Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 02.03.2022 zum Aktenzeichen 4 Sa 644/21 entschieden, dass ein Arbeitgeber zum Schutz seiner Beschäftigten vor einer Infektion mit dem Coronavirus die Art und Weise der Arbeitserbringung und Ordnung und Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb regeln kann, und zwar auch mit der Folge, dass derjenige Arbeitnehmer, der nicht bereit ist, seine Arbeitsleistung entsprechend der (zulässigen) Festlegung zu erbringen, mittelbar seinen Entgeltanspruch verliert. Er kann aber nicht ohne Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung unmittelbar über den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers disponieren.
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche des Klägers für August 2020. Im Zusammenhang mit der Überprüfung und Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung stellte die Beklagte im Juni 2020 ein Corona-Konzept auf und aktualisierte dieses fortlaufend. Die Beklagte richtete an ihre Mitarbeiter eine Mitarbeiterinformation vom 17.06.2020 , welche u.a. vorsah, dass alle Mitarbeiter sich nach Rückkehr aus einem Risikogebiet zwingend in eine 14-tägige Quarantäne begeben müssen. Die Mitarbeiter wurden weiter informiert, dass sie für die Zeit einer erforderlichen Quarantäne, wie auch einer tatsächlichenCOVID-19 Erkrankung ihre Lohnfortzahlungsansprüche verlieren. Alle Mitarbeiter wurden eindringlich gebeten, von Reisen in Risikogebiete Abstand zu nehmen. Weiter wurden die Mitarbeiter informiert, dass eine einmalige PCR-Testung im Rahmender Rückkehr aus einem Risikogebiet nicht anerkannt werde. Der Kläger hielt sich in der Zeit vom 11. bis zum 14.08.2020 in der Türkei auf. Diese war zum damaligen Zeitpunkt als sogenanntes Corona-Risikogebiet ausgewiesen; es bestand eine Reisewarnung für die Türkei. Vor der Ausreise aus der Türkei absolvierte der Kläger einen Corona-Test (PCR-Test), der ein negatives Resultat auswies. Bei der Einreise in Deutschland am 15.08.2020 ließ der Kläger erneut einen Corona Testvornehmen, der ebenfalls negativ war. Sein Hausarzt erteilte dem Kläger am 17.08.2020 ein Attest, in dem bescheinigt wurde, dass der Kläger symptomfrei war. Am 17.08.2020 wurde der Kläger dennoch von der Beklagten nicht an den Arbeitsplatz gelassen, sondern am Werktor abgewiesen. Die Beklagte zahlte dem Kläger für August 2020 lediglich ein um die Quarantänezeit gekürztes Gehalt. Das ArbG hat der Klage auf Differenzvergütung stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat für den Zeitraum, in dem ihn die Beklagte im August 2020 nicht beschäftigte, einen Entgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 615 Satz 1 BGB, da sich die Beklagte im Annahmeverzug befand. Der Kläger hat die Arbeitsleistungam rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise angeboten. Dem steht das Hygienekonzept seitens der Beklagten nicht entgegen. Der Kläger war nicht nur tatsächlich in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen, sondern auch rechtlich. Eine rechtliche Unmöglichkeit hätte zwar im Falle einer gesetzlich angeordneten Quarantäne vorgelegen. Der Kläger war aber nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben rechtlich verpflichtet, sich in Quarantäne zu begeben. Zwar bestand nach der maßgeblichen SARS CoV-2-Eindämmungsmaßnahmeverordnung eine Quarantänepflicht von 14 Tagen nach Rückkehr aus einem Risikogebiet. Jedoch bestand nach § 20 Abs. 3 SARS-CoV-2 Eindämmungsmaßnahmeverordnung eine Ausnahme von der häuslichen Quarantäne. Danach besteht keine Quarantänepflicht bei Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses nebst aktuellem Laborbefund welches bestätigt, dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus vorhanden sind. Diesen Anforderungen genügt das vom Kläger eingereichte ärztliche Zeugnis über die Durchführung eines PCR-Tests mit negativem Ergebnis. Darüber hinaus wurde dem Kläger durch ärztlichen Bescheinigung vom 17.08.2020 attestiert, dass er symptomfrei war. Die Anordnung der Arbeitgeberin durch das Hygienekonzept begründet anders als staatlich angeordnete Quarantänepflicht kein rechtliches Unvermögen. Anders als bei der Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bzw. einer Testung auf das Corona-Virus (vgl. LAG München, Urteil vom 26.10.2021 – 9 Sa 332/21 sowie des LAG Hamburg, Urteil vom 13.10.2021 – 7 Sa 23/21), wo der Vergütungsanspruch allein deswegen verlorenging, weil die jeweiligen Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht vertragsgemäß erbringen wollten und deswegen leistungsunwillig waren, regelte die Beklagte hier nicht den Inhalt der Arbeitsleistung, sondern einseitig einen Verlust des Entgeltanspruchs. Dies ist vom Direktionsrecht nicht gedeckt. Insoweit kann zwar der Arbeitgeber zum Schutz seiner Beschäftigten vor einer Infektion mit dem Coronavirus die Art und Weise der Arbeitserbringung regeln. Er kann aber nicht ohne Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung unmittelbar über den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers disponieren.
Auch das durch die Beklagte angeordnete Betretungsverbot begründet kein rechtliches Unvermögen. Zwar kann auch die Erteilung eines Hausverbots durch einen Dritten ein rechtliches Unvermögen begründen, wenn die Arbeitsleistung in den Räumlichkeiten des Dritten zu erbringen ist (BAG, Urteil vom 28.09.2016 – 5 AZR 224/16). Die Anordnung eines Betretungsverbots durch den Vertragspartner selbst begründet demgegenüber aber kein rechtliches Unvermögen. Andernfalls könnte der Arbeitgeber durch die schlichte Anordnung eines Betretungsverbots den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 615 Satz 1 BGB beseitigen.