Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 1. März 2023 zum Aktenzeichen IV ZR 112/22 entschieden, dass die vom Versicherer gemäß § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV im Versicherungsfall zu leistende Entschädigung für die einem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten auch den Ersatz für Bonusmeilen umfasst, die eine versicherte Person zur Begleichung angefallener Reisekosten eingesetzt hat und die sie gemäß den Bedingungen des Bonusmeilenprogramms nach Stornierung der Reise nicht erstattet erhält.
Der Kläger macht als mitversicherte Person Ansprüche aus einer Reiserücktrittskostenversicherung geltend, die seine Ehefrau im Rahmen eines Jahres-Reiseschutzbriefs für Familien bei der Beklagten abgeschlossen hat.
Nach der in den Versicherungsbedingungen der Beklagten enthaltenen „Leistungsübersicht auf einen Blick“ umfasst der Reiseschutzbrief unter anderem eine „Reiserücktrittskostenversicherung für die Absicherung eines Reisepreises von 3.000,00 €“. In den nachfolgenden Erläuterungen zum „Umfang des Versicherungsschutzes und der Leistungen“ heißt es:
„Reiserücktrittskosten-Versicherung
Der Versicherungsschutz dient zur Abdeckung eines Reisepreises von
…
3.000,00 € beim Schutzbrief … .
Versichert sind unter anderem Stornokosten bei Nichtantritt der Reise bis zu 80 % des Reisepreises … .
…“
Die in das Versicherungsverhältnis einbezogenen Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung (ABRV) lauten auszugsweise:
„§ 1 Versicherungsumfang
der Versicherer leistet Entschädigung:
bei Nichtantritt der Reise für die dem Reiseunternehmen oder einem anderen vom Versicherten vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten;
…“
Im August 2019 buchte der Kläger bei einer Fluggesellschaft Hin- und Rückflüge von Deutschland in die USA, die er mit Bonusmeilen aus einem von der Fluggesellschaft angebotenen Bonusprogramm bezahlte. Aufgrund einer Erkrankung stornierte der Kläger die Flugreise. In Übereinstimmung mit den Bedingungen der Fluggesellschaft wurden ihm die eingesetzten Bonusmeilen infolge des Nichtantritts der Flugreise nicht erstattet.
Die vom Versicherer gemäß § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV im Versicherungsfall zu leistende Entschädigung für die einem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten umfasst auch den Ersatz für Bonusmeilen, die eine versicherte Person zur Begleichung angefallener Reisekosten eingesetzt hat und die sie gemäß den Bedingungen des Bonusmeilenprogramms nach Stornierung der Reise nicht erstattet erhält. Dies ergibt die Auslegung der Klausel.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.
Gemessen daran ist § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV dahingehend auszulegen, dass zu den im Versicherungsfall vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten, für die die Beklagte Entschädigung verspricht, auch nicht erstattete Bonusmeilen gehören.
Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut des § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV das Versprechen der Beklagten, ihn bei Nichtantritt der Reise für die dem Reiseunternehmen oder einem anderen von der versicherten Person vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten zu entschädigen. Als zu entschädigende Rücktrittskosten wird er die von ihm vertraglich geschuldete Gegenleistung ansehen, soweit sie ihm infolge des Nichtantritts der Reise nicht erstattet wird. Eine Beschränkung auf Geldzahlungen oder handelbare Leistungen wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dagegen nicht annehmen. Dem Bedingungswortlaut wird er eine Beschränkung des Leistungsversprechens nur dahingehend entnehmen, dass es sich um solche Kosten handeln muss, die die versicherte Person dem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich schuldet.
In diesem Verständnis wird sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer durch den ihm erkennbaren Sinnzusammenhang der Bedingungen und den Zweck der Reiserücktrittskostenversicherung bestätigt sehen.
Vom Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung wird sich ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer Schutz vor solchen Kosten versprechen, die dadurch entstehen, dass die versicherte Person eine gebuchte Reise krankheitsbedingt nicht antreten kann. Die Reiserücktrittskostenversicherung soll gegen einen Schaden in Gestalt nutzloser Aufwendungen für die ausgefallene Reise absichern zur Reiseabbruchversicherung). Versichert ist das Interesse, von Unwägbarkeiten und finanziellen Risiken befreit zu werden, die mit der Buchung einer Reise verbunden sind, deren Antritt gegebenenfalls erst Wochen oder Monate später ansteht.
