Das Landgericht hat mit Urteil vom 05.07.2022 zum Aktenzeichen 5 O 382/21 entschieden, dass das Stilllegen eines Bus durch die Polizei einen Anspruch auf Schadensersatz begründet, wenn dieser verkehrssicher ist.
Am Samstag, den 06.10.2018, wurde gegen 18:50 Uhr der im Alleineigentum der Klägerin stehende und auf diese zugelassene sowie von dem bei ihr angestellten Berufskraftfahrer Q gesteuerte Kraftomnibus mit dem amtl. Kennzeichen AB-CD 000 („G“) während einer gewerblichen Personenbeförderung mit Fahrgästen in M, Ortsteil X, I-Straße/G-Haltestelle, einer Verkehrskontrolle durch die beiden Beamtinnen des Polizeipräsidiums Köln PKin Q1 und PKin T unterzogen.
Die beiden Polizeibeamtinnen beanstandeten einen nicht ordnungsgemäßen und verkehrsunsicheren Zustand der Fahrzeugbereifung dahingehend, dass der hintere linke Außenreifen (Zwillingsbereifung) des klägerischen KOM eine glatte Lauffläche am äußeren Teil aufweise und die Kante zwischen Lauffläche und Reifenseitenwand nicht rund, sondern wellenförmig verlaufe.
Nach einem Telefonat mit dem Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin untersagten die beiden Polizeibeamtinnen die Weiterfahrt des mit Fahrgästen besetzten KOM. Die Klägerin beorderte daraufhin einen Ersatzbus nach M, mit dem die Linienfahrt fortgesetzt wurde, und veranlasste die Rückbringung des streitgegenständlichen Busses an ihren Geschäftssitz.
Am Montag, den 08.10.2018, erfolgte eine Inaugenscheinnahme des KOM mit dem montierten, verfahrensgegenständlichen hinteren linken Rad durch einen Mitarbeiter der Fa. TÜV Süd Auto Service GmbH anlässlich einer anderweitigen, routinemäßigen HU-Untersuchung an einem anderen KOM der Klägerin; der verfahrensgegenständliche KOM wurde als in jeglicher Hinsicht verkehrssicher beurteilt.
Die Klägerin behauptet, entgegen der Annahme der beiden Polizeibeamtinnen habe die Bereifung des klägerischen KOM im Kontrollzeitpunkt keinen verkehrsunsicheren oder sonst nicht ordnungsgemäßen Zustand aufgewiesen. Die Reifen – insbesondere der äußere Reifen hinten links – hätten keinen verkehrsunsicheren Zustand aufgewiesen; es habe zu keiner Zeit in keinster Weise eine Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer bestanden. Die Auswaschungen im Seitenbereich des Reifens seien nicht als verkehrsunsicher einzustufen. Dies habe ein weiteres von der Klägerin eingeholtes Gutachten bestätigt.
Die beiden kontrollierenden Polizeibeamtinnen hätten nicht über das technische Wissen verfügt, den Zustand eines Kraftfahrzeuges auf seine Vorschriftsmäßigkeit zu prüfen und das Vorliegen einer – auch wesentlichen – Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit zu beurteilen und festzustellen.
Die beiden Polizeibeamtinnen hätten mindestens fahrlässig gehandelt, als sie hätten erkennen können, dass sich der KOM der Klägerin im verkehrsgemäßen Zustand befindet.
Der Klägerin stehen aufgrund des von ihr vorgetragenen Sachverhalts zwar keine Schadenersatzansprüche aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen das beklagte Land zu.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann nicht festgestellt werden, dass der geltend gemachte Schaden auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung der handelnden Polizeibeamtinnen des beklagten Landes beruht.
Grundsätzlich hat jeder Beamte die Pflicht, die Aufgaben und Befugnisse der juristischen Person des öffentlichen Rechts, in deren Namen und Rechtskreis er tätig wird, im Einklang mit dem objektiven Recht wahrzunehmen (MüKoBGB/Papier/Shirvani, 8. Aufl. 2020, BGB § 839 Rn. 246). Dazu gehört unter anderem, vor einer hoheitlichen Maßnahme, die geeignet ist, einen anderen in seinen Rechten zu beeinträchtigen, den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt (MüKoBGB/Papier/Shirvani, aaO, Rn. 247).
