Das Landesarbeitsgericht Hessen hat mit Urteil vom 17.12.2021 zum Aktenzeichen 10 Sa 403/21 entschieden, dass Tätigkeiten, die im Rahmen von so genanntem „Facilitymanagement“ bei der Renovierung von Wohnungen bei einem Mieterwechsel erbracht werden, grundsätzlich dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) unterfallen. § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV ist nicht in der Weise einschränkend auszulegen,dass sie „Kleinreparaturen“ nicht erfassen will. Erfasst werden auch „kleinere Reparaturen an Schlössern, Schaltern und Lampen“. Eine Geringfügigkeitsschwelle ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen.
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beiträge zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe zuzahlen. Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) nimmt er die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen in Anspruch. Die Beklagte ist ein Unternehmen, deren Gegenstand die Bestandspflege von Immobilien Dritter ist. Kunden der Beklagten sind Unternehmen, die eine Vielzahl von Wohnungen zur Miete gewerblich anmieten. In diesem Rahmen erbringt sie im Auftrag der Eigentümer Renovierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen in Bezug auf bestehende Wohneinheiten, das betrifft Instandhaltungsmaßnahmen bei laufenden Mietverhältnisse, aber auch Renovierungsmaßnahmen bei einem Mieterwechsel („Facilitymanagementdienstleistungen“). Im Betrieb der Beklagten sind im streitgegenständlichen Zeitraum die folgenden Arbeiten erbracht worden: Heizungs- und Sanitärarbeiten, Maler- und Lackierarbeiten, Fliesen-, Klempner-, Estrich-, Glaser-, Maurer- und Putz-, Elektroinstallations- sowie Trocken- und Montagebauarbeiten. Die Parteien streiten darüber, ob der betriebliche Geltungsbereich des VTV eröffnet ist, insbesondere über die Frage, ob die verschiedenen Ausnahmegewerke nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 12 VTV zusammenzurechnen sind oder nicht. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
Der betriebliche Geltungsbereich des VTV ist eröffnet. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV hängt davon ab, ob in demBetrieb arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen.Für die Beurteilung der Frage, ob in einem Betrieb überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden, ist auf die
überwiegende Arbeitszeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr abzustellen (vgl. BAG, Urteilvom 27 . 03 . 2019 – 10 AZR 512 / 17 ). Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinne erbracht, sind ihnen diejenigen Nebenarbeiten ebenfalls zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistung notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auch handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (BAG, Urteil vom 15 . 07 . 2020 – 10 AZR 337 / 18 ). Dietarifliche Regelung ist weit zu verstehen und umfasst auch kleinere Instandsetzungsarbeiten, die häufig als“Hausmeistertätigkeiten“ oder Arbeiten des „Facilitymanagements“ bezeichnet werden. Entgegen der Ansicht der Beklagtenist ein „Bauleistungskern“ hier nicht zu verlangen. Die Norm des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV ist entgegen der Ansicht derBeklagten nicht „verfassungsrechtlich zu weit“ geraten und daher eng auszulegen. Verschiedenen Ausnahmetatbeständen zuzuordnende Tätigkeiten sind nicht zusammenzurechnen. Ein Betrieb, der arbeitszeitlich betrachtet überwiegend z.B. Maler-,Schreiner-, Sanitär- und Elektroinstallationsarbeiten erbringt, ist ein „Mischbetrieb“, der dem VTV unterfällt. Er wird aber weder nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 oder Nr. 11 VTV noch nach der Nr. 12 VTV ausgenommen, wenn nicht mehr als 50% der Arbeitszeit in nur einem der Bereiche erbracht worden ist. Eine andere Betrachtung ist auch nicht unterverfassungsrechtlichen Aspekten im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Die Einschränkung der AVE des VTV vom 07 . 05 . 2019 , die in Abs. 4 Nr. 7 eine Vermutungswirkung zugunsten von Betrieben enthält, die zum Stichtag 30 . 06 . 2014 unmittelbares oder mittelbares Mitglied des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke waren, ist nicht auf Beiträge anwendbar, die vor Inkrafttreten der AVE am 01 . 01 . 2019 entstanden sind.
Letztlich ist die Beklagte wenig schutzbedürftig, weil sie es im Grundsatz selbst in der Hand hatte, die Anwendung des VTVdurch einen Verbandsbeitritt zu vermeiden. Werden in ihrem Betrieb z.B. mehr als 50 % Arbeiten des Malerhandwerks erbracht, kann sie dem entsprechenden Malerverband (Hauptverband Farbe, Gestaltung Bautenschutz -Bundesinnungsverband des deutschen Maler- und Lackiererhandwerks) beitreten und würde sodann grundsätzlich von der Einschränkung der AVE des VTV nach Abs. 4 Nr. 1 erfasst, soweit der betriebliche Geltungsbereich des § 1Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk eröffnet ist. In der Einschränkung der AVE des VTV vom 06 . 07 . 2015 finden sich in Abs. 4 Nr. 6 entsprechende Ausnahmen für Betriebe aus dem Bereich Sanitär Heizung Klima sowie des Elektroinstallationsgewerbes.