Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26. Oktober 2022 zu den Aktenzeichen 2 BvE 3/15, 2 BvE 7/15 entschieden, dass die Bundesregierung die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt hat. Zum einen hat sie diesen nicht umfassend und frühestmöglich über den Entwurf eines Krisenmanagementkonzepts für die Militäroperation „EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“ im Mittelmeerraum informiert. Zum anderen hat die Bundesregierung nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ein an die damalige Bundeskanzlerin gerichtetes Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten vom 23. September 2015 nicht der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG unterfällt.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 83/2022 vom 26. Oktober 2022 ergibt sich:
Die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag (Antragstellerin zu I.) und DIE LINKE (Antragstellerin zu II.) machen im Wege des Organstreits die Verletzung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages geltend.
Sachverhalt:
Am 23. April 2015 trat der Europäische Rat zu einer außerordentlichen Tagung zusammen und kündigte in einer Erklärung vom selben Tag an, die Präsenz der Europäischen Union auf See zu verstärken. Zugleich verpflichtete er die Organe der Europäischen Union auf ein Vorgehen gegen Schlepper im Einklang mit dem Völkerrecht. Die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik erarbeitete daraufhin ein Krisenmanagementkonzept. Dessen Entwurf lag der Bundesregierung spätestens am 30. April 2015 vor.
In der Folge baten mehrere Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beim Referat PE 5 (Europa-Dokumentation) des Deutschen Bundestages – vergeblich – um die Übersendung des Krisenmanagementkonzepts.
Am 18. Mai 2015 fasste der Rat der Europäischen Union den Beschluss (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (European Union-led Naval Force Mediterranean Sea – EUNAVFOR MED). Der Beschluss sieht vor, dass die Operation im Einklang mit den politischen, strategischen und politisch-militärischen Zielen durchgeführt wird, die in dem vom Rat am 18. Mai 2015 gebilligten Krisenmanagementkonzept niedergelegt sind.
Am 21. Mai 2015 ermöglichte das Auswärtige Amt den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union in der Geheimschutzstelle des Bundestages Einsicht in das Krisenmanagementkonzept.
Am 24. Juni 2015 teilte der Staatsminister für Europa im Namen des Auswärtigen Amtes auf die schriftliche Frage eines Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit, dass die Bundesregierung dem federführenden Ausschuss sowie den mitberatenden parlamentarischen Ausschüssen das Krisenmanagementkonzept ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übermittelt habe.
Am 16. September 2015 befasste die Bundesregierung den Bundestag mit der deutschen Beteiligung an der Operation und erbat seine Zustimmung für den Einsatz der Deutschen Marine. Die Zustimmung wurde am 1. Oktober 2015 mit 449 von 568 abgegebenen Stimmen erteilt.
Mit Wirkung zum 26. Oktober 2015 erfolgte die Umbenennung der Mission in „EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“. Der Auslandseinsatz wurde zwischenzeitlich beendet.
Nach einem Zeitungsbericht vom 25. September 2015 übersandte der türkische Ministerpräsident Davutoǧlu ein Schreiben an alle damals 28 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. In diesem sollen Fragen der Migration, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der außenpolitischen Dimension der Flüchtlingspolitik, der Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Dritt- und Herkunftsstaaten sowie der Verknüpfung der EU-Türkei-Migrationsagenda mit dem Beitrittsprozess und der Migrationspolitik behandelt worden sein.
Am 1. Oktober 2015 forderte die Antragstellerin zu II. dieses Schreiben bei der Bundestagsverwaltung an. Am selben Tag bat das Referat PE 5 des Bundestages die Bundesregierung um dessen Übermittlung. Am 5. Oktober 2015 teilte das Referat „Koordinierung der Europapolitik der Bundesregierung/Europäischer Rat“ im Bundeskanzleramt dem Referat PE 5 des Bundestages mit, dass es sich bei dem in Rede stehenden Schreiben vom 23. September 2015 um ein persönlich an die Bundeskanzlerin gerichtetes Schreiben des Regierungschefs eines Drittstaates handele und dass die Korrespondenz der Bundeskanzlerin mit anderen Regierungschefs generell nicht Gegenstand der Unterrichtung des Bundestages sei. Andernfalls werde die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung insgesamt erheblich beeinträchtigt.
Am 9. Oktober 2015 forderte das Referat PE 5 des Bundestages das Schreiben beim Bundeskanzleramt erneut an. Am 16. Oktober 2015 wiederholte das Referat „Koordinierung der Europapolitik der Bundesregierung/Europäischer Rat“ im Bundeskanzleramt die Ablehnung der Herausgabe des Briefes.
