Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 09.05.2022 zum Aktenzeichen 9 S 994/21 entschieden, dass das Anbieten von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach keine Voraussetzung ist, von der die staatliche Schulaufsicht die Verleihung der Eigenschaft einer anerkannten Ersatzschule abhängig machen darf.
Aus der Pressemitteilung des VGH BW vom 24.06.2022 ergibt sich:
Zur Begründung seines Urteils führt der 9. Senat des VGH aus: Die Klage gegen die Auflage, das Fach Religionslehre (katholische und/oder evangelische Religion) entsprechend der für öffentliche Gymnasien geltenden Grundsätze auch in der gymnasialen Oberstufe zu unterrichten bzw. als Unterrichtsfach anzubieten, sei begründet. Die staatliche Anerkennung, durch die eine genehmigte private Ersatzschule das Recht erhalte, Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen, setze nicht voraus, dass dort Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach angeboten werde.
Gemäß § 10 Abs. 1 PSchG verleihe die obere Schulaufsichtsbehörde einer Ersatzschule, welche die Gewähr dafür biete, dass sie dauernd die aufgrund des Gesetzes an entsprechende öffentliche Schulen gestellten Anforderungen erfülle, die Eigenschaft einer anerkannten Ersatzschule. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 PSchG würden die nach Absatz 1 gestellten Anforderungen von einer Ersatzschule erfüllt, wenn (u.a.)
a) dem Unterricht ein von der Schulaufsichtsbehörde genehmigter Lehrplan zugrunde liegt,
b) das Lehrziel der entsprechenden öffentlichen Schule erreicht wird,
c) …
d) die für die entsprechenden öffentlichen Schulen geltenden Aufnahme- und Versetzungsbestimmungen angewendet werden,
e) …
f) …
Mit der enumerativen Aufzählung in § 10 Abs. 2 PSchG würden die in Absatz 1 normierten „aufgrund des Gesetzes an entsprechende öffentliche Schulen gestellten Anforderungen“ abschließend konkretisiert.
Damit sei es ausgeschlossen, das Erfordernis des Angebots von Religionsunterricht aus der allgemein formulierten Vorgabe in § 10 Abs. 1 PSchG in Verbindung mit anderen Vorschriften herzuleiten, die festlegten, dass der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen sei (vgl. § 96 Abs. 1 SchG; Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG sowie Art. 18 Satz 1 LV). Dieses Auslegungsergebnis folge bereits aus dem klaren Wortlaut der Bestimmung sowie der eindeutigen gesetzlichen Systematik. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes.
Das Gymnasium der Klägerin erfülle die in § 10 Abs. 2 PSchG normierten Anerkennungsvoraussetzungen auch ohne das Angebot von Religionsunterricht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats sei geklärt, dass eine private Ersatzschule, die keinen Religionsunterricht anbiete, nicht deshalb in ihren Lehrzielen hinter öffentlichen Schulen zurückstehe, so dass die Voraussetzung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 b) PSchG erfüllt sei. Deshalb dürfe der Beklagte die Verleihung der staatlichen Anerkennung auch nicht unter Verweis auf einen ohne das Angebot von Religionsunterricht nicht genehmigten Lehrplan (vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 1 a) PSchG) versagen. Ein Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1 d) PSchG folge auch nicht aus der Versetzungsrelevanz des Religionsunterrichts, die sich aus der geltenden Verordnungslage ergebe. Denn ungeachtet der umstrittenen Frage, ob die staatliche Anerkennung in materiell-rechtlicher Hinsicht überhaupt vom Angebot von Religionsunterricht abhängig gemacht werden dürfe, sei die Entscheidung darüber dem (Landes-)Gesetzgeber vorbehalten. Nach dem in Art. 20 Abs. 1 und 3 GG verankerten Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen; er dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Ob die staatliche Anerkennung einer privaten Ersatzschule davon abhängig gemacht werden solle, dass sie Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach anbiete, gehöre zu den wesentlichen Entscheidungen im (Privat-)Schulwesen. Diese Entscheidung bedürfe daher der – hinreichend bestimmten – Regelung durch Parlamentsgesetz. Hierfür spreche bereits, dass sowohl die Bundes- wie die Landesverfassung dem Religionsunterricht, der in vielfältiger Weise grundrechtliche Positionen etwa von Schülern, Eltern, Lehrern und Religionsgemeinschaften betreffe und in einem (besonderen) Spannungsverhältnis zu staatlichen Schulaufsicht stehe, eine Sonderstellung einräume. Außerdem stelle die normative Auferlegung der Pflicht, Religionsunterricht anzubieten, einen besonders intensiven Eingriff in die Privatschulfreiheit des Privatschulträgers aus Art. 7 Abs. 4 GG dar.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden.