Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 20.01.2023 zum Aktenzeichen 9 TaBV 36/22 entschieden, dass der Betriebsrat kein Beteiligungsrecht bei der Einstellung eines leitenden Angestellten hat und dabei zu der Voraussetzungen eines leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG ausgeführt.
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer Einstellung.
Die zum dänischen N -Konzern gehörende Arbeitgeberin, die in K mit ca. 750 Arbeitnehmern Kabel herstellt, schloss am 28.10.2020 mit Herrn F S einen „unbefristeten außertariflichen Anstellungsvertrag“ als „VP Operational Excellence“ in der Business Line „High Voltage Solutions Cologne“. Gemäß § 1 des Arbeitsvertrags ist die Funktion „mit Prokura verbunden und auf leitender Ebene definiert“. Die in § 4 des Arbeitsvertrags vereinbarte Bruttovergütung beträgt 14.000 EUR/Monat mit einem Zielbonus von 15% der Jahresgehaltssumme, der sich auf maximal 30% erhöhen kann. Ferner steht Herrn S ein Dienstwagen zu, den er auch privat nutzen darf. Am 08.09.2021 wurde die Herrn S von der Komplementärin der Arbeitgeberin erteilte Gesamtprokura gemeinsam mit einem Geschäftsführer oder einem anderen Prokuristen in das Handelsregister eingetragen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass er zur Einstellung von Herrn S mit der Bitte um Zustimmung hätte beteiligt werden müssen. Herr S sei kein leitender Angestellter, da er – so die Behauptung des Betriebsrats – keine bedeutsamen Aufgaben im Unternehmen oder Betrieb wahrnehme, die einen beachtlichen Teilbereich der unternehmerischen Gesamtaufgaben beträfen. Er könne auch nicht Entscheidungen der Unternehmensleitung maßgeblich beeinflussen. Zu selbständigen Einstellungen und Entlassungen sei er nicht befugt. Sämtliche von Herrn S vorgenommenen Einstellungen seien vom HR Direktor mitgezeichnet gewesen.
Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann ein Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine personelle Maßnahme iSd. § 99 Abs. 1Satz 1 BetrVG aufzuheben, wenn der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführt. Denn nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat in Unternehmen wie dem der Arbeitgeberin, das in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, vor jeder Einstellung und Versetzung unterrichten und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einholen. Eine personelle Einzelmaßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann daher nur nach Zustimmung des Betriebsrats oder ihrer rechtskräftigen Ersetzung in einem Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG oder als vorläufige personelle Maßnahme unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG vorgenommen werden (BAG, Beschluss vom 14. Juni 2022 – 1 ABR 13/21 –, Rn. 16, juris).
Zwar hatte die Arbeitgeberin den Betriebsrat bei der Einstellung des Herrn S nicht um vorherige Zustimmung gebeten. Dazu war sie jedoch nicht verpflichtet, weil Herr S leitender Angestellter ist, auf den die §§ 99,101 BetrVG gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG keine Anwendung finden. Die Sonderregelung für leitende Angestellte in § 5 Abs. 3 BetrVG hat ihren Grund in dem natürlichen Interessengegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Auch wenn leitende Angestellte durchaus spezifische Arbeitnehmerinteressen haben, unterscheiden sie sich von den übrigen Arbeitnehmern dadurch, dass sie im Unternehmen typische Unternehmeraufgaben mit einem eigenen erheblichen Entscheidungsspielraum wahrnehmen; sie müssen sich mit den Interessen des Unternehmers identifizieren (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 5 BetrVG, Rn. 355, 356).
Herr S ist leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 BetrVG.
Allerdings erscheint es der Kammer zweifelhaft, ob sich dies, wie das Arbeitsgericht meint, aus § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG ergibt.
