Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 19. Februar 2019 zum Aktenzeichen 1 BvR 1954/17 zu einem Rechtsstreit zweier Gemeinderäte entschieden, die sich wegen Äußerungen verklagen.
Kläger und Beklagter des Ausgangsverfahrens sind jeweils Vorsitzende unterschiedlicher Fraktionen eines Gemeinderats. Aus Anlass der Eröffnung eines Bauprojekts im Gemeindegebiet sprach sich der Kläger öffentlich für die Verwirklichung auch eines weiteren, umstrittenen Bauprojekts desselben Bauträgers aus. Ein Mitbewerber dieses Bauträgers fragte daraufhin beim Beklagten an, unter welchen Bedingungen er mit einer vergleichbaren Unterstützung für von ihm geplante Bauvorhaben rechnen könne.
Auf diese Anfrage antwortete der Beklagten mit einer an den anfragenden Bauträger adressierten und in Kopie („CC“) auch an den Oberbürgermeister der Gemeinde sowie die Vorsitzenden sämtlicher Gemeinderatsfraktionen verschickten E-Mail. Diese lautete auszugsweise wie folgt:
„Für Ihr Projekt habe ich einen wichtigen und vermutlich zielführenden Ratschlag für Sie: Wenden Sie sich direkt an den Vorsitzenden der CDU-Fraktion in Oberkirch, Herrn B. Dieser wird sich nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen bestimmt auch ohne jegliche Einschränkungen für Ihr Bauvorhaben einsetzen und sich über alle Bedenken von Fachleuten und Gremien hinwegsetzen, Ihnen alle denkbaren Befreiungen zugestehen und damit zwar nicht unbedingt städtebauliche Belange berücksichtigen aber mit seiner Unterstützung können Sie sicher sein, dass Sie bald bauen können.
Sollten die Bauverwaltung noch Änderungen und Anpassungen von Ihnen verlangen: Gehen sie zurück auf Ihre Wunschplanung und beantragen Sie die brutalstmögliche Ausdehnung Ihres Projekts was Grenzabstände, GFZ und GRZ angeht und verweisen Sie auf das Bauvorhaben F. in der A. Strasse. Wenn man von Ihnen den Verzicht auf ein Attikageschoss verlangt: Bestehen Sie darauf, dieses genehmigt zu bekommen und verweisen Sie auf die Bauvorhaben der Firma F. in der S./N. und in der A. Strasse. Sollten Sie aufgrund der Flächenberechnung nicht ganz hinkommen: Verlangen Sie von der Stadt und der CDU-Fraktion ggf. den Verkauf der benötigten Zusatzflächen evtl. im Straßenraum und verweisen Sie auf das Bauvorhaben F. in der S.
Für all diese Forderungen werden Sie zwar im Gemeinderat oder Bau- und Umweltausschuss zwar nicht meine Zustimmung bekommen, jedoch bei der CDU-Fraktion unter der Führung von Herrn B. können Sie sicher sein, dass dessen Fraktion geschlossen und vorbehaltlos zustimmen wird.
Unter welchen Bedingungen diese Zustimmung zu erhalten ist müssen Sie natürlich mit ihm selbst ausloten .“ [„fett“-Markierungen nicht im Original]
Die auf Widerruf und zukünftiges Unterlassen der in der obigen Wiedergabe unterstrichenen Äußerungen gerichtete Klage gegen den Beklagten wies das Landgericht ab. Die Äußerungen stellten wegen des Bezugs zur politischen Auseinandersetzung keine Schmähkritik dar und in der Abwägung von allgemeinem Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsfreiheit des Beklagten überwiege letztere.
