Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Mai 2022 zum Aktenzeichen 1 BvR 842/22 entschieden, dass die Missachtung des § 275 FamFG im betreuungsgerichtlichen Verfahren verfassungswidrig ist.
Die unterbliebene Anwendung von § 275 FamFG in der angegriffenen Entscheidung hat die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.
§ 275 FamFG soll sicherstellen, dass die Betroffene in allen betreuungsrechtlichen Verfahren ohne Rücksicht auf ihre Geschäftsfähigkeit als verfahrensfähig zu behandeln ist. Die von der Geschäftsfähigkeit unabhängige Verfahrensfähigkeit soll die Rechtsposition der Betroffenen im Betreuungsverfahren stärken. Sie soll nicht bloßes Verfahrensobjekt sein, sondern vielmehr als Verfahrenssubjekt ihren Willen selbst im Verfahren äußern und ihre Interessen selbst vertreten können. Die Verfahrensfähigkeit der Betroffenen ist damit Ausdruck der Anerkennung ihrer Menschenwürde und ihres Persönlichkeitsrechts. Dabei befähigt § 275 FamFG die betroffene Person unter anderem dazu, eine Verfahrensvollmacht auch bei Fehlen eines natürlichen Willens zu erteilen.
Indem das Landgericht die Beschwerden der Beschwerdeführerin mangels wirksamer Einlegung als unzulässig verwarf, weil die Betroffene nach den Erkenntnissen des zwischenzeitlich erstatteten Gutachtens der medizinischen Sachverständigen nicht geschäftsfähig sei, mithin den mit der Beschwerdeeinlegung betrauten Rechtsanwalt nicht habe bevollmächtigen können, hat es den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven (Eil-)Rechtsschutz verletzt. Dass das Beschwerdegericht § 275 FamFG, der einen Teil der grundrechtlichen Rechtsschutzgarantie einfachrechtlich verbürgt, in dem angegriffenen Beschluss weder erwähnt noch anwendet, ist schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar. Darin kommt eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck. Nach der Anschauung des Landgerichts wäre es ihr nämlich auch in Zukunft, das heißt auch in der ausstehenden Hauptsache, verwehrt, im gerichtlichen Betreuungsverfahren – neben oder anstelle eines gerichtlich bestellten Verfahrenspflegers – einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu betrauen.