Ist – wie hier – die Art und Weise des Tätigwerdens einer Verwaltungsbehörde ihrem pflichtgemäßen Ermessen anheimgegeben, so liegt eine Amtspflichtverletzung solange nicht vor, als die Tätigkeit der Behörde sich innerhalb der Grenzen fehlerfreien Ermessengebrauchs hält (BGH NJW 1979, 1354, beckonline).
Die auf gesetzmäßiges Verhalten bezogenen Amtspflichten betreffen nicht allein die materiellrechtlichen Verhaltensnormen. Erfasst sind grundsätzlich auch die Vorschriften über die Form des Verwaltungshandelns, die Zuständigkeit und das Verfahren (MüKoBGB/Papier/Shirvani, aaO, § 839 Rn. 260).
Ausgehend von diesen Grundsätzen bzw. gemessen an diesen Maßstäben stellte es keine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar, wenn die Polizeibeamtinnen die Weiterfahrt des Busses zunächst untersagt haben.
Die Polizei ist im vorliegenden Fall sowohl im Rahmen ihrer Aufgaben nach § 1 Abs. 1 PolG NRW als auch gemäß § 53 OWiG tätig geworden. Dass der Zustand des Reifens des Busses jedenfalls Grund zu der Annahme gab, dieser könnte eine Gefahr für den Straßenverkehr darstellen und einen Bußgeldtatbestand erfüllen, steht außer Zweifel. Auf welche Weise die Polizistinnen hiervon Kenntnis erlangt hatten, ist unerheblich. Der Gefahrenverdacht wurde auch nicht durch die telefonische Äußerung des Komplementärs der Klägerin ausgeräumt, wonach sich der Bus und insbesondere der Reifen in verkehrssicherem Zustand befinde, zumal die letzte Untersuchung zwei Tage zuvor stattgefunden haben sollte und der Reifen ohne Weiteres erst in der Zwischenzeit beschädigt worden sein konnte.
Ob die Polizeibeamtinnen die Weiterfahrt nur so lange untersagen wollten, bis eine für diese Zwecke besonders ausgebildete Einheit vor Ort eintraf, kann dahinstehen. Nach ihrem eigenen Vortrag hat die Klägerin bereits aufgrund der erstmaligen Untersagung der Weiterfahrt den Ersatzbus geordert, um ihren vertraglichen Pflichten gegenüber ihrer Auftraggeberin nachzukommen. Der nunmehr geltend gemachte Schaden wurde mithin bereits zu diesem Zeitpunkt verursacht, ohne dass es darauf ankäme, ob weitere polizeiliche Maßnahmen rechtmäßig gewesen wären und ob bzw. wann der Bus wieder hätte freigegeben werden müssen.
War die polizeiliche Verfügung damit rechtmäßig, bestand auch kein Entschädigungsanspruch nach § 67 PolG NRW i.V.m. § 39 Abs. 1 Buchst. b) OBG NRW (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1994 – III ZR 54/93 -, BGHZ 126, 279-287, Rn. 5).
Ein solcher ist vorliegend aber in entsprechender Anwendung der § 67 PolG NRW i.V.m. § 39 Abs. 1 Buchst. a) OBG NRW gegeben.
Wird der Eigentümer einer Sache als Zustandsstörer (§ 18 OBG NRW) in Anspruch genommen, weil der durch Tatsachen begründete Anschein besteht, dass von der Sache eine Gefahr ausgeht, so kann er für dadurch erlittene Nachteile in entsprechender Anwendung von § 39 Abs. 1 Buchst. a) OBG NRW wie ein Nichtstörer Entschädigung verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Gefahr in Wirklichkeit nicht bestand, und wenn er die den Anschein begründenden Umstände nicht zu verantworten hat. Diese Grundsätze sind nicht nur dann anzuwenden, wenn es lediglich um die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers der (potentiellen) Gefahrenquelle geht, sondern auch dann, wenn der Betroffene als Handlungsstörer in Anspruch genommen wird, soweit das den Anschein der Gefahr begründende Verhalten rechtmäßig gewesen ist und keine in den haftungsrechtlichen Risikobereich des Handelnden fallende Verantwortlichkeit für die Anscheinsgefahr begründet hat (BGH, Urteil vom 23. Juni 1994 – III ZR 54/93 -, BGHZ 126, 279-287, Rn. 12).
