Verfassungsbeschwerden gegen Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach erfolgtem Wechsel des Aufgabenträgers erfolgreich

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 12. April 2022 zum Aktenzeichen 1 BvR 798/19, 1 BvR 2894/19 zwei Verfassungsbeschwerden stattgegeben, mit der sich die Beschwerdeführerinnen gegen ihre Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach erfolgtem Wechsel des Aufgabenträgers wandten. Die fachgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 47/2022 vom 31. Mai 2022 ergibt sich:

Sachverhalt:

Mit ihren Verfassungsbeschwerden machen die Beschwerdeführerinnen unter anderem eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) geltend. Sie meinen, dass der verfassungsrechtlich garantierte Vertrauensschutz die Erhebung von Anschlussbeiträgen durch einen neuen Aufgabenträger verbiete, wenn unter dem alten Aufgabenträger hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen bereits gegen die Bindungswirkung des Beschlusses der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14.

Danach verletzt die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. nicht mehr erhoben werden könnten, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Grundsatz des Vertrauensschutzes). Diese Entscheidung war für die Verwaltungsgerichte gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindend. Dies gilt auch dann, wenn es zwischenzeitlich zu einem Wechsel des Aufgabenträgers gekommen ist. Im Falle der erfolgten Eingemeindung sah die Kammer ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als gegeben an, ging also davon aus, dass der Wechsel eines Aufgabenträgers der Berufung auf die hypothetische Festsetzungsverjährung nicht entgegensteht. Bei einem Beitritt einer Gemeinde zu einem Zweckverband oder der Gründung eines Zweckverbands durch mehrere Gemeinden gilt nichts anderes.

Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte lassen sich auch nicht mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Grundsatz des Vertrauensschutzes) vereinbaren.

Der Gesetzgeber in Brandenburg hat zwar für Kommunalabgaben Verjährungsregelungen und eine (verfassungsgemäße) Regelung zur zeitlichen Höchstfrist (§ 19 Abs. 1 KAG Bbg) getroffen. Die Auslegungspraxis der Verwaltungsgerichte führt jedoch dazu, dass das durch den Eintritt der hypothetischen Verjährung begründete Vertrauen der Beschwerdeführerinnen, dass die erlangten tatsächlichen Vorteile nicht mehr durch Beiträge ausgeglichen werden müssen, für unbeachtlich erklärt wird, ohne dass Gründe ersichtlich wären, die es rechtfertigen könnten, nachträglich in die von Verfassungs wegen geschützte Vertrauensposition einzugreifen.

Zwar trifft die Annahme der Verwaltungsgerichte zu, dass diejenigen, die daraus besonderen wirtschaftlichen Nutzen ziehen können, dass ihnen das Gemeinwesen in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine besondere Einrichtung zur Verfügung stellt, auch zu den Kosten deren Errichtung und Unterhaltung beitragen sollen. Ist die abzugeltende Vorteilslage eingetreten, dann muss der Bürger damit rechnen, dass er zur Zahlung von Beiträgen herangezogen wird. Je weiter dieser Zeitpunkt zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich allerdings die Legitimation zur Erhebung von Beiträgen für diese Vorteilslage. Sie ist ausgeschlossen, wenn (hypothetische) Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Daran können auch die Änderung der Größe einer kommunalen Anlage und der Wechsel des Aufgabenträgers nichts ändern. Die Leistung der (früheren) Kommune, hier der Anschluss an die Wasser- und Abwasseranlage, hat sich durch das Aufgehen in ein größeres Verbandsgebiet nicht verändert. Damit beginnt auch die Frist für das Vertrauen nicht wieder neu zu laufen. Anderenfalls würden Beitragspflichtige wegen eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs letztlich doch dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Das wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Rechtsordnung als Garanten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht zu vereinbaren.