Das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart hat am 20.01.2022 zum Aktenzeichen L 7 SO 3290/20 entschieden, dass der Ortenaukreis und nicht der Rhein-Neckar-Kreis nach unterlassener Weiterleitung eines Antrags auf Betreuung Kosten von mehr als 54.000 Euro zahlen muss.
Aus der Pressemitteilung des LSG BW vom 08.02.2022 ergibt sich:
Bei dem 1989 geborenen Leistungsempfänger L besteht u.a. eine intellektuelle Minderbegabung, eine Entwicklungsstörung sowie eine Essstörung. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt sowie die Merkzeichen B (Begleitperson), G (Gehbehinderung) und H (Hilflosigkeit) zuerkannt. Er lebte bei seinen Eltern und stand nicht im Bezug von Grundsicherungsleistungen. Seit 2009 war L in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfB) im Rhein-Neckar-Kreis beschäftigt, der ihm hierfür entsprechende Eingliederungshilfe bewilligte.
L beantragte beim Ortenaukreis im Juli 2019 die Aufnahme in eine dortige WfB und Eingliederungshilfe für betreutes Wohnen in Familien. Er wolle zum Aufnahmetermin (Oktober 2019) in die Gemeinde G des Ortenaukreises umziehen. Der Ortenaukreis bewilligte in der Folgezeit dem L Eingliederungshilfe und Assistenzleistungen für das ambulant betreute Wohnen in Familien und Sozialhilfe zur Deckung des Lebensunterhalts, obwohl er den Rhein-Neckar-Kreis für zuständig erachtete. Den Bewilligungsbescheid von Mitte Januar 2020 übersandte der Ortenaukreis mit einem Begleitschreiben an den Rhein-Neckar-Kreis, in welchem er auf dessen vermeintliche Zuständigkeit für die gewährten Leistungen und eine eigene, nur vorläufige Leistungserbringung verwies. Der Rhein-Neckar-Kreis lehnte es in der Folgezeit ab, dem Ortenaukreis die Kosten der Eingliederungshilfe für L zu erstatten, weil er sich hierfür nicht zuständig sah.
Die Klage des Ortenaukreises gegen den Rhein-Neckar-Kreis auf Erstattung der bis Oktober 2021 erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe von bislang rund 54.000 € und der ab November 2021 entstehenden weiteren Aufwendungen blieb erfolglos. Die hiergegen gerichtete Berufung hat der 7. Senat des LSG Stuttgart zurückgewiesen.
Ein Erstattungsanspruch scheide aus, weil der Ortenaukreis als erstangegangener Träger seine Zuständigkeit geprüft und verneint habe, er aber dennoch den Antrag des L nicht binnen 2 Wochen weitergeleitet, sondern selbst geleistet habe, obwohl ein anderer Träger (hier der Rhein-Neckar-Kreis) nach dem Ergebnis seiner Prüfung zuständig gewesen wäre. Damit habe er zielgerichtet in fremde Zuständigkeiten eingegriffen und das Weiterleitungsgebot des § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX missachtet. Dass der Ortenaukreis trotz der erkannten Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers eine Weiterleitung nicht vorgenommen habe, erscheine schwerlich nachvollziehbar, verdeutliche aber die sehenden Auges erfolgte Erbringung von Leistungen trotz selbst angenommener fehlender Zuständigkeit als erstangegangener Träger.
Ergänzender Hinweis des Gerichts:
Auch wenn betragsmäßig formal „nur“ 54.000€ streitig (Zeitraum bis Oktober 2021) waren, dürfte es faktisch um wesentlich mehr Geld gehen. Denn lebt L weiterhin im Ortenaukreis und benötigt Eingliederungshilfe, dürfte der Ortenaukreis aufgrund des nicht weiter geleiteten Antrags auch zukünftig zahlungspflichtig sein. Das Landessozialgericht hat jedenfalls auch für die Zeit seit November 2021 einen Anspruch des Ortenaukreises auf Erstattung entstehender weiterer Aufwendungen verneint.