Die Polizei ist nicht nur dann zum Einschreiten berechtigt, wenn eine objektive Gefahr besteht, sondern sie kann auch dann, wenn eine Sachlage bei vernünftigem Ermessen den Anschein einer polizeilichen Gefahr erweckt, eingreifen, bis über das tatsächliche Vorliegen oder Nichtvorliegen einer polizeilichen Gefahr Klarheit geschaffen ist. Der von einer polizeilichen Maßnahme Betroffene braucht aber Eingriffe in sein Eigentum nicht entschädigungslos hinzunehmen, wenn die Polizei wegen des Anscheins einer Gefahr (oder eines bloßen Gefahrenverdachts) gegen ihn einschreitet und er den Anschein einer Gefahr (den Gefahrenverdacht) nicht schuldhaft hervorgerufen hat. Jedenfalls dann, wenn der Nachweis des Vorhandenseins einer objektiven Gefahr nicht geführt werden kann und der Betroffene den Gefahrenverdacht oder die Anscheinsgefahr nicht in zurechenbarer Weise herbeigeführt hat, kann der im Polizei- und Ordnungsrecht bestehende Grundsatz keine Geltung beanspruchen, dass Maßnahmen der Polizei- oder Ordnungsbehörde entschädigungslos hinzunehmen sind, wenn sie zur Vernichtung von Sachen führen, von denen eine Gefahr im polizei- oder ordnungsrechtlichen Sinne ausgeht (OLG Hamm, Urteil vom 08. Mai 1991 – 11 U 260/90 -, Rn. 20 m.w.N., juris; Revision zurückgewiesen mit Urteil des BGH vom 12. März 1992 – III ZR 128/91 -, juris). Dies gilt gleichermaßen, wenn – wie hier – durch die polizeiliche Maßnahme lediglich eine Vermögensdisposition des Betroffenen erforderlich wurde.
Für die Frage der Entschädigung ist auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der polizeilichen Maßnahme abzustellen (OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Mai 2018 – 1 U 202/17 -, Rn. 14, juris).
Dass der Zustand des Reifens am Fahrzeug der Klägerin berechtigten Anlass zum polizeilichen Einschreiten bot, wurde oben bereits dargelegt. Diesen hat die Klägerin indes nicht etwa (schuldhaft) verursacht; entsprechenden Vortrag hat das beklagte Land nicht geleistet.
Ebenso steht fest, dass der fragliche Reifen in Wirklichkeit nicht verkehrsunsicher war und keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bestand. Dies wurde nach dem insofern unbestrittenen Vortrag der Klägerin bereits am 08.10.2018 durch einen Mitarbeiter der TÜV Süd Auto Service GmbH sowie am 15.10.2018 auf dem als Anlage K 3 zur Klageschrift vorgelegten Kontrollbericht bestätigt.
Angesichts dessen ist das Bestreiten des beklagten Landes, dass der am 19.10.2018 vom TÜV Süd begutachtete Reifen auch tatsächlich derjenige war, der sich am 06.10.2018 an der linken Hinterachse des Kraftomnibusses befand, unerheblich. Im Übrigen würde dies bedeuten, dass die Klägerin dem Sachverständigen einen anderen Reifen vorgeführt hätte, der sehr ähnliche Abnutzungsspuren aufwies wie der am 06.10.2018 beanstandete. Dies erscheint aufgrund seiner Lebensferne äußerst unwahrscheinlich.
Auch die schlüssig dargelegte Höhe des eingeklagten Anspruchs hat das beklagte Land nicht erheblich bestritten. Dass zur möglichst zeitnahen Fortsetzung der Linienfahrt ein Ersatzbus beschafft sowie der beanstandete Bus an den Sitz der Klägerin zurückgefahren werden musste, ist plausibel. Andernfalls hätte sich die Klägerin sehr wahrscheinlich höheren Ersatzansprüchen ihres Auftraggebers oder der Fahrgäste ausgesetzt (§ 254 BGB).
Die in Ansatz gebrachten Kosten erscheinen auch angemessen (§ 287 ZPO). Konkrete Einwände hat das beklagte Land hiergegen nicht erhoben.