Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Februar 2022 zum Aktenzeichen 1 BvR 1619/21 entscheiden, dass die Entlassung als Betreuer ihrer Tochter und Schwester verfassungswidrig ist.
Art. 6 Abs.1 GG enthält eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte die Familie betreffende private Recht. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern bestehen können. Zwar treten mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Jedoch sind familiäre Bindungen im Selbstverständnis des Individuums regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der Familienmitglieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch schicksalhafte Gegebenheit aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung, von Verantwortungsbewusstsein und Beistandsbereitschaft geprägt sein.
Dem Schutz der Familie ist auch bei der Bestellung eines Betreuers Rechnung zu tragen. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet eine bevorzugte Berücksichtigung der (nahen) Familienangehörigen jedenfalls dann, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindung besteht. Dem trägt einfachrechtlich die Regelung des § 1897 Abs. 5 BGB Rechnung, wonach bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des Volljährigen, insbesondere auf die Bindungen zu Eltern, zu Kindern, zum Ehegatten und zum Lebenspartner, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen ist.
Der Beschluss des Landgerichts genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das Landgericht verkennt, dass dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG auch bei der Auswahl des Betreuers Rechnung zu tragen ist.
Gemäß § 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht den Betreuer zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliegt. Wie auch bei der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers nach § 1897 Abs. 1 BGB ist danach die (fehlende) Eignung bezogen auf die Aufgaben der rechtlichen Betreuung in dem konkreten Einzelfall festzustellen. Die fehlende Eignung muss dabei nicht erwiesen sein, es genügen berechtigte Zweifel aufgrund konkreter Tatsachen (vgl. Schneider, in: Münchener Kommentar BGB, 8. Aufl. 2020, § 1908b Rn. 4). Erforderlich ist eine Prognoseentscheidung dahingehend, ob der potentielle Betreuer voraussichtlich die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben erfüllen kann.
Erklärt sich ein Familienangehöriger bereit, die Betreuung zu übernehmen und steht dem kein (gemäß § 1897 Abs. 4 BGB vorrangiger) Vorschlag des Betroffenen entgegen, muss die Bestellung eines familienfremden Betreuers unter Berücksichtigung des in § 1897 Abs. 5 BGB zum Ausdruck kommenden Schutzes der Familie im Hinblick auf den konkret in Rede stehenden Aufgabenkreis und die Erfordernisse einer persönlichen Betreuung begründet werden. Dabei ist auch die Regelung des § 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB einzubeziehen, wonach eine weitere Person als Mitbetreuer bestellt werden kann, um der fehlenden Eignung hinsichtlich (nur) einzelner Aufgabenkreise Rechnung zu tragen.
Das Landgericht missachtet den in der Regelung des § 1897 Abs. 5 BGB zum Ausdruck kommenden und in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Schutz der Familie, soweit es davon ausgeht, dass Art. 6 Abs. 1 GG für die Betreuerauswahl keine Bedeutung entfalte und in der Folge den familiären Beziehungen für die Entscheidung über die Entlassung der Beschwerdeführenden als Betreuer nur ein geringes Gewicht beimisst.
Hinsichtlich aller drei Beschwerdeführenden berücksichtigt das Landgericht nicht hinreichend, dass die Beschwerdeführenden mit der Betroffenen in einem Hausstand leben und diese seit 19 Jahren ohne Beanstandung sowohl pflegen als auch betreuen. Insbesondere der gemeinsame Hausstand und die Pflege für die Betroffene deuten auf eine besondere innerfamiliäre Bindung hin. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Bestellung eines familienfremden Betreuers dazu führt, dass ein Dritter von außen in das gewachsene Beziehungsgeflecht der Familie eintritt, dessen Aufgabe − je nach Umfang der Betreuung − es sein kann, Entscheidungen zu treffen, die das familiäre Zusammenleben und damit auch die äußeren Bedingungen, unter denen sich die innerfamiliären Beziehungen weiterentwickeln können, erheblich beeinflussen können. Dies ist insbesondere unter Berücksichtigung der hier ebenfalls von dem Betreuerwechsel umfassten Aufgabenkreise der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitsfürsorge der Fall.
Hierzu steht außer Verhältnis, dass das Landgericht die Entlassung der Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) lediglich mit deren Passivität und einer fehlenden Distanzierung von dem Verhalten des Beschwerdeführers zu 3) begründet. Die Beschwerdeführerinnen haben mit ihrem eigenen aktiven Verhalten keinerlei Anlass für Zweifel an ihrer Eignung als Betreuerinnen der Betroffenen gegeben. Konkrete Tatsachen, die angesichts der bislang beanstandungslos geführten Betreuung berechtigte Zweifel an der Eignung der Beschwerdeführerinnen begründen und eine Entlassung der Familienangehörigen als Betreuerinnen der Betroffenen rechtfertigen könnten, sind daher nicht ersichtlich.
Darüber hinaus berücksichtigt das Landgericht nicht hinreichend, dass sich das seitens des Landgerichts kritisierte Verhalten des Beschwerdeführers zu 3) allein auf den Bereich der Vermögenssorge bezieht. Mit seinem Verhalten, das zum Erlass eines rechtskräftigen Zahlungsurteils gegen die Betroffene geführt hat, mag der Beschwerdeführer Anlass für Zweifel an seiner Geeignetheit als Betreuer für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge gegeben haben. Dass aus der mangelnden Eignung zur Betreuung in Vermögensangelegenheiten auch die fehlende Eignung in Bezug auf alle anderen Aufgabenkreise einschließlich der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung folgen soll, erschließt sich jedoch nicht. Der bloße Verweis darauf, dass auch Aufgaben außerhalb der Vermögenssorge finanzielle Auswirkungen haben können, reicht unter Berücksichtigung der mit der Bestellung eines familienfremden Betreuers einhergehenden Folgen für das familiäre Zusammenleben ersichtlich nicht aus.
Bestehen berechtigte Zweifel an der Eignung des ehrenamtlichen Betreuers in Bezug auf einen einzelnen Aufgabenkreis, eröffnet § 1899 Abs. 1 BGB, wonach das Betreuungsgericht mehrere Betreuer bestellen kann, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden können, die Möglichkeit, neben dem ehrenamtlichen Betreuer für einen abgegrenzten Bereich einen Berufsbetreuer zu bestellen.