Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 07. Februar 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 1057/22, dass eine verwaltungsgerichtliche Feststellung der Klagerücknahmefiktion wegen ausgebliebener Klagebegründung bei unerfülltem Akteneinsichtsgesuch verfassungswidrig ist.
Der am 13. Dezember 2002 geborene Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 14. Oktober 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24. Januar 2020 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag ab, verneinte das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten, drohte die Abschiebung in den Iran unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise an und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an.
Gegen diesen Bescheid erhob der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers am 9. Dezember 2020 ohne Begründung Klage zum Verwaltungsgericht Frankfurt am Main und beantragte im selben Schriftsatz die Gewährung von Akteneinsicht in die behördliche Verfahrensakte.
Am 11. Dezember 2020 bestätigte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Eingang der Klage und verwies wegen der Klagebegründung auf eine erteilte Belehrung zu § 74 Abs. 2 AsylG. Eine Übersendung der Verfahrensakte erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2021 erinnerte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers an die Vorlage der Klagebegründung. Dieses Erinnerungsschreiben wurde jedoch nicht an den Beschwerdeführer übersandt.
Mit Betreibensaufforderung vom 10. März 2021, dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt am 12. März 2021, wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, binnen eines Monats nach Zustellung des Schreibens sein individuelles Verfolgungsschicksal zu schildern und mitzuteilen, warum es ihm im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zumutbar sei, in sein Heimatland zurückzukehren. Im Schreiben erfolgte der Hinweis, dass bei Nichteinhaltung der Frist die Klage nach § 81 AsylG als zurückgenommen gelte und der Beschwerdeführer die Ko-sten des Verfahrens zu tragen habe.
Mit Schreiben vom 12. April 2021 teilte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vorsorglich mit, dass das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers unvermindert fortbestehe. Zur Anwendung des § 81 AsylG verwies er auf seinen Vortrag in einem ebenfalls von ihm geführten Verfahren vor derselben Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main. Im Übrigen erinnerte er an den Antrag auf Akteneinsicht und führte aus, dass die Begründung der Klage ohne Vorliegen der Verfahrensakte der Beklagten wenig sinnvoll sei.
Mit Beschluss vom 16. April 2021 stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main das Verfahren wegen Nichtbetreibens gemäß § 81 Satz 1 AsylG nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO ein.
Am 21. April 2021 wies der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers darauf hin, dass das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers fortbestehe und die beantragte Akteneinsicht bisher nicht gewährt worden sei. Er beantragte vor diesem Hintergrund die Fortsetzung des Verfahrens. Auf Rückfrage des Gerichts vom 23. April 2021 verzichtete der Beschwerdeführer auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Am 4. Mai 2021 übermittelte das Gericht dem Prozessbevollmächtigen einen Ausdruck der elektronischen Verfahrensakte des Bundesamts.
