Für eine Impfpflicht müsste der Staat zunächst berechtigt sein, diese durch Gesetz regeln zu dürfen.
Aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz (GG) ergibt sich, dass der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten ausüben kann.
Dies tat der Bund auch durch das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG).
Das IfSG enthält aber keine Ermächtigung für eine generelle Impfpflicht.
In § 20 Abs.6 IfSG wird das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) aber ermächtigt, durch Rechtsverordnung anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.
Von dieser Ermächtigung hat das BMG bislang keinen Gebrauch gemacht.
Deshalb sind die Landesregierungen gemäß § 20 Abs. 7 IfSG zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt.
Der Staat hat bei der Gesetzgebung die Grundrechte zu wahren.
Relevant ist hier das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2S.1 GG. Dieses Grundrechtwäre verletzt, wenn eine Impfpflicht einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darstellt und dieser Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt wäre.
Aus Art. 2Abs.2 S. 1 GG ergibt sich, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit besitzt. Das Grundrecht schützt die physische Gesundheit eines Menschen, die auch die körperliche Integrität umfasst.
Ein staatlicher Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit könnte jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein
Dazu muss ein Gesetz bestehen, welches den Eingriff zulässt.
Aus dem IfSG ergibt sich keine Ermächtigungsgrundlage.
Aktuell gibt es somit keine Rechtsgrundlagen, die zu einer beschränkten Impfpflicht im Falle einer epidemischen Verbreitung einer übertragbaren Krankheit mit schweren Verlaufsformen berechtigen.
Soweit ein Gesetz bestünde müsste die Impfpflicht auch verhältnismäßig sein.
Impfungen haben unterschiedliche Schutzbedürftige im Blick und unterscheiden sich nach individual- und bevölkerungsmedizinischer Prävention. Impfungen zur individuellen Prävention dienen dem eigenen Schutz vor Erkrankungen. Impfungen zur bevölkerungsmedizinischen Prävention dienen nicht allein dem Schutz des Geimpften, sondern schützen auch vor einer Weitergabe von Erkrankungen an andere Menschen. Bei der reinen bevölkerungsmedizinischen Prävention dient die Impfung dagegen nicht mehr primär dem Schutz des Geimpften, sondern der Ausrottung eines Keimes auf Bevölkerungsebene. Eine generelle Impfpflicht verfolgt daher ein legitimes Ziel. Die Impfpflicht muss jedoch auch geeignet sein. Impfungen gehören zu den wirksamsten und wichtigsten präventiven medizinischen Maßnahmen.
Erforderlich ist eine Impfpflicht dann, wenn kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht. Dabei sind nur an Therapien bei erfolgter Erkrankung zu denken, die jedoch nicht gleichlaufend zur Vorbeugung gegen den Krankheitsausbruch durch Impfung sind.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in seiner Ausarbeitung „Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Impfpflicht“ zum Aktenzeichen: WD 3-3000 -019/16 vom 27. Januar 2016 zu dem Ergebnis:
Dabei wäre ein angemessener Ausgleich zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit einerseits und der Zielsetzung des Gesetzgebers, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern, andererseits herzustellen.4Allerdings besteht bei Impfungen durch die vorsätzliche Infektion mit abgeschwächten Krankheitserregern eine Gefährdung der Gesundheit der geimpften Menschen, da in sehr seltenen Fällen auch bleibende Nebenwirkungen beobachtet werden. Der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit wiegt somit schwer. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass laut RKI moderne Impfstoffe gut verträglich sind. Ferner können mit einer generellen Impfpflicht auch Menschen vor der Übertragung von Erkrankungen geschützt werden, die aufgrund ihres Alters noch nicht oder wegen gesundheitlichen Einschränkungen grundsätzlich nicht geimpft werden können .In der Abwägung beider Positionen sind außerdem die Schwere der Gefahr sowie die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu berücksichtigen. Angesicht einer Sterblichkeitsrate von 30 Prozent im Falle einer Pockeninfektion wurde beispielsweise die Impfpflicht gegen Pocken vom BVerwG im Jahr 1959 als verfassungsgemäß eingestuft. Die Impfpflicht wurde aber angesichts der weltweiten Ausrottung des Erregers mit Wirkung vom 1.Juli 1983abgeschafft. Im Falle einer Maserninfektion beträgt die Sterblichkeit in Deutschland laut RKI dagegen nur 0,1 Prozent. Die Schwere der Gefahr sowie die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sind daher differenziert nach den unterschiedlichen Erkrankungsarten zu betrachten. Ob ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der zu impfenden Menschenunter Inkaufnahme möglicher Impfschäden zugunsten des Schutzes von Gesundheit und des Lebens anderer Menschenangemessen erscheint, lässt sich pauschal nicht beantworten.