Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 18.10.2022 zum Aktenzeichen VerfGH 97/21.VB-1 entschieden, dass ein Gericht einen Rechtsbehelf eines juristischen Laien günstig auslegen muss, dies gilt vor allem im Falle einer falschen Rechtsbehelfsbelehrung.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die wegen der hier in Rede stehenden Anwendung von Prozessrecht des Bundes maßgebend ist (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 15. Juni 2021 – VerfGH 189/20.VB-2, juris, Rn. 14, m. w. N.), gewährt Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen. Er garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zu den staatlichen Gerichten darf nicht in einer Weise erschwert werden, die sich aus Sachgründen nicht rechtfertigen lässt. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet daher den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. November 2005 – 2 BvR 1514/03, BVerfGK 6, 344 = juris, Rn. 12, und vom 18. August 2021 – 2 BvR 2181/20, juris, Rn. 21).
Dabei darf einer Prozesserklärung nach dem Grundsatz wohlwollender Auslegung prozessualer Anträge im Sinne des erkennbaren Rechtsschutzanliegens nach Möglichkeit kein Verständnis unterlegt werden, das zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führt (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 27. April 2021 – VerfGH 31/21.VB-1, juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106 = juris, Rn. 25).
Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich – mindestens – die Möglichkeit, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2021 diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhält. Die Kammer des Verwaltungsgerichts hat objektiv willkürlich angenommen, dass der Verweisungsbeschluss der Einzelrichterin gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar sei (dazu (a)). Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht mit einer verfassungsrechtlich ebenfalls nicht tragfähigen Erwägung, aber ergebnisrichtig angenommen, dass eine Anhörungsrüge gegen den Verweisungsbeschluss nicht zulässig sei (dazu (b)). Das aber trägt die Verwerfung des Rechtsbehelfs als unzulässig nicht. Eine – hier von der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebotene – Auslegung oder Umdeutung des als Anhörungsrüge bezeichneten Rechtsbehelfs als bzw. in eine statthafte Beschwerde nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 146 Abs. 1 VwGO hat das Verwaltungsgericht pflichtwidrig nicht in Erwägung gezogen (dazu (c)).
Die Kammer des Verwaltungsgerichts hat sich erkennbar die Rechtsauffassung der Einzelrichterin zu Eigen gemacht, der Rechtswegverweisungsbeschluss sei nach § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar. Diese Annahme ist – offensichtlich und damit auch ohne spezifisch dahingehende Rüge des Beschwerdeführers feststellbar – objektiv willkürlich im Sinne des Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG. Das Verwaltungsgericht hat offensichtlich einschlägige Normen nicht berücksichtigt bzw. in krasser Weise missverstanden (vgl. dazu VerfGH NRW, Beschluss vom 27. April 2021 – VerfGH 1/21.VB-1, juris, Rn. 6).
Die von der Kammer übernommene Rechtsauffassung der Einzelrichterin beruhte auf der offensichtlich irrtümlichen Annahme, der Rechtsbehelfsausschluss des von ihr ausdrücklich in Anspruch genommenen § 83 Satz 2 VwGO erstrecke sich über Verweisungen an das sachlich bzw. örtlich zuständige Gericht innerhalb des Verwaltungsrechtswegs hinaus auch auf Rechtswegverweisungen. Dies ist aber nicht der Fall (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24. August 2006 – 7 TJ 1763/06, ESVGH 57, 62 = juris, Rn. 2; Peters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 1. Juli 2022, § 83 Rn. 8; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 83 Rn. 8; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/v. Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 83 Rn. 3).
Stattdessen ist gegen eine Rechtswegverweisung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben; dies ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. August 2014 – 5 E 375/14, NWVBl. 2015, 72 = juris, Rn. 1, vom 19. November 2018 – 13 E 756/18, juris, Rn. 1, und vom 5. Mai 2021 – 15 E 16/21, juris, Rn. 1; Nds. OVG, Beschluss vom 3. September 2021 – 13 OB 321/21, juris, Rn. 1; Sächs. OVG, Beschluss vom 29. Juni 2021 – 4 E 41/21, juris, Rn. 1; Hess. VGH, Beschluss vom 24. August 2006 – 7 TJ 1763/06, ESVGH 57, 62 = juris, Rn. 2; Ehlers, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 17a GVG Rn. 33; Ruthig, in: Kopp/Ramsauer, VwGO, 28. Aufl. 2022, Anh. § 41 Rn. 28; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 41 Rn. 31).