Das Oberlandesgericht gab der Berufung des Klägers teilweise statt und verurteilte den Beklagten zur Unterlassung der vom Klageantrag umfassten Äußerungen. Hinsichtlich der ebenfalls beantragten Verurteilung zum Widerruf der Äußerungen wies es die Berufung zurück. Die Äußerungen seien als Werturteile zu qualifizieren, da sie schwerpunktmäßig die rechtliche Beurteilung eines prognostizierten Verhaltens des Klägers sowie davon abgeleitete Beurteilungen seiner Persönlichkeit enthielten. Aus diesem Grund bestehe kein Anspruch auf Widerruf der Äußerungen. Soweit die Unterlassung der Äußerungen beantragt sei, seien diese dahingehend auszulegen, dass der Beklagten den Kläger als bestechlich darstelle. Einer Abwägung der hier einschlägigen Grundrechte, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Seiten des Klägers und der Meinungsfreiheit auf Seiten des Beklagtens, bedürfe es nicht, da die streitgegenständlichen Äußerungen als Schmähkritik zu qualifizieren seien. Die Äußerungen stellten eine reine Diffamierung der Person des Klägers dar. Einen Beitrag zu der Sachfrage, unter welchen Bedingungen Bauvorhaben zu genehmigen seien, leisteten die Äußerungen nicht, da sie sich auf den unstreitig nicht zutreffenden und „völlig aus der Luft gegriffenen“ Vorwurf der Bestechlichkeit beschränkten. Ob und in welchem Umfang zwischen den Beteiligten im Rahmen der Gemeinderatsarbeit bereits über Baupolitik und Vorhaben der konkurrierenden Bauträger diskutiert worden sei, sei für die Beurteilung unerheblich, da die Äußerungen keinen Beitrag zu dieser Diskussion darstellten.
Dazu stellten die Verfassungsrichter fest, dass bei der Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik Anlass und Kontext zu berücksichtigen und bei Äußerungen im öffentlichen Kontext nochmals strengere Anforderungen zu stellen sind. Das Gericht hat einen Sachbezug allein deshalb verneint, weil die Vorwürfe gegenüber dem Kläger mit den Genehmigungsvoraussetzungen von Bauvorhaben in der Sache nichts zu tun hätten. Dabei verkennt es, dass sich der Kläger öffentlich für die Genehmigung eines bestimmten umstrittenen Bauvorhabens ausgesprochen hatte und als Mitglied des Gemeinderats aktiv an der Baupolitik mitwirkt. Das Oberlandesgericht hat in seinen Tatsachenfeststellungen selbst angenommen, dass Hintergrund der Äußerungen die Behandlung von Bauvorhaben im Gemeinderat gewesen sei. Die E-Mail, die die gegenständlichen Äußerungen des Beklagten enthielt, erfolgte in Antwort auf eine auf diese Äußerungen des Klägers bezogene Anfrage eines konkurrierenden Bauträgers. Sie stand damit nicht im Kontext einer persönlichen, sondern einer politischen Auseinandersetzung zwischen dem Beklagten und dem Kläger. Indem das Oberlandesgericht den sachlichen Bezug zu rechtlichen Fragen der Genehmigungsvoraussetzungen gleichwohl verneint, verkennt es, dass der sachliche Bezug einer Äußerung nicht mit deren Anlass zusammenfallen muss. Es dürfte vielmehr zur Eigenart politischer, insbesondere parteipolitischer Auseinandersetzungen gehören, dass konkrete Vorgänge zum Anlass einer allgemeineren politischen Auseinandersetzung genommen werden, wie es vorliegend geschehen ist.
Bei seiner Beurteilung der Äußerungen hat das Oberlandesgericht zudem den weiteren Inhalt der E-Mail nicht berücksichtigt. Schon die Wortwahl der weiteren Äußerungen („brutalstmögliche Ausdehnung“) verleiht den Ausführungen spöttisch-satirischen Charakter und verdeutlicht, dass die Äußerungen auf eine – wenn auch polemische – Kritik am politischen Gegner und dessen Baupolitik zielen. Die Berücksichtigung des Gesamtcharakters der Äußerungen verstärkt so den Bezug zur allgemeinen baupolitischen Auseinandersetzung und spricht dagegen, in den Äußerungen eine nur bei Gelegenheit gegen den Kläger als solchen gerichtete Diffamierung als „bestechliche Person“ zu erblicken.