Danach ist leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist. Diese Zuordnungskriterien beruhen auf der Wertung des Gesetzgebers, nach der eine Einstellungs- und Entlassungsbefugnis die leitende Funktion eines Angestellten im Betrieb oder im Unternehmen in besonderer Weise zum Ausdruck bringt. Einstellungen und Entlassungen sind Instrumente der Personalwirtschaft und damit unternehmerische Tätigkeit. Wird diese Befugnis einem Angestellten übertragen, so ist er Repräsentant des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat. Es genügt aber nicht jede Einstellungs- und Entlassungsbefugnis für die Herausnahme aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG liegen nicht vor bei Arbeitnehmern, deren Personalkompetenzen nur von untergeordneter Bedeutung für den Betrieb und damit auch für das Unternehmen sind. Die Ausübung der Personalkompetenz darf auch nicht von der Zustimmung einer anderen Person abhängig sein. Für die Selbständigkeit der Personalbefugnis ist vielmehr erforderlich, dass die betreffende Person die vertraglich eingeräumte Vertretungsmacht besitzt, im Namen des Arbeitgebers die notwendigen Willenserklärungen gegenüber einzustellenden oder zu entlassenden Arbeitnehmern abzugeben und diese Entscheidung seitens des Arbeitgebers nicht unterbunden werden kann (BAG, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 7 ABR 14/21 –, Rn. 28, 29, 34, juris).
Entsprechende Personalkompetenzen sind für sog. OpEx-Manager wie Herr S jedoch regelmäßig nicht typisch. Sie werden auch durch das Ergebnis der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht hinreichend belegt.
Operational Excellence (OpEx) beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Abläufe und Systeme über die gesamte Wertschöpfungskette im Hinblick auf Effektivität und Effizienz kontinuierlich zu optimieren. OpeEx-Manager haben dabei neben der Koordination und Organisation des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses die Verbesserungspotentiale zu erkennen und die verschiedenen Unternehmensaufgaben sowie den Personaleinsatz so zu organisieren, dass sie sich sinnvoll und zweckgerichtet ineinanderfügen. Wesentlicher Bestandteil ihres Aufgabenfelds ist es regelmäßig hingegen nicht, Personalentscheidungen zu treffen und umzusetzen.
Auch nach der Anhörung des Herrn S kann die Kammer nicht davon ausgehen, dass seine leitende Funktion im Unternehmen der Arbeitgeberin durch seine Einstellungs- und Entlassungsbefugnis geprägt wird. Er hat zwar bekundet, zur Einstellung von ca. 10% der Belegschaft befugt zu sein. Diese Befugnis hat sich in seinem beruflichen Alltag jedoch bislang nicht niedergeschlagen. Dass sich Herr S bei der Besetzung der Stelle eines Factory IT Business Partners gegenüber dem Personalvorschlag von HR durchgesetzt und sich im Projektmanagement zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem ehemaligen Chef der Qualitätssicherung entschieden hat, unterscheidet seine Stellung nicht von der eines Fachvorgesetzten, ohne dessen Einbeziehung regelmäßig und sinnvollerweise Personalentscheidungen nicht vorgenommen werden. Zudem waren an den von Herrn Schönhoff angesprochenen Personalmaßnahmen HR und die Geschäftsführung beteiligt.
Herr S ist jedoch leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 Satz 2Nr. 3 BetrVG.
Danach ist leitender Angestellter, wer nach seinem Arbeitsvertrag und seiner Stellung im Unternehmen oder Betrieb regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und für die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst. Die in der Norm verwandten Worte „sonstige Aufgaben“ bringen zum Ausdruck, dass der Angestellte spezifische unternehmerische Führungsaufgaben zB. in wirtschaftlicher, technischer, kaufmännischer, organisatorischer, personeller, rechtlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht wahrnehmen muss. Voraussetzung für die Wahrnehmung einer unternehmerischen (Teil-)Aufgabe ist, dass dem leitenden Angestellten rechtlich und tatsächlich ein eigener und erheblicher Entscheidungsspielraum zur Verfügung steht. Er muss mit weitgehender Weisungsfreiheit und Selbstbestimmung seinen Tätigkeitsbereich wahrnehmen und kraft seiner leitenden Funktion maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Vorgegebene Rahmenbedingungen – etwa Richtlinien – sprechen nicht zwingend gegen die unternehmerischen Entscheidungsbefugnisse. Entscheidend ist, welche Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten dem Angestellten innerhalb der zu beachtenden Rahmenbedingungen eingeräumt sind. Der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG erforderliche Einfluss auf die Unternehmensführung kann darin bestehen, dass der leitende Angestellte selbst die Entscheidungen trifft, aber auch darin, dass er kraft seiner Schlüsselposition Voraussetzungen schafft, an denen die Unternehmensleitung schlechterdings nicht vorbeigehen kann (BAG, Beschluss vom 4. Mai 2022– 7 ABR 14/21 –, Rn. 46 – 47, juris).
