Das Oberlandesgericht Celle hat mit Beschluss vom 20.04.2022 zum Aktenzeichen 2 Ws 62/22 in dem Strafverfahren wegen der Tötung der 17-jährigen Frederike von Möhlmann die Beschwerden des früheren Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Verden vom 25. Februar 2022 zurückgewiesen. Das Landgericht hatte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt und Untersuchungshaft angeordnet.
Aus der Pressemitteilung des OLG Celle vom 20.04.2022 ergibt sich:
Der frühere Angeklagte wird verdächtigt, Frederike von Möhlmann im Jahr 1981 vergewaltigt und getötet zu haben. Von diesem Vorwurf hatte ihn das Landgericht Stade 1983 rechtskräftig freigesprochen. Nach einem erst im Jahr 2012 erstellten molekulargenetischen Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen soll der frühere Angeklagte aber als Verursacher einer Spermaspur am Slip der Getöteten in Betracht kommen. Aufgrund der Rechtskraft des Freispruchs konnte dieses neue Beweismittel zunächst nicht zu Lasten des früheren Angeklagten berücksichtigt werden. § 362 der Strafprozessordnung (StPO) bestimmte, dass ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren nur dann zuungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden konnte, wenn das frühere Verfahren unter bestimmten schweren Mängeln litt oder ein freigesprochener Angeklagter die Tat zwischenzeitlich gestanden hatte.
2021 wurden diese Wiederaufnahmemöglichkeiten durch den Gesetzgeber erweitert. Nach dem neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO kommt eine Wiederaufnahme jetzt auch bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln in Betracht, nach denen eine Verurteilung wegen Mordes oder anderer unverjährbarer schwerster Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Neuregelung war sowohl rechtspolitischen als auch verfassungsrechtlichen Angriffen ausgesetzt.
Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat die Beschwerden gegen die Entscheidung des Landgerichts Verden zurückgewiesen.
Der Senat hält die gesetzliche Neuregelung für verfassungsgemäß. Sie verstoße insbesondere nicht gegen das in Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung. Sie gelte nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden für eine Wiederaufnahme vor. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für derartige Ausnahmefälle trotz eines vorangegangenen Freispruchs eine schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen, sei vertretbar und durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt. Auch das im Grundgesetz verankerte allgemeine Rückwirkungsverbot hält der Senat nicht für verletzt.
In dem konkreten Fall bestünden unter Berücksichtigung des nunmehr vorliegenden DNA-Gutachtens dringende Gründe für eine Verurteilung wegen Mordes. Damit lägen die Voraussetzungen des neuen Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO vor. Der Senat hat daher auch die vom Landgericht Verden angeordnete Untersuchungshaft aufrechterhalten. Bei dem Beschwerdeführer liege der besondere Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO vor.
Dieser Beschluss kann nicht mit einem strafprozessualen Rechtsmittel angegriffen werden. Eine mögliche Verfassungsbeschwerde des früheren Angeklagten hätte vorbehaltlich einer abweichenden Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht keine aufschiebende Wirkung.
In Konsequenz der Entscheidung des Oberlandesgerichts hat das Landgericht Verden in einem nächsten Schritt abschließend über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft zu entscheiden; da der frühere Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt noch keine ausreichende Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen, hatte das Landgericht zunächst nur summarisch geprüft, ob das jetzt vorliegende DNA-Gutachten dringende Gründe für die Verurteilung wegen Mordes bietet. Für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens ist eine erneute Hauptverhandlung durchzuführen. Diese dient der Klärung, ob die erhobenen Vorwürfe zutreffen; für den früheren Angeklagten gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.