BayObLG bestätigt Freispruch bei Gewährung von „Kirchenasyl“

07. März 2022 -

Das Bayerische Oberstes Landesgericht hat am 15.02.2022 zum Aktenzeichen 201 StRR 95/21 die Frage einer Strafbarkeit von Pfarrern und Ordensleuten wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt bei Gewährung von „Kirchenasyl“ in sogenannten „Dublin-Fällen“ entschieden.

Aus der Pressemitteilung des BayObLG vom 07.03.2022 ergibt sich:

Die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hatte kein Erfolg, der Senat hat den Freispruch des Amtsgerichts im Ergebnis bestätigt.

Sachverhalt:

Der Angeklagte, Ordensbruder in einer Abtei, gewährte einem Geflüchteten von August bis Dezember 2020 „Kirchenasyl“ in Form der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung. Der Geflüchtete war im Jahr 2020 in das Bundesgebiet eingereist und hatte Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Hinblick auf die sog. „Dublin-III-Verordnung“ abgelehnt wurde, da er bereits zuvor in Rumänien als asylsuchend registriert worden war. Damit war er, wie auch der Angeklagte wusste, vollziehbar ausreisepflichtig. Den Eintritt des Ausländers in das „Kirchenasyl“ teilte der Angeklagte dem BAMF noch im August 2020 über das katholische Büro Bayern mit. Das BAMF lehnte im Oktober 2020 die Ausübung des Selbsteintrittsrechts ab und setzte eine Frist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ Dieser verblieb weiterhin im „Kirchenasyl“. Nach Ablauf der Überstellungsfrist verließ der Asylsuchende das „Kirchenasyl“.

Verfahrensverlauf:

Der Angeklagte machte vor dem Amtsgericht geltend, er habe durch sein Engagement in der Flüchtlingshilfe glaubhafte Kenntnis von einer Vielzahl traumatischer Erfahrungen der Geflüchteten in den Transitländern, u.a. auch Rumänien, auf dem Weg nach Deutschland erhalten. Bei Rücküberstellung würden diese Gefahr laufen, menschenunwürdig behandelt zu werden. Er habe deshalb in sorgfältig ausgewählten Ausnahmefällen Geflüchteten den Schutz der Abtei gewährt, um eine nochmalige Einzelfallprüfung durch das BAMF herbeizuführen. Nach deren negativem Ausgang sehe er sich aufgrund seiner von der christlichen Grundüberzeugung getragenen Wertvorstellungen nicht imstande, einem zum Bleiben entschlossenen Geflüchteten den Schutz der Abtei zu versagen und das Verlassen des Abteigeländes zu erzwingen.

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt frei. Sein Handeln sei aus Gründen der nach Art. 4 Abs. 1 GG gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit als entschuldigt und daher straflos anzusehen.

Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer ausschließlich auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.

Entscheidung des 1. Strafsenats des BayObLG

Die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg. Der Freispruch des Angeklagten hielt rechtlicher Nachprüfung zwar nicht in der Begründung, jedoch im Ergebnis stand. Der Angeklagte hat sich nicht der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt schuldig gemacht. Auf die Frage, ob er sich wegen seines Handelns aus Gewissensnot auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen kann und welche Folgen dies hätte, kam es nach der Entscheidung des Senats nicht an.

  1. Der Senat machte deutlich, dass „Kirchenasyl“ nicht als gegenüber staatlichen Institutionen geltendes und zu beachtendes Recht besteht, sondern vom Staat lediglich als Ausdruck christlich-humanitärer Tradition respektiert wird. Die Gewährung von „Kirchenasyl“ entfaltet für sich genommen keine aufenthaltsrechtliche Wirkung, hindert also nicht die Überstellung in einen sog. sicheren Drittstaat. Jedoch begründet der Eintritt in das mehrstufige Prüfungsverfahren entsprechend der Vereinbarung zwischen dem BAMF und den Bevollmächtigten der evangelischen und katholischen Kirche zur

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Kirchenasylgewährung in den Dublin-Fällen einen Anspruch des aufgenommenen Asylsuchenden auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen Vorliegens eines rechtlichen Abschiebehindernisses. Werden die Vorgaben der Vereinbarung eingehalten, so scheidet jedenfalls bis zur Mitteilung des BAMF über den negativen Ausgang der erneuten Einzelfallprüfung sowie dem fruchtlosen Ablauf der dem Asylsuchenden gesetzten Dreitagesfrist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ eine Strafbarkeit des kirchlichen Entscheidungsträgers mangels vorsätzlich begangener, rechtswidriger Haupttat des aufgenommenen Asylsuchenden aus.

