Der Bundesgerichtshof hat am 10.02.2022 zum Aktenzeichen III ZR 87/21 hat entschieden, dass dem Erwerber eines mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs keine Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen einer möglicherweise unzureichenden Umsetzung von Europarecht zustehen.
Sachverhalt:
Der Kläger erwarb am 12. September 2014 einen gebrauchten Audi A4 (km-Stand: 11.303 km) zu einem Kaufpreis von 35.440 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der eine unzulässige Abschaltvorrichtung enthält. Der Kläger wirft der beklagten Bundesrepublik Deutschland insbesondere vor, das Kraftfahrbundesamt habe für den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp eine fehlerhafte Typgenehmigung erteilt und Art. 46 der Richtlinie 46/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Richtlinie 2007/46/EG) unzureichend umgesetzt und kein ausreichendes Sanktionssystem erlassen zu haben. Durch diese Pflichtverletzungen sei er zum Abschluss des Kaufvertrags gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte. Die Beklagte sei ihm daher zum Schadensersatz verpflichtet.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er hilfsweise Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
Insbesondere weist die Sache keine grundsätzliche Bedeutung deshalb auf, weil ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu der Frage gerichtet werden müsste, ob bzw. inwieweit die hier relevanten Normen der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Verordnung 715/2007/EG) den Zweck haben, dass die Typgenehmigungsbehörden die Käufer von Fahrzeugen vor Rechtsverstößen der Hersteller zu schützen.
Diese Normen schützen zwar Interessen der Verbraucher, sie bezwecken jedoch nicht den Schutz vor den vom Kläger geltend gemachten Schäden. Drittschützende Wirkung haben sie nur im Hinblick auf das Interesse der Erwerber, dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird. Die Verletzung dieses Interesses macht der Kläger jedoch nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis ist nicht wieder entzogen worden. Vielmehr macht der Kläger als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG jedoch nicht erfasst.
Der Senat hat sich insoweit den Ausführungen des VI. Zivilsenats in seinen Urteilen vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) und vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20), die auch der VII. Zivilsenat teilt (Beschluss vom 1. September 2021 – VII ZR 59/21), angeschlossen.
Aus dem Umstand, dass die vorzitierten Entscheidungen Ansprüche gegen die Fahrzeughersteller betrafen, während im vorliegenden Fall ein Verstoß des Kraftfahrtbundesamts gegen die vorgenannten Regelwerke geltend gemacht wird, folgt nichts Abweichendes. Es spricht nichts dafür, dass diese Pflichten der Genehmigungsbehörden gegenüber dem geschützten Personenkreis einen weitergehenden oder anderen Inhalt hätten als die Pflichten der Hersteller. Im Gegenteil werden die Behörden in erster Linie im öffentlichen Interesse tätig und sind von dem – vom Kläger geltend gemachten – Abschluss eines (unerwünschten) Vertrags sachlich weiter entfernt als der Fahrzeughersteller. Da diese Schlussfolgerungen auf der Hand liegen und zudem durch eine Erst-recht-Wertung gestützt werden, bedurfte es nach Maßgabe der acte-clair-Doktrin keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.