Das Bayerische Oberste Landesgericht hat am 31.01.2022 zum Aktenzeichen 204 StRR 574/21 in einem Revisionsverfahren die mit der Frage entschieden, wann eine Meinungsäußerung den Tatbestand der Beleidigung erfüllt.
Aus der Pressemitteilung des BayObLG Nr. 1/2022 vom 09.02.2022 ergibt sich:
Der Angeklagte hatte am 29. Mai 2020 auf seinem YouTube Kanal unter dem Titel „Es ist Wahnsinn. Hier wird eine Volkswirtschaft kaputt gemacht und alle schauen zu.“ ein Video hochgeladen. Im Rahmen dieses Videos wurde ein Bild von fünf Personen gezeigt, welche vor einem Plakat der Partei „Die Grünen“ stehen. Über dem Bild befindet sich folgender Text:
„Und ich dachte immer, die Schockbilder auf den Kippenschachteln wären schlimm“ (Smiley). „Das sind die Grünen im Bayerischen Landtag … und nein: das ist KEIN Scherz.“
Zu diesem Foto gab der Angeklagte in dem Video mündlich folgenden Kommentar ab:
„Ja und wenn ihr euch das anschaut, das sind welche, die sind im Bayerischen Landtag. Das ist jetzt kein Witz und das ist auch kein Scherz. Also wenn ich mir die Figuren anschaue und die bestimmen über unsere Zukunft und solche Leute sind gewählt, also das sind ja Lachnummern, das sind absolute Lachnummern, diese Figuren. Das ist wirklich, das kannste normalerweise, wie heisst es, das kannste auf die Kippenschachtel tun als Warnhinweis.“
Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt nur eine der abgebildeten Personen Mitglied der Grünen im Bayerischen Landtag.
Das Amtsgericht Hersbruck hatte den Angeklagten im April 2021 wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80 Euro verurteilt. Nachdem sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen das Urteil Berufung eingelegt hatten, verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 31. August 2021 und änderte das Urteil des Amtsgerichts Hersbruck auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin in den Rechtsfolgen dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 200 Euro verurteilt wurde.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Mit Beschluss vom 31. Januar 2022 hat das Bayerische Oberste Landesgericht den Schuldspruch, also die Verurteilung wegen Beleidigung, bestätigt. In einem Fall hat der Senat das Verfahren jedoch eingestellt, da aus seiner Sicht eine der Zeuginnen keinen Strafantrag gestellt hatte. Aus diesem Grund wurde das Verfahren an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen, da die Strafe wegen der jetzt rechtskräftig festgestellten Verurteilung zu Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen noch einmal neu festgesetzt werden muss.
Auch der Senat sah durch die Äußerung des Angeklagten in dem Video den Tatbestand der Beleidigung als erfüllt an. Das Recht, seine Meinung zu äußern, sei nicht schrankenlos. Der Angeklagte habe die Schranke des Persönlichkeitsrechts der Geschädigten überschritten.
Die Äußerung des Angeklagten beziehe sich ausdrücklich nicht auf ein Kollektiv (die Grünen), sondern auf die in der Videosequenz abgebildeten und damit identifizierbaren fünf Personen. Das Berufungsgericht sei zurecht davon ausgegangen, dass die Aussage, man könne das Foto als „Warnhinweis auf einer Kippenschachtel“ verwenden, das äußere Erscheinungsbild der abgebildeten Personen mit ekelerregenden Aufnahmen etwa von Krebsgeschwüren assoziiere. Die Wertungen des Angeklagten seien für die abgebildeten Personen daher grob ehrverletzend, daran ändere auch der Smiley auf der Bildüberschrift nichts.
Der Senat wertet die Äußerung des Angeklagten als Meinungsäußerung und nicht als Tatsachenbehauptung, da ihnen jeglicher Tatsachenbezug fehle. Solche Werturteile fielen grundsätzlich unter den Schutz der Meinungsfreiheit, die ihre Schranken jedoch in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und im Recht der persönlichen Ehre finde. Eine solche Schranke stelle auch der Tatbestand der Beleidigung des Strafgesetzbuches dar. Im Rahmen der Beurteilung müsse das Recht der persönlichen Ehre auf der einen und das der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite abgewogen werden. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung, wies nach Ansicht des Senats keine Rechtsfehler auf. Durch die Textzeile „und ich dachte immer, die Schockbilder auf den Kippenschachteln wären schlimmer“ sowie die Kommentierung des Angeklagten, „das sind absolute Lachnummern“, „das kannste auf die Kippenschachteln tun als Warnhinweis“, habe dieser die Grenze überschritten, bis zu der das Persönlichkeitsrecht und der Ehrschutz hinter dem Recht auf Meinungsfreiheit zurücktreten müsse. Zwar sei die Grenze zulässiger Kritik bei Politikern, welche bewusst in die Öffentlichkeit träten, weiter zu ziehen als bei Privatpersonen. Auf der anderen Seite liege aber ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern ebenso im öffentlichen Interesse. Von der Meinungsfreiheit dürfe bei öffentlich zur Diskussion gestellten, gesellschaftliches Interesse erregenden Beiträgen mit scharfen Äußerungen Gebrauch gemacht werden, jedoch sei nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern und Politikern erlaubt. Die Äußerungen und die vom Angeklagten übernommene Textzeile beträfen aber die abgebildeten Personen in ihrem grundlegenden, allen Menschen gleichermaßen zukommenden, Achtungsanspruch, jedenfalls soweit, als es den Vergleich mit den Warnhinweisen auf den Kippenschachteln betreffe. Das äußere Erscheinungsbild der Opfer sei in gehässiger Weise betont worden.
Zudem sei die Äußerung des Angeklagten nicht spontan gewesen, gerade bei Äußerung in den sozialen Netzwerken sei ein höheres Maß an Bedachtheit und Zurückhaltung zu erwarten. Der Senat kommt in der Gesamtabwägung zu dem Ergebnis, dass die Meinungsfreiheit des Angeklagten hinter dem Persönlichkeitsschutz der Abgebildeten zurücktreten müsse.