Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.11.2021 zum Aktenzeichen 10 AZR 261/20 entschieden, dass für das Austragen von Zeitungen in Dauernachtarbeit ein Ausgleich durch einen Zuschlag in Höhe von 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt regelmäßig angemessen iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ist.
§ 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
Bei dem Merkmal „angemessen“ in § 6 Abs. 5 ArbZG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung die Grundrechte zur Geltung zu bringen sind. Die Grundrechte des Grundgesetzes haben in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten mittelbare Drittwirkung im Sinn einer Ausstrahlungswirkung. Sie entfalten ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als „Richtlinien“ in das Zivilrecht ein (BVerfG 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Rn. 32, BVerfGE 148, 267; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 52 mwN; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 28). Kollidierende Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (BVerfG 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – Rn. 76 mwN, BVerfGE 152, 152; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – aaO; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – aaO; 30. Januar 2019 – 10 AZR 299/18 (A) – Rn. 36, BAGE 165, 233). Die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (BVerfG 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Rn. 33, aaO).
Nachtarbeit ist schädlich (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 37; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 70; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 27, BAGE 171, 280; Schlachter/Heinig/Bayreuther Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] 2. Aufl. § 11 Rn. 33; EuArbRK/Gallner 3. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Sie hat nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen negative gesundheitliche Auswirkungen (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – aaO). Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit – ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 38; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 71; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – aaO mwN; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom 24. Mai 2017 S. 42).
Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191). Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 36 ff.; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 44). Das hohe Gewicht, das der Gesundheit des Einzelnen in der Wertordnung des Grundgesetzes zukommt, zeigt sich daran, dass sich für dieses Rechtsgut aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Schutzpflichten des Staates ergeben können. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen (BVerfG 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 ua. – Rn. 145, BVerfGE 157, 30).
Die Regelungen in § 6 ArbZG dienen in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers vor den schädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit (BT-Drs. 12/5888 S. 21, 25 f.). Nach § 6 Abs. 5 ArbZG sollen Nachtarbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen erhalten, ohne dass der Gesetzgeber Vorgaben zum Umfang des Ausgleichs macht (BT-Drs. 12/5888 S. 22, 26, 52). Soweit § 6 Abs. 5 ArbZG einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründet, tritt eine gesundheitsschützende Wirkung jedenfalls in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der zu erbringenden Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Soweit ein Nachtarbeitszuschlag vorgesehen ist, soll er den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 28 mwN, BAGE 171, 280). Zwischen den Alternativen des Belastungsausgleichs besteht nach der gesetzlichen Regelung kein Rangverhältnis. Der Freizeitausgleich ist nicht vorrangig. Die Angemessenheit des Ausgleichs iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ist für beide Alternativen nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen. Der Umfang der Ausgleichsverpflichtung hängt nicht davon ab, für welche Art des Ausgleichs sich der Arbeitgeber entscheidet. Vielmehr müssen sich die jeweiligen Leistungen nach ihrem Wert grundsätzlich entsprechen (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 29 mwN, aaO, auch zu den abweichenden Auffassungen in der Literatur).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt ein Zuschlag in Höhe von 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt oder die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG dar (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 30 mwN, BAGE 171, 280).
Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein geringerer als der regelmäßig angemessene Ausgleich den Anforderungen nach § 6 Abs. 5 ArbZG genügen.
Eine Verringerung des Zuschlags mit der Begründung, dass Nachtarbeit unvermeidbar ist, kann in Betracht kommen, wenn die Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG unvermeidbar ist (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 34, BAGE 171, 280; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 29, BAGE 153, 378). Zuletzt ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einschränkend angenommen worden, dass eine Verminderung des Zuschlags jedenfalls dann möglich ist, wenn überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erfordern, wie das etwa im Rettungswesen der Fall sein kann (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 56, BAGE 162, 340; kritisch zu diesem Kriterium Polzin SR 2019, 303, 310 f.).
Ebenso kommt ein geringerer Zuschlag in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit im Vergleich zu der üblichen Situation geringer ist. Das kann beispielsweise bei der nächtlichen Bereitschaftszeit gegeben sein. Sie ist auch in ihren inaktiven Teilen arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit und keine Ruhezeit (vgl. EuGH 9. September 2021 – C-107/19 – [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 28 f.; 15. Juli 2021 – C-742/19 – [Ministrstvo za obrambo] Rn. 93 ff.; 9. März 2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 28 ff.; 9. März 2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 29 ff.; grundlegend EuGH 9. September 2003 – C-151/02 – [Jaeger] Rn. 48 ff.; 3. Oktober 2000 – C-303/98 – [Simap] Rn. 48 ff.; BAG 27. Juli 2021 – 9 AZR 448/20 – Rn. 45; 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20 – Rn. 35). Nächtliche Bereitschaftszeiten oder auch Bereitschaftsdienste sind daher nach § 6 Abs. 5 ArbZG ausgleichspflichtig (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 33, BAGE 171, 280; Anzinger/Koberski ArbZG 5. Aufl. § 6 Rn. 78a; NK-GA/Wichert § 6 ArbZG Rn. 44). Ein geringerer Zuschlag als 25 % des Bruttoarbeitsentgelts kann gleichwohl wegen des Charakters des Zuschlags als Entgeltbestandteil und finanzieller Ausgleich angemessen sein. Während der nächtlichen Bereitschaftszeit ist typischerweise davon auszugehen, dass es zu inaktiven Zeiten der Entspannung und einer geringeren Arbeitsbelastung kommt (vgl. BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 44, BAGE 162, 340; 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 25). Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Für die Höhe des Entgelts besteht nach Art. 153 Abs. 5 AEUV keine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union. Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Richtlinie 2003/88/EG regeln Fragen des Arbeitsentgelts im Ausgangspunkt deshalb nicht. Die Art und Weise der Vergütung von Bereitschaftszeiten unterliegt vielmehr dem innerstaatlichen Recht. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats dürfen vorsehen, dass bei der Vergütung einer Bereitschaftszeit Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten insgesamt als „Arbeitszeit“ für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie anzusehen sind (vgl. EuGH 9. September 2021 – C-107/19 – [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 42; 9. März 2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 58; 9. März 2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 57; BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 55, aaO; 18. März 2020 – 5 AZR 36/19 – Rn. 18, BAGE 170, 172).
