Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 02.06.2022 zum Aktenzeichen C 587/20 entschieden, dass eine in der Satzung einer Arbeitnehmerorganisation für die Wählbarkeit in das Amt des Vorsitzenden dieser Organisation vorgesehene Altersgrenze in den Geltungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinie fällt.
Aus der Pressemitteilung des EuGh Nr. 92/2022 vom 02.06.2022 ergibt sich:
Für die Anwendung dieser Richtlinie ist es unerheblich, dass es sich dabei um ein politisches Amt handelt und die betreffende Person in dieses Amt gewählt wird.
Die 1948 geborene A wurde 1978 als hauptamtliche Mitarbeiterin von einer Ortsgruppe der HK eingestellt, einer dänischen Arbeitnehmerorganisation, der der Verband HK/Danmark und der Sektor HK/Privat angehören.
1993 wurde sie zur Vorsitzenden von HK/Privat gewählt.
In diesem politischen Amt hatte sie zwar eine Vertrauensstellung inne, es wies jedoch auch bestimmte, für Arbeitnehmer typische Merkmale auf.
So war A in Vollzeit beschäftigt, erhielt ein monatliches Gehalt, und das Urlaubsgesetz war auf sie anwendbar.
Sie wurde alle vier Jahre wiedergewählt und hatte das Amt der Vorsitzenden dieses Sektors bis zum 08.11.2011 inne.
Zu diesem Zeitpunkt war sie 63 Jahre alt und hatte die in der Satzung des HK Privat vorgesehene Altersgrenze überschritten, so dass sie sich nicht erneut zur Wahl, die in diesem Jahr stattfinden sollte, stellen konnte.
Auf die von A beim Ligebehandlingsnævn (Beschwerdeausschuss für Gleichbehandlung, Dänemark) eingelegte Beschwerde entschied dieser, dass es gegen das dänische Antidiskriminierungsgesetz verstoße, wenn A wegen ihres Alters nicht erneut für den Vorsitz des HK/Privat kandidieren dürfe, und gab dem HK auf, A für den erlittenen Schaden eine Entschädigung zu zahlen.
Da diese Entscheidung nicht befolgt wurde, erhob dieser Ausschuss, handelnd für A, Klage gegen das Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark, Dänemark) ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Frage abhänge, ob A als politisch gewählte Vorsitzende des HK/Privat in den Geltungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinie falle.
Wenn dies bejaht werde, sei sie gemäß der Satzung dieses Sektors unstreitig Opfer einer gegen diese Richtlinie verstoßenden unmittelbaren Diskriminierung wegen des Alters.
Der Gerichtshof, der von diesem Gericht um Vorabentscheidung ersucht worden ist, entscheidet, dass eine in der Satzung einer Arbeitnehmerorganisation für die Wählbarkeit in das Amt des Vorsitzenden dieser Organisation vorgesehene Altersgrenze in den Geltungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinie fällt.
Erstens kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die „Bedingungen für den Zugang“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie zur Stelle des Vorsitzenden einer Arbeitnehmerorganisation in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen.
Was die Wendung „Bedingungen … für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmung betrifft, lässt sich dem Umstand, dass die Begriffe „unselbständige Erwerbstätigkeit“ und „selbständige Erwerbstätigkeit“ nebeneinander verwendet werden, entnehmen, dass die Bedingungen für den Zugang zu jeglicher beruflichen Tätigkeit unabhängig von deren Art und Merkmalen erfasst werden. Diese Begriffe sind nämlich weit zu verstehen, wie ein Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung zeigt.
So geht aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Antidiskriminierungsrichtlinie hervor, dass deren Geltungsbereich nicht auf die Bedingungen für den Zugang zu Stellen beschränkt ist, die von „Arbeitnehmern“ im Sinne von Art. 45 AEUV besetzt sind.
Zudem bestätigen die Ziele dieser Richtlinie diese am Wortlaut orientierte Auslegung. Die Antidiskriminierungsrichtlinie, deren Rechtsgrundlage der aktuelle Art. 19 Abs. 1 AEUV ist, zielt nämlich nicht auf den Schutz des Arbeitnehmers als der schwächeren Partei eines Arbeitsverhältnisses ab.
Ihr Zweck ist – aus im sozialen und öffentlichen Interesse liegenden Gründen – die Beseitigung aller auf Diskriminierungsgründe gestützter Hindernisse für den Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal in welcher Rechtsform, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.
Somit kommt es für die Frage, ob die Bedingungen für den Zugang zur Stelle des Vorsitzenden des Sektors HK/Privat unter die Richtlinie fallen, nicht darauf an, ob ein solcher Vorsitzender als Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV und der diese Vorschrift auslegenden Rechtsprechung einzustufen ist.
Die politische Natur einer solchen Stelle ist unerheblich für die Frage, ob diese Bedingungen in den Geltungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinie fallen, da sie sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Bereich unabhängig vom Tätigkeitsfeld gilt und die Ausnahmen ausdrücklich festgelegt sind.
Ebenso wenig ist es für die Anwendung der Richtlinie erheblich, wie die Einstellung auf eine Stelle, etwa durch eine Wahl, erfolgt.
Diese Erwägungen werden nicht durch das Vorbringen zum Recht von Arbeitnehmerorganisationen, ihre Vertreter frei zu wählen, das ein Aspekt der in Art. 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerten Vereinigungsfreiheit ist, in Frage gestellt.
Dieses Recht muss nämlich mit dem in der Antidiskriminierungsrichtlinie geregelten Verbot von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf als Konkretisierung des in Art. 21 der Charta verankerten allgemeinen Grundsatzes der Nichtdiskriminierung in Einklang gebracht werden.
Da die Vereinigungsfreiheit kein absolutes Recht ist, darf ihre Ausübung gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta eingeschränkt werden, sofern die Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieses Rechts achten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Zweitens entscheidet der Gerichtshof in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Antidiskriminierungsrichtlinie, wonach diese u.a. auf die Mitwirkung in einer Arbeitnehmerorganisation anwendbar ist, dass die Ausübung der Tätigkeit des Vorsitzenden einer solchen Organisation unter diese Bestimmung fällt.
Es stellt nämlich eine Art von „Mitwirkung“ – im gewöhnlichen Sinn dieses Begriffs – in einer solchen Organisation dar, wenn jemand bei der Wahl zum Vorsitzenden einer Arbeitnehmerorganisation kandidiert oder, nachdem er gewählt wurde, die Aufgaben des Vorsitzenden wahrnimmt.
Diese Auslegung entspricht dem Ziel der Richtlinie, das darin besteht, einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen u. a. wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf zu schaffen, so dass die Begriffe, die in Art. 3 der Richtlinie deren Geltungsbereich präzisieren, nicht eng ausgelegt werden dürfen.