(Ausgehend von seiner unvertretbaren Annahme, der Rechtswegverweisungsbeschluss sei unanfechtbar, hat das Verwaltungsgericht mit einer verfassungsrechtlich ebenfalls nicht tragfähigen Erwägung (dazu (aa)), aber ergebnisrichtig (dazu (bb)) angenommen, dass eine Anhörungsrüge gegen den Verweisungsbeschluss nicht zulässig sei.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der als Anhörungsrüge verstandene Rechtsbehelf sei zu verwerfen, weil eine Anhörungsrüge gegen den Verweisungsbeschluss als Zwischenentscheidung nicht statthaft sei, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge gemäß § 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO hingegen nicht statt.
§ 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO ist aber aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend auszulegen. Fachgerichtlicher Rechtsschutz gegen eine mögliche Gehörsverletzung im Zwischenverfahren ist nach dem Grundsatz wirkungsvollen Rechtsschutzes in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG dann notwendig, wenn in diesem Zwischenverfahren abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über den Antrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2010 – 1 BvR 96/10, BVerfGK 17, 298 = juris, Rn. 15, m. w. N.; Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 152a Rn. 20).
Ausgehend von ihrer (objektiv willkürlichen) Rechtsauffassung, der Verweisungsbeschluss sei unanfechtbar, hätte die Kammer des Verwaltungsgerichts deshalb die Zulässigkeit der Anhörungsrüge nicht in sich widersprüchlich unter Verweis auf die Eigenschaft des Verweisungsbeschlusses als Zwischenentscheidung verneinen dürfen (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 17. September 2019 – 1 O 88/19, NVwZ-RR 2020, 231 = juris, Rn. 2 f.).
Die gegenteilige Rechtsauffassung der Kammer des Verwaltungsgerichts bewegt sich auch nicht deshalb noch im Rahmen des Vertretbaren, weil sie eine Kommentarmeinung für sich in Anspruch hätte nehmen können. Die zitierte Stelle (Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 152a Rn. 11) verhält sich nur zu Verweisungsbeschlüssen nach § 83 VwGO wegen sachlicher oder örtlicher Unzuständigkeit. Auf Rechtswegverweisungen ist diese Vorschrift aber nicht anwendbar (vgl. nur Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 83 Rn. 8; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/v. Albedyll, 8. Aufl. 2021, § 83 Rn. 3; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 83 Rn. 1).
Nur im Ergebnis richtig erweist sich die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Anhörungsrüge sei unzulässig, allein deshalb, weil nach dem Vorstehenden der Verweisungsbeschluss der Einzelrichterin wegen der Statthaftigkeit der Beschwerde nicht im Sinne des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO unanfechtbar war.
Dennoch ist eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG infolge der Verwerfung seines gegen den Verweisungsbeschluss gerichteten Rechtsbehelfs nicht ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht hat es entgegen dem sich aus der Rechtsschutzgarantie ergebenden Gebot der rechtsschutzfreundlichen Auslegung
unterlassen, eine Auslegung oder Umdeutung des als Anhörungsrüge bezeichneten Rechtsbehelfs als bzw. in eine statthafte Beschwerde nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 146 Abs. 1 VwGO in Erwägung zu ziehen.
Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte sollen tunlichst im Instanzenzug durch Selbstkontrolle der Fachgerichte behoben werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 = juris, Rn. 4). Deshalb und nach dem Gebot der rechtsschutzfreundlichen Auslegung hätte das Verwaltungsgericht eine Auslegung oder Umdeutung des Rechtsbehelfs als bzw. in eine Beschwerde zumindest erwägen müssen.
Ohnehin gilt, dass bei der Ermittlung des nach § 88 VwGO (i. V. m. § 122 Abs. 1 VwGO) maßgeblichen tatsächlichen Rechtsschutzbegehrens sämtliche Umstände, insbesondere die Gesamtheit des Vorbringens des Beteiligten, zu berücksichtigen sind. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Wille des Beteiligten, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Neben dem Antrag und der Rechtsbehelfsbegründung ist auch die Interessenlage des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Beteiligtenvortrag und sonstigen für das Gericht und den Prozessgegner als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 17. August 2021 – 7 B 16.20, juris, Rn. 7, m. w. N.).
Hier tritt besonders hinzu, dass die Bezeichnung als „Anhörungsrüge“ in der falschen Rechtsbehelfsbelehrung im Verweisungsbeschluss gründet und damit in einem Fehler des Gerichts. Vor allem bei einem anwaltlich nicht vertretenen Rechtsmittelführer darf das Fachgericht nicht ohne Weiteres unterstellen, dieser habe den Fehler erkannt, so dass seine Rechtsmittelerklärung beim Wort genommen werden dürfe. Ausgehend davon war das Verwaltungsgericht auf Grund von Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verpflichtet, seinen Fehler nicht durch unbesehenes Festhalten des Rechtsmittelführers am Wortlaut seiner Erklärung zu perpetuieren, sondern ihn nach Möglichkeit durch Auslegung oder Umdeutung der Rechtsmittelerklärung zu beheben.