  1. Wird das „Kirchenasyl“ nach der Negativmitteilung des BAMF fortgeführt und beschränkt sich die Hilfeleistung auf die bloße Fortsetzung der Beherbergung und Verpflegung des vollziehbar ausreisepflichtigen Asylsuchenden, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in einem aktiven Tun, sondern in einem Unterlassen, das jedoch mangels Garantenpflicht zur Beendigung des „Kirchenasyls“ nicht als strafbare Hilfeleistung zu qualifizieren ist. Wegen eines pflichtwidrigen Vorverhaltens kam eine Garantenpflicht des Angeklagten schon deshalb nicht in Betracht, weil er sich strikt an die Vorgaben gehalten hatte. Die Vereinbarung mit dem BAMF enthält keine Verpflichtung kirchlicher Entscheidungsträger zur aktiven Beendigung des „Kirchenasyls“, sodass auch eine Garantenpflicht aus dem Gesichtspunkt der Gewährsübernahme ausschied. Schließlich schloss der Senat auch das Bestehen einer Garantenpflicht des Angeklagten kraft seiner Verantwortlichkeit für bestimmte Räumlichkeiten der Abtei aus, denn beim offenen „Kirchenasyl“ ist der unerlaubte Aufenthalt nur deshalb möglich, weil die staatlichen Behörden auf die Vollstreckung in kirchlichen Räumen verzichten. Von einer Beihilfehandlung durch aktives Tun hätte der Senat möglicherweise dann auszugehen gehabt, wenn der aufgenommene Asylsuchende von vornherein, also schon bei der Aufnahme entschlossen gewesen wäre, das „Kirchenasyl“ auch bei einer Negativmitteilung des BAMF keinesfalls zu verlassen, und der Angeklagte dies gewusst hätte. Dasselbe hätte gegolten, wenn der Angeklagte nach der Negativmitteilung des BAMF durch weitere aktive Handlungen den unerlaubten Aufenthalt des aufgenommenen Asylsuchenden in der Abtei gefördert und erleichtert hätte, ihn also etwa im Rahmen entsprechender Beratung und Betreuung erst dazu motiviert oder in seinem Entschluss aktiv darin bestärkt hätte, das Kirchenasyl nicht zu verlassen. Beides gaben aber die Feststellungen des Amtsgerichts nicht her.
  2. Nach Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist gemäß der Dublin-III-Verordnung war der weitere Aufenthalt des Asylsuchenden im „Kirchenasyl“ wiederum legal. Ab diesem Zeitpunkt wurde Deutschland zuständig für die Prüfung des Asylantrags, wodurch erneut ein Anspruch des Asylsuchenden auf Duldung entstanden war. Eine Beihilfestrafbarkeit des Angeklagten kam mangels Haupttat nicht in Betracht.
  3. Auf die Frage, ob sich der Angeklagte auf sein Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG berufen kann und welche Folgen dies hätte, kam es für den Senat daher nicht an.

Gleichwohl hat der Senat abschließend für Fallgestaltungen des „Kirchenasyls“, in denen von einer Beihilfe durch aktives Tun auszugehen wäre, ergänzend darauf hingewiesen, dass er der Auffassung zuneige, ein Handeln aus ernster Gewissensnot nicht als entschuldigt anzusehen. Die Rechtsordnung kann die Geltung von Strafrechtsnormen nicht von der Zustimmung durch den Einzelnen abhängig machen und sich damit unter den Vorbehalt individueller Akzeptanz stellen. Auch lässt sich aus der Gewissensfreiheit nicht das Recht herleiten, staatliche Entscheidungen zu korrigieren. Die eigene Überzeugung kann nicht zum Maßstab der Gültigkeit demokratisch legitimierter Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht werden.