Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 23.02.2022 zum Aktenzeichen 7 U 199/12 entschieden, dass in einer Berufsunfähigkeitsversicherung die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren beruhen kann. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat dem Kläger, der Simulationsvorwürfen ausgesetzt war, eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen.
Aus der Pressemitteilung des OLG Frankfurt am Main Nr. 29/2022 vom 04.04.2022 ergibt sich:
Der Kläger hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Er war zu diesem Zeitpunkt als Flugzeugabfertiger tätig. Das Arbeitsverhältnis endete wegen zunehmender gesundheitlicher Beschwerden des Klägers mit einem Aufhebungsvertrag. Die beklagte Versicherung lehnte Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung ab. Das Landgericht hatte die Klage auf Leistung nach Einholung einer Vielzahl von Gutachten zurückgewiesen, da keine eine Berufsunfähigkeit begründende somatische oder psychische Erkrankung festzustellen sei. Die geklagten Beschwerden entsprächen nicht den objektiven Befunden; auf psychiatrischem Gebiet sei offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willentlicher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten.
Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG Erfolg. Das OLG verurteilte die Beklagte zur Leistung aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung. Der Senat hatte ein internistisch-rheumatologisches Gutachten eingeholt. Nach aufwendiger Diagnostik, so der Senat, seien zwar sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen worden. Es seien vom Sachverständigen aber auf somatischen Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40 % festgestellt worden (u.a. arthrotische Veränderungen an den Fingern sowie dem Daumensattelgrundgelenk). Hieran anknüpfend sei der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der überzeugenden Feststellung einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50 % im zuletzt ausgeübten Beruf führten. Im Gegensatz zur „chronischen Schmerzstörung“, die allein in erster Instanz als Diagnose diskutiert worden sei, setze die Diagnose einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht die Feststellung eines psychischen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation voraus. Die Diagnose der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ sei erst im Jahr 2009 in den Diagnoseschlüssel (ICD-10) eingeführt worden, da häufig ein psychischer Konflikt oder eine psychosoziale Belastungsstörung lediglich nicht eruierbar seien, hierdurch jedoch die Diagnosestellung gefährdet sei. Dies zeige auch der vorliegende Fall nachdrücklich auf. Der Kläger sei Simulationsvorwürfen ausgesetzt gewesen. Diese hätten jedoch nach umfangreicher Diagnostik durch den Sachverständigen als erfahrenem Facharzt für Psychosomatik überzeugend ausgeräumt werden können.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Beklagte kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision beim BGH begehren.