Eine Erhöhung des Regelwerts auf 30 % kommt in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Gesichtspunkten die gewöhnlich mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Ein solcher Fall ist typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit gegeben (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 32, BAGE 171, 280; 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 50 mwN, BAGE 162, 340; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 28 mwN, BAGE 153, 378; Schaub/Linck ArbR-HdB 19. Aufl. § 69 Rn. 35).
Die allgemeinen Grundsätze zu einer angemessenen Höhe der Zuschläge berücksichtigen hinreichend die Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
Die Berufsfreiheit der Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG ist mit dem auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Ausgleich zu bringen.
Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben. Sie umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient. Das Grundrecht ist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht. Als Teil der Berufsfreiheit ist damit auch die Vertrags- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers geschützt (BVerfG 16. Juli 2012 – 1 BvR 2983/10 – Rn. 14). Das Grundrecht sichert ua. die Teilnahme am Wettbewerb im Rahmen der hierfür aufgestellten rechtlichen Regeln. Es gewährleistet den Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitnehmern im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln. Die Vertragsfreiheit wird zwar auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Ist jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung betroffen, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfG 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 – Rn. 78, BVerfGE 116, 202). Der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG richtet sich allerdings nicht gegen jedwede auch nur mittelbar wirkende Beeinträchtigung des Berufs. Es genügt nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten. Da nahezu jede Norm oder deren Anwendung unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, drohte das Grundrecht sonst, konturlos zu werden (BVerfG 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17 ua. – Rn. 96 mwN, BVerfGE 155, 238).
§ 6 Abs. 5 ArbZG knüpft tatbestandlich allein an die Beschäftigung während der Nachtzeit an. Ein Zuschlag von bis zu 30 % oder eine entsprechende Zahl freier Tage betrifft grundsätzlich alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, die zur Nachtzeit ausgeübt werden. Er berührt die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübung des Arbeitgebers regelmäßig nicht in einem Umfang, der einer objektiv berufsregelnden Tendenz gleichkäme (vgl. dazu BVerfG 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298/94 ua. – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 111, 191). Dieser geringen Betroffenheit der Berufsfreiheit stehen gewichtige Interessen des Gesundheitsschutzes gegenüber.
Die aus § 6 Abs. 5 ArbZG regelmäßig folgende Verpflichtung, für eine Arbeitsleistung in der Nacht einen Ausgleich in Höhe von bis zu 30 % zu gewähren, soll den Anreiz zur Anordnung dieser besonders gesundheitsschädlichen Arbeit vermindern. Mit Nachtarbeitszuschlägen kann jedenfalls der mit dieser Arbeitsform verbundenen sozialen Desynchronisation entgegengewirkt werden (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 28 mwN, BAGE 171, 280). Das genügt für die Eignung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17 ua. – Rn. 102, BVerfGE 155, 238). Die Förderung des Gesundheitsschutzes stellt ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang dar (Art. 2 Abs. 2 GG; BVerfG 18. Mai 2016 – 1 BvR 895/16 – Rn. 47). In der Wertordnung des Grundgesetzes kommt ihr ein hohes Gewicht zu. Mit Blick darauf darf ihr Schutz auch mit Mitteln angestrebt werden, die das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich betreffen (vgl. BVerfG 8. Juni 2010 – 1 BvR 2011/07 ua. – Rn. 95, BVerfGE 126, 112; 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 ua. – Rn. 119, 122, BVerfGE 121, 317). Die durch die Höhe der Nachtarbeitszuschläge ohnehin nur in geringem Umfang betroffene Berufsfreiheit der Arbeitgeber hat daher hinter den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zurückzutreten.
Die Interessen der Arbeitgeber finden Eingang in die Höhe der Zuschläge, indem nicht ein fester Zuschlag als angemessen angesehen wird. Die Höhe des angemessenen Zuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 31 ff., BAGE 171, 280; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 27, BAGE 153, 378). Abzustellen ist auf die Art und den Umfang der zur Nachtzeit ausgeübten Tätigkeit sowie auf die damit verbundenen Belastungen für die Nachtarbeitnehmer. In einem differenzierenden System kann so auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht genommen werden. Eine Absenkung der grundsätzlich als angemessen angesehenen Zuschlagshöhe von 25 % kann im Fall von Nachtarbeit in Betracht kommen, die aus überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls unvermeidbar ist (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 39 ff., aaO; 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 56, BAGE 162, 340). Entsprechendes gilt für Zeiten mit geringerer Arbeitsbelastung (vgl. BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 44, aaO; 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 25).
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG steht dem nach § 6 Abs. 5 ArbZG geschuldeten Ausgleich für Nachtarbeit von bis zu 30 % ebenfalls nicht entgegen. Bloße Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten werden auch unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht von der Eigentumsgarantie erfasst (BVerfG 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17 ua. – Rn. 86, BVerfGE 155, 238; 6. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11 ua. – Rn. 240, BVerfGE 143, 246).