Mit angegriffenem Urteil vom 10. Mai 2021 stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main fest, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Das gerichtliche Verfahren sei durch den Eintritt der Fiktion der Klagerücknahme nach § 81 Satz 1 AsylG wirksam beendet worden. Die sachlichen Voraussetzungen für die Betreibensaufforderung hätten entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers vorgelegen. Vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG müssten sachlich begründete konkrete Anhaltspunkte zu Tage treten, die darauf hinweisen, dass beim Kläger das Rechtsschutzinteresse entfallen sein könnte. Unter Verweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. September 2002 (1 B 103.02, juris, Rn. 4) führte das Gericht aus, dass bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses beim Kläger bestehen müssten. Derartige Zweifel am Rechtsschutzinteresse seien bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten anzunehmen, wozu auch die Klagebegründungspflicht des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG gehöre. Der Umfang der Begründungspflicht ergebe sich aus der Mitwirkungspflicht des Asylklägers nach § 15 AsylG in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO. Er müsse die Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung in schlüssiger Form vortragen. Da die Klagebegründungsfrist gesetzlich statuiert sei, bedürfe es auch keiner prozessleitenden Verfügung des Gerichts zur Konkretisierung dieser Pflicht. Eine Betreibensaufforderung nach § 81 AsylG könne zulässigerweise an die Verletzung der Klagebegründungspflicht des § 74 Abs. 2 AsylG geknüpft werden. Die Frist zur Vorlage der Klagebegründung habe für den Beschwerdeführer einen Monat nach Zustellung des Bescheids des Bundesamts am 7. Januar 2021 geendet. Hierüber sei auch in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids belehrt worden. Unerheblich sei, dass dem Bevollmächtigten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Behördenakte gewährt worden war, denn der Gesetzgeber gehe vor dem Hintergrund der Klagebegründungsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG davon aus, dass eine Klagebegründung auch schon vor Akteneinsicht vorzulegen sei. Zudem habe zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Bescheid bestanden, der dem Beschwerdeführer vorgelegen habe. Der bloße Hinweis des Beschwerdeführers, er habe weiterhin Interesse an der Fortführung des Verfahrens, stelle kein Betreiben des Verfahrens im Sinne von § 81 Satz 1 AsylG dar, weil er mit dem gerichtlichen Schreiben vom 15. Januar 2021 ausdrücklich zur Vorlage einer Klagebegründung aufgefordert worden sei.
Am 14. Juni 2021 beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO. Er sei durch das Urteil in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Durch die fehlerhafte Bejahung der Voraussetzungen der fiktiven Klagerücknahme sei ihm die Möglichkeit genommen worden, die Rechtswidrigkeit des Bescheids geltend zu machen, was unter Verweis auf den Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2019 (2 BvR 12/19, Rn. 14) eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG darstelle.
Mit angegriffenem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. März 2022, dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt am 30. März 2022, wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Am 2. Mai 2022 erhob der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers Anhörungsrüge und beantragte, das Verfahren fortzuführen. Zudem beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 30. Mai 2022 verwarf der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Anhörungsrüge als unzulässig. Unter anderem führte er aus: Die Einhaltung der Rügefrist könne mangels Glaubhaftmachung des tatsächlichen Zeitpunkts der Kenntniserlangung nicht beurteilt werden, sodass der Beschwerdeführer so zu behandeln sei, als habe er die Frist versäumt. Die Rüge sei gemäß § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben und der Zeitpunkt der Kenntniserlangung glaubhaft zu machen. Der Prozessbevollmächtigte habe vorgetragen, die Tatsache, dass die verwaltungsgerichtliche Erinnerung an die Vorlage der Klagebegründung vom 15. Januar 2021 ihm nicht vorliege, habe er unmittelbar nach Eingang des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs am 30. März 2022 feststellen können. Dieser habe jedoch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, weshalb er dennoch über zwei Wochen in den sonstigen Büroräumen gesucht habe, bevor er am 22. April 2022 das Gericht telefonisch kontaktiert habe. Die Anhörungsrüge sei überdies unbegründet, weil es an der Entscheidungserheblichkeit der Gehörsverletzung fehle.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat durch die Feststellung, dass die Klage als zurückgenommen gelte, gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen.
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfachgesetzlichen Prozessordnungen. Der Weg zu den Gerichten, insbesondere auch zur inhaltlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung, darf von der Erfüllung und dem Fortbestand bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 9, 194 <199 f.>; 10, 264 <267 f.>; 27, 297 <310>; 35, 65 <72 f.>). Die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs muss aber das Ziel dieser Rechtsgewährleistung, nämlich den wirkungsvollen Rechtsschutz, auch tatsächlich verfolgen und ermöglichen (vgl. BVerfGE 110, 77 <85>). Sie muss im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtsuchenden zumutbar sein (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>). Der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 78, 88 <99>; 110, 77 <85>; stRspr). Dieser Grundsatz gilt auch innerhalb des jeweils eingeleiteten Verfahrens, soweit es darum geht, sich dort effektiv Gehör verschaffen zu können, und nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht selbst (vgl. BVerfGE 81, 123 <129>). Der gerichtlichen Durchsetzung des materiellen Anspruchs dürfen auch hier nicht unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hindernisse in den Weg gelegt werden (vgl. BVerfGE 53, 115 <127 f.>).
