetzliche Grundlage erforderlich wäre.
Rechtsgrundlagen für die Verhängung von Sanktionen, die sich auf das Bestehen der Prüfung auswirken, unterliegen besonders strengen Anforderungen des prüfungsspezifischen Bestimmtheitsgebots als Ausprägung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts. Sowohl das zu sanktionierende Verhalten als auch die daran geknüpfte Sanktionsfolge müssen normativ so klar geregelt sein, dass jeder Prüfling sein Verhalten problemlos danach ausrichten kann (Fischer/Jeremias, Dieterich, PrüfungsR, Rn. 30).
Gesetzlich geregelte Sanktionen finden sich bspw. in § 8 JAPO (Ausschluss von der Teilnahme an den Staatsprüfungen), § 9 JAPO (Rücktritt und Versäumnis) und § 11 JAPO (Unterschleif, Verlassen des beaufsichtigten Prüfungsbereichs, Täuschungs- und Beeinflussungsversuch). Die entsprechenden Voraussetzungen dieser Normen sind im vorliegenden Fall ersichtlich nicht erfüllt. Der Beklagte hat die Bewertung auch nicht auf eine dieser Sanktionsnormen gestützt.
Die gesetzlich geregelten Sanktionen unterscheiden sich von der vorliegend lediglich geschäftsmäßigen Regelung u.a. dadurch, dass ein Verhalten des Prüfungsteilnehmers die gesetzliche Rechtsfolge der Bewertung der Prüfungsarbeit mit „ungenügend“ auslöst, ohne dass eine inhaltliche Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit durch die hierzu berufenen Prüfer vorgenommen wird; die schriftliche Prüfungsarbeit spielt keine Rolle, sie wird gar nicht erst zum Gegenstand der Bewertung gemacht. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte jedoch die schriftliche Prüfungsarbeit des Klägers (im Prüfungsheft) nach den Vorgaben der JAPO zum Gegenstand der Bewertung gemacht und das Prüfungsverfahren somit regulär durchgeführt. Es handelt sich somit nicht um eine Sanktionierung der Nichtbenutzung des Prüfungshefts.
Auf die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten, insbesondere dass es erkennbar sei, dass die Prüfungsleistung auf dem Konzeptpapier erbracht worden sei und der Kläger dies zur Grundlage der Bewertung machen wolle, kommt es deshalb vorliegend nicht entscheidungserheblich an. Auf die überzeugenden und zutreffenden Ausführungen des Beklagten, insbesondere mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2022, denen das Gericht folgt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Insbesondere ist es unzutreffend, dass der Kläger – wie vom Prozessbevollmächtigten vorgetragen – „erkennbar formal und inhaltlich“ eine „vollständige Prüfungsleistung“ erbracht habe. Die Ausführungen des Klägers auf Konzeptpapier entsprachen formal gerade nicht den Vorgaben. Auch der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einer Entscheidung zu Grunde gelegte Grundsatz, dass es „letztlich Sache des Kandidaten“ ist, zu bestimmen, was Gegenstand seiner Arbeit sein soll (U.v. 8.10.1996 – 9 S 2437/95 – juris Rn. 16), steht dem vorliegenden Ergebnis nicht entgegen. Denn dieser Grundsatz kann nur insoweit gelten, als dem nicht – wie vorliegend – zulässige (s.u.) abweichende Regelungen entgegenstehen.
Die Regelung ist inhaltlich nicht zu beanstanden, sie verstößt weder gegen Rechtsvorschriften noch verletzt sie Grundrechte der Prüfungsteilnehmer; sie ist insbesondere nicht willkürlich oder unverhältnismäßig.
Bei der äußeren Gestaltung des Prüfungsverfahrens steht der Prüfungsbehörde – im Rahmen der jeweiligen Prüfungsordnung – ein weiter Organisationsspielraum zu, soweit das Gebot der Chancengleichheit gewahrt wird (VG Berlin, B.v. 29.3.2004 – 28 A 81.04 – juris Rn. 7).
Inwieweit die Vorgabe, nur im Prüfungsheft erbrachte schriftliche Leistungen, zu bewerten, einen Verstoß gegen das Gebot der Wahrung der Chancengleichheit darstellen kann, ist für das Gericht bereits nicht ersichtlich; entsprechendes wurde auch nicht vorgetragen. Auch sonstige Verstöße gegen Rechtsvorschriften sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Regelung, nur im Prüfungsheft erbrachte schriftliche Leistungen, zu bewerten, ist auch im Übrigen rechtmäßig, insbesondere nicht willkürlich und verhältnismäßig, weil sie einen legitimen Zweck verfolgt, zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, aber auch erforderlich und außerdem auch angemessen ist.
Sowohl die Erhöhung der Prüfungssicherheit als auch die organisatorische Erleichterung des Verfahrens stellen legitime Zwecke für die Regelung dar. Diese ist zur Erreichung dieser Zwecke auch geeignet und erforderlich, denn ein anderes geeignetes, aber milderes Mittel ist zur Erreichung der Zwecke nicht ersichtlich. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist ebenfalls gegeben. Es ist nicht unangemessen, von allen Prüfungsteilnehmern zu verlangen, dass sie ihre schriftliche Prüfungsarbeit in einem bereitgestellten Prüfungsheft anfertigen.
