Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 02.12.2022 zum Aktenzeichen 9 TaBV 44/22 entschieden, dass die Einigungsstelle zur Regelung der Übernahme von Fahrtkosten freigestellter Betriebsratsmitglieder eines regionalen Betriebsrats zum Betriebsratsbüro offensichtlich unzuständig i.S. d. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle.
Die Arbeitgeberin, ein Sportmode-Einzelhandelsunternehmen mit zahlreichen Verkaufsfilialen, schloss unter dem 21.01.2021 mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat eine „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung regionaler Betriebsräte“, mit welcher sechs regionale Betriebsräte gebildet und ua. Fragen der Ausstattung der Betriebsräte mit Arbeitsmitteln und Büros geregelt wurden. Unter Nr. 5 Buchst. c der Gesamtbetriebsvereinbarung heißt es in Bezug auf die regionalen Betriebsratsbüros:
„Das Büro hat so zu liegen, dass alle Mitglieder des regionalen Betriebsrates es zeitnah und kostengünstig erreichen können. An- und Abreise sind zeit- und kostenschonend zu planen. Der Arbeitgeber wird die Reisekosten in der Region übernehmen und die Buchungen vornehmen.
Dieses gilt wie folgt:
Zu 100% freigestellte Betriebsratsmitglieder gemäß § 38 BetrVG
(Optionen nach Wahl des Betriebsratsmitglieds):
Option 1: Der Arbeitgeber stellt dem Betriebsratsmitglied eine Bahncard 100, 2. Klasse, zur Verfügung; im Gegenzug verzichtet das Betriebsratsmitglied auf die Geltendmachung von weiteren Fahrtkosten gegenüber dem Arbeitgeber.
Option 2: Der Arbeitgeber übernimmt die tatsächlich entstandenen Reisekosten des Betriebsratsmitglieds gegen Vorlage der Originalquittungen; hinsichtlich der Fahrtkosten für die Fahrt vom Wohnort zum Betriebsratsbüro vereinbaren Arbeitgeber und freigestelltes Betriebsratsmitglied eine individuelle Übernahmevereinbarung.
(…)“
Gemäß Nr. 13 Buchst. c der Gesamtbetriebsvereinbarung entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung und Auslegung dieser Gesamtbetriebsvereinbarung eine paritätisch besetzte Kommission bestehend aus zwei Vertretern des Gesamtbetriebsrats bzw. zwei Vertretern des jeweiligen regionalen Betriebsrats und zwei Vertretern des Arbeitgebers. Kommt eine Einigung über die Anwendung und Auslegung nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG.
Mit seiner am 11.10.2022 dem Arbeitsgericht Köln übermittelten Antragsschrift begehrt der für die Region NRW gebildete siebenköpfige Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle hinsichtlich einer Vereinbarung über die Übernahme von Reisekosten für seine Betriebsratsvorsitzende und den ebenfalls freigestellten Schriftführer, nachdem die Arbeitgeberin die Zurverfügungstellung einer Bahncard 100 abgelehnt hatte. Er hat die Auffassung vertreten, dass es sich diesbezüglich um einen Streit über die Anwendung und Auslegung der Gesamtbetriebsvereinbarung handele, so dass nach Nr. 13 die Einigungsstelle anzurufen sei, nachdem vorherige Verhandlungen vor der nach der Gesamtbetriebsvereinbarung zu bildenden paritätischen Kommission gescheitert seien.
Gemäß § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG wird eine Einigungsstelle nur dann auf Antrag einer Seite tätig, wenn ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen würde. Dies ist hier nicht der Fall.
Die Erstattung von Fahrtkosten, die Betriebsratsmitgliedern bei ihrer Tätigkeit entstehen, unterliegt nicht der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats. Vielmehr hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG von Gesetzes wegen zu tragen, so dass es einer Regelung durch die Einigungsstelle nicht bedarf.
Die Zuständigkeit zur Regelung der Reisekosten Einigungsstelle ergibt sich auch nicht aus § 85 Abs. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung einer Arbeitnehmerbeschwerde bestehen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt in einem solchen Fall die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Weder liegt hier aber eine Beschwerde iSd. § 85 Abs. 1 BetrVG der Betriebsratsmitglieder E und K vor, noch ist der Antrag des Betriebsrats NRW auf die Entscheidung der Einigungsstelle über die Berechtigung einer solchen Beschwerde gerichtet. Dies wäre aber notwendig. Denn die Einigungsstelle kann vom Betriebsrat nur angerufen werden, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber eine Meinungsverschiedenheit über die Berechtigung der Beschwerde besteht, nicht dagegen, wenn die Beteiligten über Abhilfemaßnahmen streiten (BAG, Beschluss vom 22. November 2005 – 1 ABR 50/04 –, BAGE 116, 235-245, Rn. 42). Abhilfemaßnahmen sind vielmehr einem freiwilligen Einigungsstellenverfahren iSd. § 76 Abs. 6 BetrVG vorbehalten.