Die Antragstellerinnen zu I. und zu II. machen im Wege des Organstreits die Verletzung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG durch die Bundesregierung geltend. Diese habe es unterlassen, dem Deutschen Bundestag den Entwurf des Krisenmanagementkonzepts, das in Vorbereitung der Militäroperation EUNAVFOR MED erstellt worden war, vollständig und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu überlassen. Die Antragstellerin zu II. wendet sich darüber hinaus dagegen, dass dem Deutschen Bundestag das an die Bundeskanzlerin gerichtete Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten weder zugänglich gemacht noch dargelegt wurde, dass dieses keine Angelegenheiten der Europäischen Union betrifft.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Organklage der Antragstellerin zu I. und der Antrag zu 3. der Antragstellerin zu II. sind zulässig und begründet. Die weiteren Anträge der Antragstellerin zu II. sind verfristet.
Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt für die Angelegenheiten der Europäischen Union neu geordnet und dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt. Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Pflicht der Bundesregierung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung ist Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung von Exekutive und Legislative für Angelegenheiten der Europäischen Union und Voraussetzung für eine effektive Wahrnehmung der dem Bundestag zukommenden Mitwirkungsrechte. Ihre Erfüllung hat daher den Informationsbedürfnissen des Bundestages in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen.
Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, ihm eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen. Die Unterrichtung des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein, in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt und in einer zweckgerechten Weise erfolgen.
Die Verpflichtung der Bundesregierung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des Bundestages gilt auch für Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Die Verpflichtung der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gilt gegenüber dem Bundestag insgesamt und wird nur erfüllt, wenn die Informationen allen Abgeordneten und damit auch der Öffentlichkeit frei zugänglich sind. Seine Repräsentationsfunktion nimmt der Deutsche Bundestag grundsätzlich in seiner Gesamtheit wahr, durch die Mitwirkung aller seiner Mitglieder, nicht durch einzelne Abgeordnete, eine Gruppe von Abgeordneten oder die parlamentarische Mehrheit.
Auch eine klassifizierte, das heißt Geheimschutzregelungen unterliegende Information des Bundestages wird den Anforderungen von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht gerecht, weil die Information des Parlaments zugleich dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient. Entscheidungen von erheblicher Tragweite muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen in öffentlicher Debatte zu klären.
Grenzen der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 2 GG können sich aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder dem Staatswohl ergeben.
Will die Bundesregierung ihre Informationspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG wegen der genannten Grenzen ganz oder teilweise nicht erfüllen, muss sie sich gegenüber dem Deutschen Bundestag darauf berufen und die Gründe für den Verzicht auf seine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung darlegen. Durch das Begründungserfordernis wird gewährleistet, dass der Bundestag die Gründe der Verweigerung einer Unterrichtung beziehungsweise einer Einstufung erfährt und in die Lage versetzt wird, sie nachzuvollziehen und die Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes abzuschätzen. Eine substantielle Begründung ist zudem unentbehrliche Grundlage der (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle, die andernfalls weitgehend zur Disposition der Bundesregierung stünde.
Nach diesen Maßstäben sind der Antrag der Antragstellerin zu I. und der Antrag zu 3. der Antragstellerin zu II. begründet.
Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag im Hinblick auf das Krisenmanagementkonzept in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt, indem sie es unterlassen hat, den ihr bereits am 30. April 2015 vorliegenden Entwurfstext an das Parlament zu übermitteln.
Das Krisenmanagementkonzept betrifft eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Es war Grundlage für die multinationale Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia, bei der es sich um eine Maßnahme der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union handelte. Es war damit inhaltlich auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich ausgerichtet.
Die Durchführung von Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist in Art. 43 f. des Vertrags über die Europäische Union (EUV) geregelt. Die Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia war Teil der Europäischen Migrationsagenda und damit eines umfassenden europäischen Gesamtansatzes. Organe der Europäischen Union arbeiteten das Krisenmanagementkonzept aus, wobei das Konzept unmittelbar der Verwirklichung von Zielen der Union diente. Auch seine Umsetzung erfolgte durch die Europäische Union. Schließlich war die Mission auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union begrenzt, Drittstaaten konnten aber zur Beteiligung eingeladen werden.
Dem steht nicht entgegen, dass im Bereich der Verteidigungspolitik – von der (vagen) Verpflichtung zur schrittweisen Verbesserung der militärischen Fähigkeiten abgesehen – das Freiwilligkeitsprinzip gilt und die Mitgliedstaaten (rechtlich) nicht zu einer Teilnahme an einer Militäroperation gezwungen werden können. Auch wenn das Krisenmanagementkonzept und die hierin behandelte Mission auf einer Selbstverpflichtung der teilnehmenden Mitgliedstaaten gründete, stellt dies die Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Angelegenheiten der Europäischen Union sind nicht auf Akte der Rechtsetzung beschränkt, sondern erfassen auch andere Maßnahmen.
Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über das Krisenmanagementkonzept unterrichtet und damit das parlamentarische Unterrichtungsrecht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.
