Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15. März 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 325/23 entschieden, dass eine Anhörungsrüge nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) erhoben werden muss, wenn ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vorliegt.
Der Beschwerdeführer hat nicht alle prozessualen Möglichkeiten ergriffen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Verfahren zu beseitigen. Er hat – jedenfalls bislang – keine Anhörungsrüge gemäß § 77 Abs. 1 IRG in Verbindung mit § 33a StPO erhoben, obgleich viel dafür spricht, dass der angegriffene Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Zwar hat das Gericht bei der Abfassung seiner Entscheidungsgründe eine gewisse Freiheit und kann sich auf die für den Entscheidungsausgang wesentlichen Aspekte beschränken, ohne dass darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt. Wenn aber ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht beachtet worden ist.
Ausgehend hiervon dürfte die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzen, weil das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Kern seines Parteivorbringens betreffend die Frage, ob seine Abwesenheit bei der Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht in Olawa am 3. April 2019 ein Auslieferungshindernis darstellt, ausweislich der Entscheidungsgründe nicht erwogen hat.
Dies gilt zunächst, soweit das Oberlandesgericht angenommen hat, die Verurteilung in Abwesenheit mache die Auslieferung nicht unzulässig, weil die polnischen Behörden mitgeteilt hätten, die Verurteilung habe auf einer Absprache zwischen dem Beschwerdeführer und der Staatsanwaltschaft beruht, sodass er gewusst habe, dass er in der nachfolgenden Gerichtsverhandlung absprachegemäß verurteilt werde, wenn er nicht erscheine. Der Sache nach geht das Oberlandesgericht insoweit offenbar davon aus, bei einer Verfahrensabsprache zwischen einem Verfolgten und der Staatsanwaltschaft nach Art. 335 der polnischen Strafprozessordnung könne es nicht zu einem der Auslieferung entgegenstehenden Abwesenheitsurteil im Sinne des § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG kommen. Dieser Rechtsauffassung hat der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren allerdings ausdrücklich widersprochen und auf die seine Auffassung stützende Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen hingewiesen. Letzteres ist davon ausgegangen, ein Abwesenheitsurteil im Sinne des § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG liege auch dann vor, wenn der Verfolgte zu der Sitzung, die das Gericht in Ansehung einer Verfahrensabsprache zwischen Staatsanwaltschaft und Verfolgtem gemäß Art. 335 der polnischen Strafprozessordnung anberaumt hat, nicht erscheint und ein Urteil entsprechend der Absprache ergeht. Hiermit hätte sich das Oberlandesgericht auseinandersetzen müssen.
Soweit sich das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht darüber hinaus auf den Standpunkt gestellt hat, die polnischen Behörden hätten dem Beschwerdeführer die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens zugesichert, hat es den Kern seines Vorbringens ebenfalls nicht erkennbar erwogen. Auch insoweit hat der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren unter Auseinandersetzung mit den Regelungen des polnischen Wiederaufnahmerechts umfangreiche rechtliche Ausführungen gemacht und seinem Standpunkt unter Verweis auf verfassungs- und obergerichtliche Rechtsprechung sowie Stimmen im Schrifttum Nachdruck verliehen. Zu alledem verhält sich das Oberlandesgericht nicht. Dies legt den Schluss nahe, dass es den Vortrag des Beschwerdeführers nicht beachtet hat.
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 23. Februar 2023 dürfte auch auf diesem Gehörsverstoß beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht, hätte es die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, zu einem anderen, ihm günstigeren Ergebnis gekommen wäre.