Lufthansa behindert Condor im Wettbewerb auf der Langstrecke: Abmahnung des Bundeskartellamts nach vorläufigem Ermittlungsergebnis

08. Februar 2022 -

Das Bundeskartellamt ist nach vorläufigem Prüfungsergebnis der Ansicht, dass Condor ein kartellrechtlicher Anspruch gegen Lufthansa auf Zugang zu Zubringerflügen für ihre Langstreckenpassagiere zusteht.

Aus der Pressemitteilung des BKartA vom 08.02.2022 ergibt sich:

Lufthansa und Condor unterhalten langjährige Vereinbarungen. Condor kann Zubringerflüge der Lufthansa und ihrer Airline-Töchter buchen, um Passagiere zum eigenen Langstreckennetz zu befördern. Die ursprüngliche Kündigung dieser Geschäftsbeziehung zum 1. Juni 2021 hat Lufthansa nach Intervention des Bundeskartellamtes zeitlich befristet bis zum 10. Mai 2022 ausgesetzt. Das Bundeskartellamt kommt nach den bisherigen Ermittlungen zu dem vorläufigen Ergebnis, dass Condor ein kartellrechtlicher Anspruch gegen Lufthansa auf Zugang zu den Zubringerflügen auch über diesen Zeitpunkt hinaus zusteht. Ferner hat das Bundeskartellamt in den bisherigen Vereinbarungen zwischen der Lufthansa und Condor verschiedene weitere Wettbewerbsbeschränkungen festgestellt, deren kartellrechtliche Zulässigkeit es derzeit ebenfalls kritisch sieht.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Nach unserem vorläufigen Prüfungsergebnis ist die Lufthansa-Gruppe auf dem Zubringermarkt, der überwiegend deutsche Flughäfen mit dem Langstreckennetz von Condor verbindet, marktbeherrschend. Keine andere Fluggesellschaft kann über Einzelflüge hinaus eine Zubringung zu den bedeutenden deutschen Drehkreuzen Frankfurt, München und Düsseldorf anbieten. Damit unterfällt Lufthansa der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht und unterliegt besonderen Pflichten. Wir haben Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Kündigung der Condor-Kooperation, soweit Lufthansa dadurch ihre Wettbewerberin auf den nachgelagerten Märkten für Langstreckenflüge unbillig behindert.“

Condor selbst unterhält kein Zubringernetz; es wären nach den bisherigen Ermittlungen auch keine geeigneten Slots an den zentralen Drehkreuzen wie Frankfurt zum Aufbau eines entsprechenden Netzes verfügbar. Die Passagiere, die einen Zubringerflug buchen, wohnen im Schnitt mindestens 300 km vom Abflughafen für die Langstrecke entfernt. Für sie sind nach den Ermittlungen auch die Eisenbahn oder der Fernbus keine Alternative.

Nur mittels der zwischen den Fluggesellschaften geschlossenen Verträge (sog. Special Prorate Agreements, SPA) kann Condor eine garantierte Beförderung vom Abflug- zum Zielflughafen mit durchgehend aufgegebenem Gepäck, der Aushändigung des Boardingpasses am ersten Abflughafen und vollständigem Reiseschutz im Falle von Verspätungen oder Flugausfällen anbieten. Lufthansa ihrerseits hat hierdurch Mehreinnahmen zur Finanzierung ihres Kurzstreckennetzes. Fallen die Vereinbarungen weg, gibt es für Condor – so der derzeitige Sachstand – keine auch nur annähernd gleichwertige Transportmöglichkeit für die eigenen Zubringerpassagiere.

Nach der vorläufigen Auffassung des Bundeskartellamtes ist auf den ohnehin stark konzentrierten indirekten Langstreckenmärkten ein ausreichender Leistungs- und Preiswettbewerb nur möglich, wenn Condor auf die Vorleistungen der auf dem Zubringermarkt marktbeherrschenden Lufthansa zurückgreifen kann. Würden Condor die Reisenden, die einen Zubringerflug wünschen, als Kundengruppe wegbrechen, hätte dies schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für das Unternehmen und den Wettbewerb. Auf knapp 90 Umsteigeverbindungen zu touristischen Zielen könnte Lufthansa in der Folge als aktuelle oder als potentielle Wettbewerberin erhebliche Wettbewerbsvorteile, teilweise sogar eine Alleinstellung erlangen.

Nach vorläufiger Auffassung des Bundeskartellamts enthalten die bisherigen Vereinbarungen zwischen der Lufthansa und Condor weitere unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen wie eine Verknappung von Buchungsklassen, einen nicht-diskriminierungsfreien Zugang zu den Platzkapazitäten auf den Zubringerflügen sowie eine Einschränkung der Preissetzungsmöglichkeiten für Condor.

Die von der Lufthansa vorangetriebene Neuausrichtung mit einem verstärkten Fokus auf das touristische Langstreckengeschäft würde durch die in Aussicht gestellte Entscheidung nicht gefährdet. Dem Unternehmen bleibt es unbenommen, nach der Konsolidierung und teilweisen Neuausrichtung des eigenen Geschäfts mit kartellrechtskonformen Mitteln in den Leistungswettbewerb zu Condor zu treten.

Lufthansa und Condor haben jetzt Gelegenheit, zu den vorläufigen Verfahrensergebnissen Stellung zu nehmen.

Bisheriges Verfahren:

Ursprünglich hatten Lufthansa und ihre Konzerngesellschaften Austrian Airlines und Swiss Airlines das SPA mit Wirkung zum 1. Juni 2021 gekündigt. Am 6. Januar 2021 hat Condor beim Bundeskartellamt hiergegen Beschwerde eingelegt. Am 21. Januar 2021 hat das Bundeskartellamt ein Missbrauchsverfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen § 19 GWB, Art. 102 AEUV sowie wegen des Verdachts verbotenen Verhaltens gemäß § 20 Abs. 1 GWB i.V.m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB gegen Lufthansa eingeleitet. Wegen der drohenden und zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Vorgriff auf den 1. Juni 2021 zu Lasten von Condor teilweise bereits eingetretenen Verweigerung von Buchungen, hatte das Bundeskartellamt zugleich ein Verfahren zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen nach § 32a Abs. 1 GWB eingeleitet. Schon in diesem einstweiligen Verfahren hatte das Bundeskartellamt vorläufig festgestellt, dass die Kündigung des SPA durch die Lufthansa-Gruppe einen Behinderungsmissbrauch nach §§ 19, 20 GWB sowie Art. 102 AEUV darstellt. Dieses Verfahren war nach der zeitlich befristeten Einigung zwischen Lufthansa und Condor in das Hauptsacheverfahren übergeleitet worden. Die vorläufigen Feststellungen im Eilverfahren gelten nach weitergehenden Ermittlungen auch in der Hauptsache, so jedenfalls der derzeitige Stand.