Das Richterdienstgerichts des Landes Berlin hat mit Urteil vom 13. Oktober 2022 zum Aktenzeichen DG 1/22 entschieden, dass die Zurruhesetzung einer Richterin nicht auf ihre Äußerungen als Abgeordnete im Plenum des Deutschen Bundestags gestützt werden darf. Mit dieser Begründung hat das Richterdienstgericht des Landes Berlin einen entsprechenden Antrag der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung zurückgewiesen.
Aus der Pressemitteilung Nr. 41/2022 des RDG Berlin vom 13.10.2022 ergibt sich:
Die Antragsgegnerin, seit 1996 als Richterin auf Lebenszeit im Dienst des Landes Berlin, ist Mitglied der AfD. Sie wurde 2017 über deren Landesliste als Abgeordnete für den 19. Deutschen Bundestag gewählt. Nach Beendigung des Bundestagsmandats kehrte sie im März 2022 auf eigenen Antrag an ihr bisheriges Gericht zurück. Die Senatsverwaltung beantragte im Mai 2022 bei dem Richterdienstgericht, die Versetzung der Richterin in den Ruhestand im Interesse der Rechtspflege für zulässig zu erklären. Eine Analyse insbesondere ihrer Debattenbeiträge im Deutschen Bundestag ergebe, dass sie eine „völkische Gesellschaftsordnung mit einem ethnokulturell homogenen Staatsvolk“ propagiere. Bestätigung finde dies auch in Facebook-Beiträgen und Tweets. In der Öffentlichkeit sei hierdurch der Eindruck entstanden, die Antragsgegnerin werde künftig ihrer Pflicht zur unvoreingenommenen Rechtsprechung nicht gerecht werden.
Das Dienstgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Versetzung einer Richterin in den Ruhestand setze eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtspflege voraus, die sich hier nicht feststellen lasse. Die Maßnahme komme nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, weil hierin ein Eingriff in den Grundsatz der Unversetzbarkeit als Ausfluss der verfassungsrechtlich geschützten richterlichen Unabhängigkeit liege. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Person der Richterin müsse in einem so hohen Maße Schaden genommen haben, dass deren Rechtsprechung nicht mehr glaubwürdig erscheine; durch ein Verbleiben im Amt müsse zudem das öffentliche Vertrauen in eine unabhängige und unvoreingenommene Justiz beeinträchtigt sein. Hierfür lägen keine hinreichenden Tatsachen vor. Die Äußerungen der Antragsgegnerin im Deutschen Bundestag müssten bei der Bewertung von vornherein außer Betracht bleiben. Nach dem Grundgesetz dürften Abgeordnete nämlich zu keiner Zeit wegen einer Äußerung im Bundestag gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden. Dieser verfassungsrechtliche Schutz vor Verfolgung bleibe nach Ablauf des Mandats erhalten und erstrecke sich auch auf das Zurruhesetzungsverfahren. Etwas anderes gelte zwar für außerparlamentarisches Verhalten einer Abgeordneten, das Zweifel am Einstehen für die freiheitliche demokratischen Grundordnung erwecke. Allein die Mitgliedschaft der Antragsgegnerin in der AfD lasse solche Rückschlüsse nicht zu. Im konkreten Fall reichten darüber hinaus auch weder die Äußerungen der Antragsgegnerin auf Facebook und Twitter hierfür aus noch die Existenz von Fotografien, welche die Richterin mit Angehörigen des sog. Flügels der Partei zeigten.
Gegen das Urteil kann Berufung zum Dienstgerichtshof beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.