Die Bundesregierung war verpflichtet, den Bundestag über das Konzept zu informieren, sobald es in ihren Einflussbereich gelangt war. Dabei bestanden wegen der weitreichenden verfassungsrechtlichen und politischen Bedeutung des Vorhabens hohe Anforderungen an Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen darüber. Die Bundesregierung war verpflichtet, amtliche Unterlagen und Dokumente der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten unverzüglich an den Bundestag weiterzuleiten und diesen auch über frühe Stadien der Verhandlungen zu unterrichten.
Die Bundesregierung war entscheidend an der Erarbeitung des Krisenmanagementkonzepts beteiligt und wäre daher in der Lage gewesen, den Bundestag frühzeitig über dessen Entstehung zu unterrichten. So ist insbesondere davon auszugehen, dass die Hohe Vertreterin der Bundesregierung den Entwurf bereits am 30. April 2015 zugeleitet hat. Der endgültige Entwurf lag spätestens zur Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter am 6. Mai 2015 vor. Gleichwohl hat die Bundesregierung dem Bundestag den Vorgang erst am 21. Mai 2015 – und damit nach der Beschlussfassung des Rates der Europäischen Union am 18. Mai 2015 – übersandt und so verhindert, dass der Bundestag auf das Krisenmanagementkonzept Einfluss nehmen konnte.
Die Verletzung der Unterrichtungspflicht dauerte über den 21. Mai 2015 hinaus fort, weil ab diesem Zeitpunkt lediglich die Abgeordneten des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union und auch nur in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages in das Krisenmanagementkonzept Einsicht nehmen konnten. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde zwar auch den Abgeordneten des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, des Innenausschusses, des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz sowie des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zugang zu dem Dokument gewährt. Eine Übermittlung an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages erfolgte indes nicht.
Auch die Einstufung des Krisenmanagementkonzepts als solche und die Möglichkeit, es nur in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages einzusehen, verletzen Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie beeinträchtigen die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments.
Gründe, die einer Übermittlung des Krisenmanagementkonzepts an das Parlament ausnahmsweise hätten entgegenstehen können, sind nicht ersichtlich. Das Krisenmanagementkonzept betrifft nicht die interne Willensbildung der Bundesregierung, so dass eine Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ausscheidet.
Ob Geheimhaltungsgründe eine eingestufte Übermittlung des Krisenmanagementkonzepts an den Deutschen Bundestag getragen hätten, kann dahinstehen. Zumindest hätte eine derartige Übermittlung an den Bundestag in seiner Gesamtheit erfolgen müssen. Im Übrigen hat sich die Bundesregierung nicht auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit berufen.
Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag auch im Hinblick auf das Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten Davutoǧlu vom 23. September 2015 in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Sie hat es unterlassen, nachvollziehbar darzulegen, dass das Schreiben keine Angelegenheit der Europäischen Union betrifft oder die Unterlassung der Mitteilung seines Inhalts aus verfassungsrechtlichen Gründen angezeigt war.
Dem Deutschen Bundestag lagen konkrete Anhaltspunkte vor, dass das Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten Davutoǧlu vom 23. September 2015 der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG unterfällt. Nach der damaligen Presseberichterstattung soll es an alle seinerzeit 28 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gerichtet gewesen sein und die Zusammenarbeit der Türkei mit der Europäischen Union in Asyl- und Migrationsfragen zum Gegenstand gehabt haben. In diesem Fall hätte es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG gehandelt.
Der Gegenstand des Schreibens soll zudem einen unmittelbaren Bezug zu dem auf dem Gipfeltreffen am 29. November 2015 aktivierten Gemeinsamen Aktionsplan EU-Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen aufgewiesen haben, der ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union ist.
Die Bundesregierung war vor diesem Hintergrund verpflichtet, nachvollziehbar zu begründen, warum eine Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG im konkreten Fall gleichwohl nicht bestand. Eine solche Begründung hat sie nicht abgegeben.
Im Übrigen hat die Bundesregierung nicht nachvollziehbar dargelegt, dass verfassungsrechtliche Gründe der Übermittlungspflicht entgegengestanden hätten. Sie hat lediglich pauschal ausgeführt, dass es sich um ein an die Bundeskanzlerin persönlich gerichtetes Schreiben eines Regierungschefs handele, das generell nicht den Unterrichtungspflichten unterfalle, da durch die Durchbrechung der Vertraulichkeit dieser Korrespondenz die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung insgesamt erheblich beeinträchtigt wäre. Vorliegend war bereits zweifelhaft, ob das Schreiben einem besonderen Vertraulichkeitsschutz auch dann unterfällt, falls es nicht nur an die Bundeskanzlerin, sondern an alle Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gerichtet gewesen wäre. Auch ist nicht erkennbar, dass es sich bei dem Schreiben um ein vertrauliches Ausloten von Verhandlungspositionen handelte. Der bloße Hinweis, dass es sich um ein persönliches Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten an die damalige Bundeskanzlerin gehandelt habe, genügt insoweit nicht.