Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat mit Beschluss vom 14.10.2022 zum Aktenzeichen 1 Ws 187/22 entschieden, dass ein Schöffe nicht von seinem Amt zu entbinden ist.
Der Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses hat unter Hinweis darauf, dass gegen den Jugendhauptschöffen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in drei Fällen Anklage erhoben ist und gegen ihn wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht zwei Bußgeldbescheide erlassen worden sind, beantragt, ihn seines Amtes zu entheben und angeregt, ihm bis zur Entscheidung über diesen Antrag die Führung der Amtsgeschäfte vorläufig zu untersagen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Antrag beigetreten.
Die Voraussetzungen einer Amtsenthebung liegen nicht vor.
Der Schöffe hat vorliegend keine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG begangen. Weder die beiden mit Bußgeldern geahndeten Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter (unterstellt, dieser Anklagevorwurf bestätigt sich) erfüllen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau diese Voraussetzung.
§ 51 Abs. 1 GVG ist auch auf Fälle anwendbar, in denen dem Schöffen ein Verhalten zur Last gelegt wird, das einen Straftatbestand erfüllt. Die in § 32 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG getroffene Regelung, dass Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat von mehr als sechs Monaten verurteilt sind, von der Schöffenliste zu streichen sind, entfaltet keine Sperrwirkung dahingehend, dass der Schöffe nach der Begehung einer Straftat allein bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen aus dem Schöffenamt zu entfernen ist (a.A. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 51 Rn. 2; Barthe in KK-StPO, 8. Aufl., § 51 GVG Rn. 2).
Kann bereits nicht strafrechtlich relevantes Verhalten genügen, um die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 GVG zu erfüllen, muss dies erst Recht gelten, wenn das Verhalten zugleich eine Strafnorm erfüllt. Allein aus dem Umstand, dass die Ahndung einer solchen Tat hinter den Anforderungen des § 32 GVG zurückbleibt, lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass der Schöffe trotz Begehung der Tat als fähig zur Amtsausübung anzusehen wäre (OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2021 – Ws 952/21, juris Rn. 30; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2008 – OVG 4 E 3.08, juris Rn 3). Mit Einführung des § 51 GVG durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2248, 2250) sollte neben § 32 GVG unter engen Voraussetzungen eine weitere Möglichkeit geschaffen werden, einen Schöffen seines Amtes zu entheben (vgl. BT-Drucks. 17/3356 S. 17; BR-Drucks. 539/10 S. 20; OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2021 – Ws 952/21, juris Rn. 30).
Gemäß § 51 Abs. 1 GVG ist ein Schöffe seines Amtes zu entheben, wenn er seine Amtspflichten gröblich verletzt hat.
Eine solche Pflichtverletzung ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift dann anzunehmen, wenn der Schöffe ein Verhalten zeigt, das ihn aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Ausübung des Schöffenamtes erscheinen lässt, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden (OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2014 – 2 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 54; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 51 Rn. 2 mwN). Wann das erforderliche Maß der Pflichtverletzung erreicht ist, ist eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – B 1 SF 2/15 S, juris Rn. 6). Dabei ist mit Blick auf das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip des gesetzlichen Richters der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße zu beachten (BR-Drucks. 539/10 S. 21; OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2014 – 2 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 54 f.). Als Pflichtverletzungen von besonderer Erheblichkeit kommen neben der Verletzung des Beratungsgeheimnisses, wiederholtem unentschuldigtem Fernbleiben von Sitzungen, der nicht nur vorübergehenden fehlenden Sicherstellung der telefonischen und postalischen Erreichbarkeit sowie der Verweigerung der Eidesleistung (BR-Drucks. 539/10 S. 21) nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere verfassungsfeindliche Aktivitäten in Betracht. Denn der Gesetzgeber hat § 51 GVG vor allem deshalb geschaffen, um seiner Verpflichtung nachzukommen, Schöffen und Schöffinnen, die die freiheitlich demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen oder bekämpfen, ihres Amtes zu entheben (s. BR-Drucks. 539/10 S. 19 f.; zur Verfassungstreuepflicht eines ehrenamtlichen Richters allgemein s. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568). Ein entsprechendes schwerwiegendes Fehlverhalten außerhalb des Amtes kann insoweit genügen (BR-Drucks. 539/10 S. 20; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568 Rn. 29; OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2021 – Ws 952/21, juris Rn. 25; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 51 Rn. 2).
An diesem Maßstab gemessen genügt das dem Schöffen vorliegend zur Last gelegte Verhalten nicht, um eine gröbliche Amtspflichtverletzung anzunehmen. Durch die Teilnahme an den Versammlungen hat der Schöffe seine Grundrechte auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG wahrgenommen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die von ihm dabei zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der zum damaligen Zeitpunkt staatlich angeordneten Maskenpflicht im Freien zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bedeutet, dass er grundsätzlich staatliche Strukturen ablehnt und deshalb kein Repräsentant des Rechtsstaates mehr sein könnte (vgl. zu einem ehrenamtlichen Richter, der die ihm als Rettungssanitäter auferlegte Impfpflicht ablehnt: Sächsisches OVG, Beschluss vom 18.01.2022 – 3 F 28/21, juris Rn. 5). Sollte der Schöffe darüber hinaus wie angeklagt Versammlungen unter freiem Himmel ohne Anmeldung veranstaltet oder geleitet haben, ergäbe sich hieraus nichts Anderes. Das von § 26 VersammlG unter Strafe gestellte Unrecht besteht ausschließlich darin, dass einer behördlichen Meldepflicht nicht nachgekommen worden ist (BGH, Urteil vom 08.08.1969 – 2 StR 171/69, BGHSt 23, 46, juris Rn. 19). Eine die freiheitlich-demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnende Grundeinstellung des Schöffen kann hierin jedoch nicht erblickt werden. In den Blick zu nehmen ist insoweit auch der Charakter und Verlauf dieser Versammlungen. Es handelte sich ausnahmslos um friedliche Versammlungen, die zudem im Vorfeld über soziale Netzwerke bekannt gemacht worden waren und bei der nach Aktenlage lediglich zwischen 90 und 130 Personen teilnahmen. Grundrechte Dritter sind dabei nicht beeinträchtigt worden (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2021 – Ws 952/21, juris Rn. 26).
Den Erlass einer vorläufigen Maßnahme mit Blick auf die Möglichkeit, dass das anhängige Strafverfahren eine den Ausschlussgrund des § 32 Nr. 1 GVG erfüllende Verurteilung zur Folge haben kann, lässt das Gesetz nicht zu. Eine solche Handhabung stünde im Widerspruch zum Regelungskonzept des § 32 GVG, der eine Amtsenthebung schon bei Erhebung der Anklage nur zulässt, wenn – wie hier nicht – der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter droht, nicht aber dann, wenn allein die Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe in Betracht kommt (vgl. zur vergleichbaren Regelung des § 21 VwGO OVG Berlin-Brandenburg – OVG 4 E 11.12, juris Rn. 4).