Das ist bei einem OpEx-Manager wie Herrn S der Fall. Als „Vice President Operational Excellence“ ist er auf einer so hohen Stufe im Geschäftsbereich „High Voltage“ angesiedelt, dass er den kontinuierlichen Verbesserungsprozess in den Bereichen Betrieb, Lieferkette und Produktentwicklung maßgeblich gestaltet und damit für die Entwicklung des Unternehmens als Kabelhersteller und für die Umsetzung der Unternehmensstrategie eine Schlüsselposition einnimmt. Selbst wenn man dem Bereich „Operational Excellence“ nur eine sog. Stabsfunktion beimessen würde, handelte es sich um ein bedeutsames Aufgabengebiet. Allein durch die Planung und Beratung bei der Organisation und Implementierung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses nehmen OpEx-Manager erheblichen Einfluss auf die Strategie und Führung des Unternehmens. Sie werden nicht nur bei unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen von Aufsichts- oder Überwachungsfunktionen eingeschaltet. Herr S hat zudem, wie er in seiner Anhörung vor dem Arbeitsgericht bekundet hat, umfangreiche Entscheidungsbefugnisse, die seine Position im Unternehmen prägen und seine Zuordnung zum Kreis der leitenden Angestellten rechtfertigen. Belegt wird dies ferner dadurch, dass ihm die persönlich haftende Gesellschafterin der Arbeitgeberin Gesamtprokura eingeräumt hat.
Ohne dass es darauf noch ankäme, führt auch die Einräumung der Prokura dazu, dass Herr S auch gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG als leitender Angestellter anzusehen ist.
Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG ist leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist. Das funktionsbezogene Merkmal der auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutenden Prokura ist dahin zu verstehen, dass das der Prokura zu Grunde liegende Aufgabengebiet nicht unbedeutend sein darf. Ausschlaggebend für die Zuordnung eines Prokuristen zum Personenkreis der leitenden Angestellten iSd. § 5 Abs. 3 BetrVG sind daher nicht nur die mit der Prokura verbundenen formellen und umfassenden Vertretungsbefugnisse im Außenverhältnis, sondern auch die damit verbundenen unternehmerischen Aufgaben, um derentwillen dem Arbeitnehmer die Prokura verliehen worden ist. Diese unternehmerischen Aufgaben dürfen nach Sinn und Zweck des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG nicht von einer untergeordneten Bedeutung sein, weil es sonst an dem vom Gesetzgeber für den Personenkreis der leitenden Angestellten angenommenen Interessengegensatz zum Betriebsrat fehlen würde. Als leitender Angestellter muss ein Prokurist unternehmerische Führungsaufgaben wahrnehmen (BAG, Beschluss vom 25. März 2009 – 7 ABR 2/08 –, Rn. 16, juris). Solche Führungsaufgaben hat Herr S in seiner Funktion als „Vice President Operational Excellence“. Dass er die Prokura, etwa bei Leasingverträgen und Angeboten, auch in Anspruch nimmt, hat er bei seiner Anhörung durch das Arbeitsgericht bekundet.
Unschädlich ist für die Qualifizierung als leitender Angestellter, dass die Prokura nicht unmittelbar durch die Arbeitgeberin, sondern durch deren persönlich haftende Gesellschafterin eingeräumt wurde. Maßgeblich ist vielmehr, dass Herr S iSd. Eingangssatzes von § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG „nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb“ Prokura hat und dass diese, wie bereits bejaht, nicht unbedeutend ist. Die Bestellung zum Prokuristen ist im Arbeitsvertrag zwischen Herrn S und der Arbeitgeberin vereinbart. Diese Prokura, auch wenn sie durch die persönlich haftende Gesellschafterin eingeräumt wurde, ermächtigt Herrn S , für den Betrieb und das Unternehmen der Arbeitgeberin alle Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen zu tätigen, die ihr Betrieb mit sich bringt. Denn die Geschäfte der Arbeitgeberin werden gemäß §§ 49 Abs. 1, 125 Abs. 1, 161 Abs. 2, 170 HGB durch die persönlich haftende Gesellschafterin und deren Prokuristen als Vertreter geführt.