Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 30.11.2021 zum Aktenzeichen 9 AZR 145/21 entschieden, dass wenn bei der Feststellung, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Dienstverhältnis bestand, sowohl Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses festgestellt werden als auch Indizien für einen freien Dienstvertrag, muss eine umfassende Abwägung aller in die Entscheidung einzustellenden Gesichtspunkte vorgenommen werden. Es muss durch das Tatsachengericht eine Gewichtung der Kriterien und Indizien vorgenommen werden, die es den entscheidungsrelevanten Gesichtspunkten im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung beigemessen hat.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und Urlaubsansprüche des Klägers. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob der Kläger für die Beklagte Leistungen im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses oder im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbringt. Der Kläger ist für die Beklagte seit 1990 als Sportfotograf tätig. Zu Beginn seiner Tätigkeit erhielt der Kläger eine an der Anzahl der von ihm eingereichten Bilder orientierte Vergütung. Seit 1995 erhält derKläger eine Pauschalvergütung. Der Kläger fotografierte auf Sportveranstaltungen und leitete eine Vorauswahl der Aufnahmen an die Beklagte. Anfang des Jahres 2018 bot die Beklagte dem Kläger den Abschluss eines „Vertrages für freie Mitarbeiter“ zu veränderten Bedingungen an. Der Kläger lehnte das Angebot ab. Mit Schreiben vom 20.06.2018 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis fristgerecht zum 30.09.2018. Mit Bescheid vom 19.06.2020 stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund fest, das „Auftragsverhältnis“ der Parteien begründe keine Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Der Kläger ist dennoch der Auffassung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht und hat
Kündigungsschutzklage erhoben. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hat wiederum Erfolg, der 9. Senat des BAG hat die Sache an das LAG zurückverwiesen.
Der 9. Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand. In die Beurteilung, ob der – für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses erforderliche – Grad der persönlichen Abhängigkeit erreicht ist, ist nach § 611a Abs. 1 Satz 4 BGB die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit einzubeziehen. Die Art der Dienstleistung und die Zugehörigkeit der Tätigkeit zu einem bestimmten Berufsbild können den zugrundeliegenden Vertragstyp ebenso beeinflussen wie die Organisation der zu verrichtenden Arbeiten. Bestimmte Tätigkeiten lassen sich sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem Werk- oder freien Dienstvertrag verrichten, während andere regelmäßig im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Die Tatsacheninstanzen haben bei der Prüfung des Arbeitnehmerstatus einen weiten Beurteilungsspielraum. Ihre Würdigung ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob sie den Rechtsbegriff des Arbeitnehmers selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, bei der Subsumtion den Rechtsbegriff wieder aufgegeben oder wesentliche Umstände außer Betracht gelassen haben. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist das Urteil des LAG nicht frei von Rechtsfehlern, so der 9. Senat. Zum einen hat das LAG bei seiner Entscheidungsfindung Gesichtspunkte berücksichtigt, zu denen es keine tatbestandlichen Feststellungen getroffen hat. Zum anderen hat es Vortrag, den die Parteien gehalten haben, nicht vollständig gewürdigt. Schließlich hat es versäumt, die Gewichtung, die es den entscheidungsrelevanten Gesichtspunkten im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung beigemessen hat, in einer Weise zu verdeutlichen, die es dem Revisionsgericht ermöglicht, das Ergebnis in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht nachzuvollziehen. Das LAG hat sowohl Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisse festgestellt (z.B. pauschale Entlohnung und einen dienstlichen E- Mail-Account) als auch Indizien für einen freien Dienstvertrag (z.B. keine Einteilung in Dienstpläne, Möglichkeit für andere Auftraggeber tätig zu werden). Das LAG hat aber keine umfassende Abwägung aller in die Entscheidung einzustellenden Gesichtspunkte vorgenommen. In den Entscheidungsgründen findet sich der Hinweis, die „vorliegend überwiegenden Indizien“ sprächen für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Welches Gewicht das LAG den abwägungsrelevanten Gesichtspunkten beigemessen hat, lässt sich in der gebotenen Klarheit der Begründung ebenso wenig entnehmen wie die Gründe, die für ein Überwiegen dieser Indizien sprechen. Dies wird das LAG nachzuholen haben.
Ergänzend führt der 9. Senat aus, dass es für die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses nicht von Bedeutung ist, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Bescheid vom 19. Juni 2020 festgestellt hat, es bestehe für den Kläger keine Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung. Die sozialversicherungsrechtliche Behandlung der vereinbarten Vergütung ist für die Frage, welcher Natur das Rechtsverhältnis ist, ohne Belang. Dies folgt bereits daraus, dass das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis und das Arbeitsverhältnis nicht identisch sind (vgl. BAG, Urteil vom 21.05.2019 – 9 AZR 295/18).