Im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. BVerfGE 61, 126 <135>; 96, 27 <39 f.>; 110, 77 <85>). Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung; fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen.
Das erforderliche Rechtsschutzinteresse kann im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens entfallen. Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzinteresses kann ein Gericht im Einzelfall auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung mangels Sachbescheidungsinteresses nicht mehr gelegen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95 -, Rn. 17).
Eine Regelung über eine Verfahrensbeendigung wegen unterstellten Wegfalls des Rechtsschutzinteresses ist grundsätzlich von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 1993 – 2 BvR 1972/92 -, juris). Allerdings führt die Rücknahmefiktion des § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise nach § 81 AsylG zur Beendigung des Rechtsschutzverfahrens mit möglicherweise irreversiblen Folgen, insbesondere, wenn behördliche Ausgangsentscheidungen dadurch in Bestandskraft erwachsen, ohne dass der Kläger dies durch ausdrückliche Erklärung in bewusster Entscheidung herbeigeführt hätte. Die Handhabung eines solch scharfen prozessualen Instruments muss daher im Lichte der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unter strikter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben erfolgen, verstanden als Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Kläger oder Antragsteller das von ihm eingeleitete Verfahren auch durchführen will. Insbesondere darf § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise § 81 AsylG nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder für unkooperatives Verhalten eines Beteiligten gedeutet oder eingesetzt werden. Hierfür ist die Rücknahmefiktion nicht konzipiert. Sie soll vielmehr nur die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzinteresses festlegen und gesetzlich legitimieren (vgl. zu § 79 AsylVfG BTDrucks 12/2062, S. 42: Vereinfachte Beendigung eines Verfahrens, „an dessen Fortführung der Kläger erkennbar kein Interesse mehr hat“; BVerfGK 20, 43 <49>).
Zwar gilt auch für die Rücknahmefiktion des § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise des § 81 AsylG, dass nicht jede fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts einen Verfassungsverstoß darstellt. Angesichts der gravierenden, den Rechtsschutz jedenfalls im konkreten Verfahren ohne Sachprüfung abschneidenden Wirkung dieser Vorschrift gebietet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG jedoch eine strenge Prüfung der fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung des § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise des § 81 AsylG durch das Bundesverfassungsgericht. Insbesondere hat es zu kontrollieren, ob die von den Verwaltungsgerichten mit Rücksicht auf die Rechtsschutzgarantie herausgearbeiteten Anforderungen an eine zulässige Betreibensaufforderung gewahrt und die Voraussetzungen für die Annahme eines Nichtbetreibens nicht verfehlt, insbesondere der Vorschrift hierbei keine falsche Zielrichtung gegeben wurden. Hiernach müssen zum einen zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte vorliegen, die den späteren Eintritt der Fiktion als gerechtfertigt erscheinen lassen. Solche Anhaltspunkte sind insbesondere dann gegeben, wenn der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000 – 8 B 119.00 -, NVwZ 2000, S. 1297 <1298>; Beschluss vom 12. April 2001 – 8 B 2.01 -, NVwZ 2001, S. 918; Beschluss vom 7. Juli 2005 – 10 BN 1.05 -, juris, Rn. 4). Zum anderen hat ein Kläger das Verfahren nur dann nicht mehr im Sinne von § 81 AsylG betrieben, wenn er innerhalb der Monatsfrist nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (ähnlich BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2005 – 10 BN 1.05 -, juris, Rn. 7; BVerfGK 20, 43 <50>).
Hieran gemessen bestand schon kein hinreichender Anlass, eine Betreibensaufforderung zu erlassen. Denn am Tag des Erlasses der Betreibensaufforderung, am 10. März 2021, lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer an der Fortführung des Verfahrens kein Interesse hatte.