Daraus wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer ableiten, dass der Versicherer verspricht, für eine konkrete Vermögenseinbuße infolge des Nichtantritts der Reise aufzukommen. Als Vermögenseinbuße wird er nicht nur Geldzahlungen, sondern auch sonstige Vermögensnachteile ansehen. Er wird aus dem ihm erkennbaren Sinn der Reiserücktrittskostenversicherung ableiten, dass sich das Leistungsversprechen des Versicherers darauf bezieht, für eine konkrete Vermögenseinbuße aufzukommen, die dem Versicherungsnehmer oder der mitversicherten Person wegen des Nichtantritts einer Reise aufgrund eines versicherten Ereignisses entsteht. Darunter wird er auch nutzlose Aufwendungen fassen, für die es keinen Markt gibt, an dem sie gekauft oder verkauft werden können, solange die aufgewandten Vermögensbestandteile für die versicherte Person werthaltig sind. Werden solche Aufwendungen infolge des Nichtantritts der Reise nicht erstattet, verwirklicht sich auch darin ein mit der Buchung einer Reiseleistung verbundenes finanzielles Risiko. So liegt es bei den vom Kläger für die Flugreise aufgewandten Bonusmeilen. Ihnen kommt ungeachtet ihrer fehlenden Handelbarkeit ein Wert zu, weil der Kläger sie im Rahmen des Bonusprogramms als Gegenleistung für angebotene Waren oder Dienstleistungen einsetzen kann. Demgegenüber kommt es für das Vorliegen bedingungsgemäßer Rücktrittskosten auf die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Fragen, ob die versicherte Person die Bonusmeilen gegen eine Gegenleistung erworben hat oder ob es sich bei Bonuspunkten im Rahmen von Kundenbindungsprogrammen um sogenanntes E-Geld im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten handelt, nicht an.
Dieses Verständnis wird durch das vom Berufungsgericht angeführte Schutzbedürfnis der Versichertengemeinschaft davor, dass die versicherte Person infolge eines vorgetäuschten Versicherungsfalls eine nicht geldwerte Gegenleistung mittels der erlangten Versicherungsleistung handelbar macht, nicht in Frage gestellt. Ein Wille der Beklagten, das dahinterstehende subjektive Risiko durch eine Beschränkung des Leistungsversprechens zu verringern, kommt in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht zum Ausdruck.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht im Sinne von § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar.
Die Entschädigung für die vom Kläger nutzlos aufgewandten Bonusmeilen ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte gemäß § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV nur Entschädigung für solche Rücktrittskosten verspricht, die dem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich geschuldet sind. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird unter vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten nicht nur solche Kosten verstehen, die nach dem Vertrag mit dem Reiseanbieter erst infolge des Rücktritts entstehen. Vielmehr wird er den Begriff der Rücktrittskosten mit Blick auf den Sinnzusammenhang und den Zweck der Reiserücktrittsversicherung dahingehend verstehen, dass vertraglich geschuldete Rücktrittskosten alle auf dem Vertrag mit dem Reiseunternehmer oder einem Dritten beruhende Aufwendungen umfassen, die infolge des Nichtantritts der Reise wegen eines versicherten Ereignisses nutzlos geworden sind. Nach den Erläuterungen der Beklagten zum Umfang des Versicherungsschutzes und der Leistungen in der Reiserücktrittskostenversicherung dient der gewährte Versicherungsschutz zur Abdeckung eines Reisepreises in vereinbarter Höhe, wobei unter anderem Stornokosten bei Nichtantritt der Reise bis zur vereinbarten Höhe des Reisepreises versichert sind. Daraus leitet ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer das Versprechen der Beklagten ab, auch solche Aufwendungen als vertraglich geschuldete Rücktrittskosten zu entschädigen, die nach dem Vertrag mit dem Reiseanbieter bereits vor Nichtantritt der Reise erbracht und infolge des Nichtantritts nicht erstattet worden sind.
Keiner Entscheidung bedarf der Einwand der Revisionserwiderung, der verständige Versicherungsnehmer verstehe unter vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten nicht jede frustrierte Aufwendung im Zusammenhang mit einer nicht angetretenen Reise, so dass etwa Aufwendungen für ein Visum, für Impfungen oder sonstige Reiseausrüstungskosten nicht von der Reiserücktrittskostenversicherung gedeckt seien. Zu entschädigen sind gemäß § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV jedenfalls diejenigen Rücktrittskosten, die der Kläger vertraglich schuldet. Das umfasst die aufgewandten Bonusmeilen, die der Kläger vertragsgemäß gegenüber der Fluggesellschaft als Gegenleistung für die Reiseleistungen eingesetzt hat.