Die Vorgabe des Landesjustizprüfungsamts, dass die Prüfungsarbeiten ausschließlich im Prüfungsheft anzufertigen sind, ist somit rechtlich nicht zu beanstanden.
Es liegen auch keine besonderen Umstände, insbesondere kein Vertrauenstatbestand, vor, die es im vorliegenden Einzelfall entweder rechtfertigten oder gar erforderten, zu Gunsten des Klägers von der Regelung abzuweichen. Ob dadurch bereits der Grundsatz der Chancengleichheit für alle Prüfungsteilnehmer verletzt wäre, wie der Beklagte vorträgt, bedarf daher keiner Entscheidung. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, insbesondere auch kein erworbener Vertrauensschutz des Klägers, die eine Abweichung von der Regelung rechtfertigen könnten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Bewertung des unbeschriebenen Prüfungshefts mit „ungenügend“ sich in der Konsequenz als genauso streng herausstellt wie eine der in der JAPO geregelten Sanktionen.
Der Kläger hat die Obliegenheit verletzt, sich im Zweifelsfall bei der jeweiligen Prüfungsbehörde Gewissheit über die prüfungsrechtlichen Vorgaben zu verschaffen. Diese Obliegenheit entspringt im Prüfungsrechtsverhältnis dem Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. VG Würzburg, U.v. 16.7.2020 – W 2 K 19.1086 – BeckRS 2020, 19511 Rn. 27).
Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die Hinweise „Nicht öffnen“ auf der ersten Seite des Prüfungshefts für sich genommen zunächst irreführend wirken. Darauf kommt es vorliegend aber nicht ausschlaggebend an. Denn der Beklagte weist zu Recht und überzeugend darauf hin, dass zum einen sowohl durch den schriftlichen erläuternden Zusatz auf der ersten Seite des Prüfungshefts (Entklammern) und zum anderen auch die umfassende und eindeutige Belehrung vor Beginn der Prüfung zumindest eine Obliegenheit des Prüfungsteilnehmers entsteht, den wahrgenommenen Widerspruch durch Nachfrage zu klären. Dieser Obliegenheit ist der Kläger nicht nachgekommen, mit der Folge, dass er mit diesem Einwand nicht mehr gehört werden kann.
Vielmehr hat der Kläger – für das Gericht unter Berücksichtigung der unmittelbar zuvor erfolgten Belehrung nicht nachvollziehbar – vortragen lassen, es sei „für ihn nicht erkennbar“ gewesen, dass der vor ihm liegende „Bogen“ zur Bearbeitung gedacht sei und er habe seine Arbeit „irrtümlich“ auf Konzeptpapier erbracht. Abgesehen davon, dass sich der Kläger im Hinblick auf die unmittelbar vor der Prüfung erfolgte Belehrung im Klageverfahren nicht geäußert hat, ginge es auch zu seinen Lasten, wenn er die Belehrung – etwa wegen prüfungsbedingter Aufregung – nicht ausreichend konzentriert verfolgt und sich für ihn deshalb schon kein klärungsbedürftiger Widerspruch ergeben haben sollte. Insofern waren die Prüfungsbedingungen für alle Teilnehmer gleich.
Soweit der Kläger geltend macht, es sei seine erste schriftliche Prüfungsarbeit gewesen und er habe in der ersten Reihe gesessen, ergibt sich auch hieraus für das Gericht keine Besonderheit, die nachvollziehbar macht, warum der Kläger seiner Obliegenheit zur Klärung eines wahrgenommenen Widerspruchs nicht nachgekommen ist.
Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen.
Ein solcher wurde weder dadurch, dass die Prüfungsaufsicht den Kläger das Konzeptpapier hat nummerieren und mit der Kennziffer versehen lassen und die Ausarbeitung auf Konzeptpapier nach telefonischer Rücksprache mit der örtlichen Prüfungsleitung – entgegen der Belehrung – entgegengenommen hat, begründet, noch durch die Aussage der Prüfungsaufsicht am … … 2022, der Kläger brauche sich keine Gedanken zu machen. Auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des Beklagten im Klageverfahren wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Der Beklagte weist zudem zutreffend darauf hin, dass der Kläger auch nicht darauf vertrauen durfte, dass die Prüfungsaufsicht ihn zusätzlich zur Belehrung persönlich auf die Pflicht zur Benutzung des Prüfungsrechts hinweist.
Auch aus der Möglichkeit, sich Konzeptpapier bei der Prüfungsaufsicht zu holen, ergibt sich ersichtlich kein Vertrauensschutz darauf, die zu bewertende schriftliche Prüfungsleistung hierauf erbringen zu dürfen.
Auch in einer Gesamtbetrachtung erscheint es im Einzelfall nicht unangemessen, das unbeschriebene Prüfungsheft trotz Vorliegens einer Ausarbeitung auf Konzeptpapier mit „ungenügend“ zu bewerten. Wenn man – wie das Gericht – die geschäftsmäßige Regelung, dass nur das Prüfungsheft zur Grundlage der Bewertung i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 JAPO gemacht wird, als rechtmäßig zu Grunde legt und – wie vorliegend – keine besonderen Umstände des Einzelfalls ein Abweichen erfordern, ist die strenge Konsequenz der Nichtbeachtung der „Hinweise“ eine Bewertung mit „ungenügend“, eine andere Konsequenz ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht ersichtlich.
Die Klage war somit abzuweisen.