Als Anhaltspunkt konnte insbesondere nicht die bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgte Begründung der am 9. Dezember 2020 erhobenen Klage gewertet werden. Aus der fehlenden Klagebegründung lässt sich im vorliegenden Einzelfall trotz der Mitwirkungspflicht aus § 74 Abs. 2 AsylG kein Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Beschwerdeführers herleiten.
Nach der VwGO ist anerkannt, dass allein das Ausbleiben einer – grundsätzlich vom Gesetz nicht geforderten – Klagebegründung regelmäßig nicht ausreicht, um einen Verstoß gegen die prozessualen Mitwirkungsverpflichtungen eines Klägers anzunehmen, der den Rückschluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses zulässt. Anders liegt der Fall zwar im Asylverfahrensrecht, da § 15 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO umfangreiche Mitwirkungspflichten statuieren. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2001 – 1 B 24.01 -, juris, Rn. 5; VG Kassel, Urteil vom 22. Februar 2018 – 1 K 302/17.KS.A -, juris). Entsprechend verpflichtet § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG den Kläger, die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Bescheids anzugeben (vgl. zu allem VG Kassel, Urteil vom 14. Februar 2019 – 3 K 6342/17.KS.A -, juris, Rn. 37).
Dennoch reicht im vorliegenden Einzelfall der Umstand, dass der Beschwerdeführer der Begründungspflicht des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG bis zum Ergehen der Betreibensaufforderung am 10. März 2021 nicht entsprochen hatte, nicht aus, um auf einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses zu schließen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main einem Antrag des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers auf Akteneinsicht noch nicht Folge geleistet. Es war nicht zwingend zu erwarten, dass dieser die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel trotz der Monatsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG vor erfolgter Akteneinsicht angeben würde. Denn die nachteilige Rechtsfolge der Präklusion nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG, § 87b Abs. 3 VwGO hatte er vor erfolgter Akteneinsicht nicht zu befürchten, da bei nicht rechtzeitig gewährter Akteneinsicht durch das Gericht auch eine Entschuldigung verspäteten Vortrags nach § 87b Abs. 3 VwGO in Frage kommt (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 87b VwGO, Rn. 58).
Da der Beschwerdeführer das Gericht noch in der Frist im Anschluss an die Betreibensaufforderung an die ausstehende Gewährung von Akteneinsicht erinnerte und ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse anzeigte, durfte er auf eine entsprechende Entschuldigung vertrauen. Wenn das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ein fehlendes Rechtsschutzinteresse anknüpfend an den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. Februar 1999 (- 3 Q 19/99 -, juris) allein aus dem Ablauf der Klagebegründungspflicht herleiten möchte, überzeugt dies nicht, da in diesem Verfahren nur fristwahrend Klage erhoben wurde und kein noch offener Antrag auf Akteneinsicht vorlag. Nicht überzeugend ist auch die Anknüpfung an weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, in denen von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses wegen Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten des § 74 Abs. 2 AsylG ausgegangen wurde, nachdem der jeweilige Kläger zumindest einmal an die Klagebegründung erinnert worden war (vgl. VG Kassel, Urteil vom 14. Februar 2019 – 3 K 6342/17.KS.A -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. August 2000 – 8 A 4052/00.A -, juris). Denn die Erinnerung an die Klagebegründung mit Schreiben des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Januar 2021 wurde vom Gericht nie an den Beschwerdeführer übersandt; insofern konnte sie beziehungsweise ihre Nichtbeachtung nicht als Indiz für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Beschwerdeführers dienen.
Offen bleiben kann, ob das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit seiner Annahme, dass eine Klagebegründung – spätestens nach einer Betreibensaufforderung – auch ohne Akteneinsicht vorgelegt werden muss, darüber hinaus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Da die Verwaltungsgerichte bisher noch nicht in der Sache entschieden und auch den Sachverhalt, soweit entscheidungserheblich, nicht aufgeklärt haben, ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung in der Sache zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis führt.