Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 13.01.2022 zum Aktenzeichen 6 Sa 386/21 entschieden, dass eine bloße Stillosigkeit bzw. eine bloße Verletzung des guten Geschmacks nicht ausreichend sind, um das rechtsethische Minimum im Sinne des § 242 BGB zwecks Bejahung der Treuwidrigkeit des Verhaltens einer Person zu unterschreiten.
Eine Vertragsbefristung, die dem Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG genügt und gegen keine Diskriminierungsvorschrift sowie gegen kein sonstiges gesetzliches Verbot außerhalb des TzBfG verstößt, ist demzufolge nicht mangels eines
Befristungsgrundes als unwirksam anzusehen.
Das Verhalten des Klägers, insbesondere das Verhalten seiner Prozessbevollmächtigten, mag zwar stillos sein, ist aber nach dem Maßstab des § 242 BGB und der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung nicht im Rechtssinne treuwidrig.
Der Kläger ist auch nicht deshalb an der Rüge der fehlenden Personalratsanhörung gehindert, weil sein Verhalten oder das seiner Prozessbevollmächtigten unseriös, unanständig oder in einem anderen Sinne anstößig wäre. Der Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 schafft zwar eine Verbindung zwischen dem bestehenden Recht und einer sie ergänzenden Ethik, begrenzt deren Einfluss aber auf ein rechtsethisches Minimum. Mit der Berufung auf die Treue lässt sich nur dieses Minimum, nicht jedoch jede Gerechtigkeitsvorstellung für Recht erklären (BeckOGK/Kähler, 1.8.2021, BGB § 242 Rn. 1).
Das prozessuale Verhalten der Prozessbevollmächtigten des Klägers mag zwar stillos sein, es unterschreitet aber nicht das besagte rechtsethische Minimum. Bei der Vereinbarung der Befristung stand als Handelnder nicht ein unterlegener und juristisch ungebildeter Arbeitnehmer der Übermacht einer professionellen Personalabteilung gegenüber. Es war vielmehr in seiner Vertretung eine Rechtsanwältin, die Fachanwältin für Arbeitsrecht ist, die auf eine langjährige Erfahrung in der Beratung und Schulung von Mitbestimmungsgremien hat und die, nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten in der Berufungsverhandlung, im persönlichen Kontakt mit dem hier konkret betroffenen Personalrat steht, dessen Rechte sie mit dem Abschluss des streitgegenständlichen Vergleichs missachtet hat. Die von der Beklagten geäußerte Vermutung, die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe schon im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Mitbestimmungswidrigkeit vor Augen gehabt, den Vergleich also im Wissen um seine Unwirksamkeit und im Angesicht des Vertrauens der beiden anderen Handelnden in ihr Rechtsanwältinnen-Wort abgeschlossen, scheint kaum erschüttert zu sein. Dazu fehlt es an einer konkreten Darstellung des Zeitpunktes, in dem ihr die (doch eigentlich unangenehme) Wahrheit vor Augen stand, dass sie selbst mit Abschluss des Vergleichs die Rechte des zuständigen Personalrats missachtet hat. Schließlich geht es hier vor allem um ein Recht des Personalrats, also um die Gewährleistung einer funktionierenden Mitbestimmung im öffentlichen Dienst; die individualrechtliche Folge ist nur die Sanktion für den Verstoß. Es könnte „berufsrechtlich problematisch“ sein, sich zunächst darauf zu berufen, es sei „berufsrechtlich problematisch“ die Beklagte bei Vergleichsabschluss auf die fehlende Personalratsanhörung hinzuweisen, um dann im weiteren Verlauf des gleichen Schriftsatzes vorzutragen, man habe im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Notwendigkeit einer Zustimmung des Personalrats gar nicht vor Augen gehabt. Die wiederholt schriftsätzlich vorgetragene Darlegung, sie habe „subjektiv nicht gewusst“, dass der Personalrat hätte zustimmen müssen, stellt eine nicht erklärbar gedrechselte Formulierung dar, die die nicht beantwortete Frage provoziert, wie, wann und warum sie „objektiv gewusst“ hat. Die Darlegungen zu den Studierenden-Evaluationen des Klägers und die Darlegungen über die in der Folge geführten Gespräche mit dem Professor eignen sich als Erklärungen für die späte Geltendmachung des Entfristungsgrundes, helfen aber bei der Frage nach dem Zeitpunkt und dem Grund der Aktualisierung der Rechtskenntnis nicht weiter. Der Mangel an Konkretisierung zu dieser Frage könnte im Widerspruch zu den seitenlangen Ausführungen der Prozessbevollmächtigten in der vorliegenden Akte zu einem mehr als überschaubaren Sach- und Rechtsproblem stehen; er könnte im Widerspruch stehen zu der auch sonst häufig kleinteiligen und bedenkentragenden zeitlichen Dehnung von Rechtsstreiten und Vergleichsverhandlungen, indem scheinbar jeder Wortbestandteil auf seine vermeintlichen Risiken mehrfach gewendet wird; er könnte im Widerspruch stehen zu den – auch hier – ausführlich geführten Zeugnisstreitigkeiten, bei denen scheinbar jedes einzelne Wort im Verdacht heimlicher Botschaften steht. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig glaubwürdig, dass hier eine spontane Vereinbarung getroffen worden sein soll, ohne dass zumindest gedanklich das Prüfungsprogramm Europarecht-Gesetz-Tarifvertrag-Dienstvereinbarung-Mitbestimmung durchgelaufen worden wäre. Und vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers aus dem ersten Entfristungsprozess, die damals „… und dann mit Ablauf der Befristung endet.“ vereinbarte, nach dem ihr unterlaufenen Mitbestimmungsverstoß die Vertretung des Klägers im zweiten Entfristungsprozess nicht an eine Kollegin abgegeben hat, die ohne bemühte Formulierungen und ohne sich rechtfertigen zu müssen schlicht hätte vortragen können: „Ob die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs von der Mitbestimmungswidrigkeit der Vertragsbefristung wusste, die Arbeitgeberin und das Gericht also sehenden Auges in eine unwirksame Vertragsbefristung hat laufen lassen, ist für den Ausgang des Rechtsstreits nicht erheblich und was ‘berufsrechtlich problematisch‘ ist, kann auch offen bleiben.“
So verständlich die Verärgerung der Beklagten über das prozessuale Verhalten des Klägers und insbesondere seiner Prozessbevollmächtigten sein mag und so irritiert das Vertrauen in das unter Arbeitsrechtler:innen wichtige Wort einer Fachanwältin, dass nämlich „damit alles geregelt ist und dann Schluss sein soll“, wanken könnte; so wenig ist dieses Verhalten tatsächlich als Grund geeignet, mit der Einrede der Treuwidrigkeit der Rechtsfolge des § 66 Abs. 1 LPVG NW zu begegnen.
Denn eine bloße Stillosigkeit oder eine bloße Verletzung des guten Geschmacks sind nicht geeignet, das rechtsethische Minimum im Sinne des § 242 BGB zu unterschreiten.