In einem freiwilligen Verfahren kann eine Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 6 Satz 1 BetrVG aber nur tätig werden, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat einvernehmlich mit ihrer Errichtung und ihrem Tätigwerden einverstanden sind (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 76 BetrVG, Rn. 106). Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, fehlt es hier an einem solchen Einverständnis der Arbeitgeberin. Dieses Einverständnis folgt auch nicht aus der „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung regionaler Betriebsräte“. Denn die Regelungsgegenstände „Übernahmevereinbarung zu Reisekosten der Betriebsratsvorsitzenden B E “ und „Übernahmevereinbarung zu Reisekosten des Schriftführers J K “ betreffen nicht Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung und Auslegung der Gesamtbetriebsvereinbarung, über welche die Einigungsstelle nach Nr. 13 Buchst. c der Gesamtbetriebsvereinbarung zu entscheiden hätte.
Eine solche Meinungsverschiedenheit könnte zwar bezüglich der Frage angenommen werden, ob die Arbeitgeberin die Zurverfügungstellung einer Bahncard 100 entgegen dem Wortlaut der Gesamtbetriebsvereinbarung ablehnen durfte. Darum geht es dem Betriebsrat NRW im vorliegenden Fall jedoch nicht. Er hat die Ablehnung offenbar akzeptiert und strebt nun die Regelung einer „Übernahmevereinbarung“ an, wie sie die Gesamtbetriebsvereinbarung unter Nr. 5 Buchst. c nur für die bei den Fahrten zwischen Wohnort und Betriebsratsbüro anfallenden Kosten vorsieht. Diese ist aber ausdrücklich individuellen Regelungen zwischen der Arbeitgeberin und den freigestellten Betriebsratsmitgliedern vorbehalten. Wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, ist die Übernahmevereinbarung damit vom sachlichen Geltungsbereich der Gesamtbetriebsvereinbarung ausgenommen. Die vom Betriebsrat NRW mit der Einsetzung der Einigungsstelle verfolgte Regelung der Übernahmevereinbarung ist damit keine Frage der Anwendung und Auslegung der Gesamtbetriebsvereinbarung, für die ihre Nr. 13 Buchst. c eine Zuständigkeit der Einigungsstelle begründen könnte. Dies gilt entgegen der Auffassung des Betriebsrats NRW nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Übernahmevereinbarung, sondern auch soweit es um deren Zustandekommen geht. Zwar ist die Regelung ihrem Wortlaut nach („vereinbaren“) auf den aktiven Abschluss einer Übernahmevereinbarung gerichtet. Die Beteiligten und die Einigungsstelle wären aber gar nicht befugt, die fehlende individualrechtliche Einigung zwischen den Arbeitnehmern und der Arbeitgeberin zu ersetzen.
Es kann dahinstehen, ob mit der Gesamtbetriebsvereinbarung eine Verpflichtung der Arbeitgeberin begründet werden sollte, mit freigestellten Betriebsratsmitgliedern eine individuelle Vereinbarung anzustreben und wenigstens entsprechende Bemühungen zu entfalten. Denn auch mit diesem Regelungsziel kann eine freiwillige Einigungsstelle nicht wirksam errichtet werden. Das freiwillige Einigungsstellenverfahren kann nur in Angelegenheiten durchgeführt werden, die in die Zuständigkeit des Betriebsrats fallen und über welche die Betriebsparteien verfügungsbefugt sind (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 76 BetrVG, Rn. 108). Die Einigungsstelle kann den Arbeitgeber hingegen nicht zum Abschluss einer Vereinbarung anhalten, für die sie keine Regelungszuständigkeit hat, wie dies bei der Erstattung der Kosten für Fahrten von freigestellten Betriebsratsmitgliedern zwischen Wohnort und Betriebsratsbüro der Fall wäre. Denn dabei handelt es sich nicht um einen zu erstattenden Sachaufwand iSd. § 40 BetrVG. Für freigestellte Betriebsratsmitglieder besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten zwischen dem Wohnort des Betriebsratsmitglieds und dem Sitz des Betriebsrats in dem Betrieb, für den der Betriebsrat gebildet ist. Dies gilt selbst dann, wenn das Betriebsratsmitglied ohne die Freistellung nicht in der Betriebsstätte arbeiten würde, in der sich der Sitz des Betriebsrats befindet, sondern in einer anderen, seinem Wohnort näher gelegenen Betriebsstätte (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 40 BetrVG, Rn. 48). Denn durch die Freistellung ändert sich der Ort der Leistungserbringung, zu dem sich der Arbeitnehmer auf eigene Kosten zu begeben hat (BAG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 7 ABR 62/06 –, Rn. 13, 14, juris). Demgemäß dürfte auf die Arbeitgeberin nicht mit Hilfe der Einigungsstelle eingewirkt werden, eine Übernahmevereinbarung bezüglich der Kosten für die Fahrten zum Betriebsratsbüro zu treffen.
Steht somit bereits aufgrund der fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeit in sachlicher Hinsicht die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle für den im Antrag bezeichneten Regelungsgenstand fest, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat geschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung dem Antragsteller als regionalem Betriebsrat überhaupt ein eigenes Recht zur Anrufung der Einigungsstelle bei Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung und Auslegung der Gesamtbetriebsvereinbarung einräumt und ob, wie die Arbeitgeberin meint, die vom Antragsteller gewünschte Regelung gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG verstoßen würde.