Der Europäische Gerichtshof hat am 24.02.2022 zum Aktenzeichen C-389/20 entschieden, dass die spanische Regelung, mit der Hausangestellte – bei denen es sich fast ausschließlich um Frauen handelt – von Leistungen bei Arbeitslosigkeit ausgeschlossen werden, gegen das Unionsrecht verstößt.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 37/22 vom 24.02.2022 ergibt sich:
Dieser Ausschluss stellt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit dar.
Der Schutz des von der spanischen Regelung vorgesehenen Besonderen Systems der sozialen Sicherheit für Hausangestellte umfasst nicht den Schutz bei Arbeitslosigkeit.
Eine bei einer natürlichen Person beschäftigte Hausangestellte ist seit Januar 2011 im Besonderen System versichert. Im November 2019 beantragte sie bei der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS) (Allgemeine Sozialversicherungskasse, Spanien), zur Leistung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zugelassen zu werden, um einen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu erwerben. Die TGSS lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, die Möglichkeit, Beiträge zu diesem System zu leisten, um Schutz bei Arbeitslosigkeit zu erlangen, sei durch die spanische Regelung ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Hausangestellte erhob Klage beim Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 2 de Vigo (Verwaltungsgericht Nr. 2 Vigo, Spanien) und machte geltend, die nationale Regelung versetze Hausangestellte, die ihre Anstellung unverschuldet verlören, in eine soziale Notlage, die dazu führe, dass sie nicht nur keinen Zugang zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit, sondern auch keinen Anspruch auf andere, vom Erlöschen des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit abhängige soziale Hilfen hätten.
In diesem Zusammenhang führt das spanische Gericht aus, dass die in Rede stehende Beschäftigtengruppe fast ausschließliche aus Frauen bestehe, und bittet daher den Gerichtshof um eine Auslegung der Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit1, um festzustellen, ob hier eine von dieser Richtlinie verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit einer nationalen Bestimmung entgegensteht, mit der Leistungen bei Arbeitslosigkeit von Leistungen der sozialen Sicherheit, die Hausangestellten von einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit gewährt werden, ausgenommen werden, sofern diese Bestimmung weibliche Beschäftigte gegenüber männlichen Beschäftigten in besonderer Weise benachteiligt und nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Der Gerichtshof weist eingangs darauf hin, dass eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in einer Situation zu sehen ist, in der dem Anschein nach neutrale Bestimmungen Personen des einen Geschlechts gegenüber Personen des anderen Geschlechts in besonderer Weise benachteiligen, es sei denn, die Bestimmungen sind sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig.
Der Gerichtshof stellt klar, dass das spanische Gericht zu prüfen haben wird, ob dies vorliegend der Fall ist, und weist zu diesem Zweck auf Folgendes hin.
Nach der spanischen Regelung haben alle Arbeitnehmer, die dem Allgemeinen System der sozialen Sicherheit, in das das Besondere System für Hausangestellte integriert ist, angehören, grundsätzlich Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Der Anteil weiblicher und männlicher Arbeitnehmer ist in Spanien offenbar weitgehend gleich. In der Gruppe der Hausangestellten ist das Verhältnis jedoch völlig anders, da Frauen angeblich über 95 % dieser Gruppe ausmachen. Der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer, die von der sich aus dem fraglichen Ausschluss ergebenden Ungleichbehandlung betroffen sind, ist also erheblich höher als der Anteil der männlichen Arbeitnehmer. Daher würde die nationale Regelung weibliche Arbeitnehmer in besonderer Weise benachteiligen und damit eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts enthalten, die gegen die Richtlinie verstößt, es sei denn, sie dient einem legitimen Ziel der Sozialpolitik und ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich.
Die spanische Regierung und die TGSS machen geltend, der Ausschluss der Hausangestellten vom Schutz bei Arbeitslosigkeit hänge mit den Besonderheiten des Berufs, etwa dem Status der Arbeitgeber, zusammen, und diene dazu, das Beschäftigungsniveau stabil zu halten und illegale Beschäftigung und Sozialbetrug zu bekämpfen. Der Gerichtshof bestätigt, dass diese Ziele legitime sozialpolitische Ziele sind. Jedoch stellt er fest, dass die spanische Regelung zur Erreichung dieser Ziele nicht geeignet ist, da sie im Hinblick auf diese Ziele nicht kohärent und systematisch angewandt wird.
Die vom Schutz bei Arbeitslosigkeit ausgeschlossene Beschäftigungsgruppe dürfte sich nämlich nicht in qualifizierter Weise von anderen, nicht davon ausgeschlossenen Beschäftigungsgruppen unterscheiden. Diese anderen Gruppen von Beschäftigten, die am Wohnsitz nicht gewerbsmäßiger Arbeitgeber tätig sind oder deren Beschäftigungsbereich die gleichen Besonderheiten in Bezug auf Beschäftigungs-, Qualifikations- und Lohnniveau aufweist wie Hausangestellte, sind ähnlichen Risiken ausgesetzt, was ein geringeres Beschäftigungsniveau, Sozialbetrug und illegale Beschäftigung angeht, jedoch bei Arbeitslosigkeit alle geschützt. Außerdem haben Versicherte im Besonderen System für Hausangestellte grundsätzlich Anspruch auf alle Leistungen des spanischen Allgemeinen Systems der sozialen Sicherheit außer den Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Insbesondere deckt das Besondere System u. a. die Risiken Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Da diese anderen Leistungen von der Gefahr des Sozialbetrugs genauso betroffen sein dürften wie die Leistungen bei Arbeitslosigkeit, würde es hier ebenfalls an Kohärenz fehlen.
Letztlich geht die spanische Regelung auch über das hinaus, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist. Der Ausschluss vom Schutz bei Arbeitslosigkeit würde bedeuten, dass Hausangestellte auch keine anderen Leistungen der sozialen Sicherheit erhielten, auf die sie Anspruch hätten und deren Gewährung vom Erlöschen des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit abhängt. Dieser Ausschluss würde daher zu noch weniger sozialem Schutz und dadurch zu einer sozialen Notlage führen.
1 Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).