Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 1844/20 entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum Volksbegehren „#6 Jahre Mietenstopp“ unbegründet ist.
Die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 16. Juli 2020 ist tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde.
Unter dem Grundgesetz verfügen die Länder über eine weitgehende Verfassungsautonomie. Das Grundgesetz enthält in Art. 28 Abs. 1 GG nur wenige Vorgaben für die Verfassungen der Länder. Im Übrigen können sie, soweit das Grundgesetz nicht besondere Anforderungen statuiert, ihr Verfassungsrecht und auch ihre Verfassungsgerichtsbarkeit nach eigenem Ermessen ordnen. Daher muss der Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder vom Bundesverfassungsgericht möglichst unangetastet bleiben; auch darf die Landesverfassungsgerichtsbarkeit nicht in größere Abhängigkeit von der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit gebracht werden, als es nach dem Grundgesetz unvermeidbar ist.
Nach den Regelungen des Grundgesetzes ist gegen Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte allerdings eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht statthaft (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), weil Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG auch die Landesverfassungsgerichte an die Grundrechte und grundrechtsgleichen Gewährleistungen des Grundgesetzes binden, zu deren Schutz das Bundesverfassungsgericht im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen werden kann. Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte sind daher Akte „öffentlicher Gewalt“, die im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können. Dies gilt nur insoweit nicht, als die Landesverfassungsgerichte Streitigkeiten in der Sache abschließend entscheiden.
Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG sind daher auch Landesverfassungsgerichte zur Vorlage von Landesrecht an das Bundesverfassungsgericht verpflichtet, wenn sie von der Verletzung des Grundgesetzes durch Landesrecht überzeugt sind. Dies setzt voraus, dass die Landesverfassungsgerichte Landesrecht auch tatsächlich an den für sie verbindlichen Vorgaben des Grundgesetzes überprüfen und das Grundgesetz damit auch anwenden und erforderlichenfalls auslegen. Art. 100 Abs. 3 GG verpflichtet dabei zu einer sogenannten Divergenzvorlage, wenn ein Landesverfassungsgericht bei der Auslegung des Grundgesetzes von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder eines anderen Landesverfassungsgerichts abweichen will.
Zwar gelten die Grundrechte nach Art. 19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Dies gilt jedoch grundsätzlich nicht für inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts, weil es mit dem Wesen der Grundrechte nicht vereinbar wäre, wenn der Staat über Art. 19 Abs. 3 GG selbst zum Teilhaber oder Nutznießer der Grundrechte würde (sog. Konfusionsargument). Sein Handeln dient der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und vollzieht sich nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter ursprünglicher Freiheit, sondern aufgrund von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet, inhaltlich bemessen und begrenzt werden. Kompetenzzuweisungen und die Entscheidung aus ihnen resultierender Konflikte sind nicht Gegenstand der Grundrechte. Zwar ist das Willkürverbot auch mit Blick auf Träger öffentlicher Gewalt zu berücksichtigen. Dogmatische Grundlage hierfür ist jedoch das Rechtsstaatsprinzip, gegebenenfalls auch das Bundesstaatsprinzip, nicht aber das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG.
Die den Beauftragten eines Volksbegehrens durch das Landesrecht zugewiesenen Rechte sind Teil der – auf Akte der Gesetzgebung gerichteten – Willensbildung innerhalb eines Landes (Art. 71, 74 BV, Art. 63 Abs. 2 Satz 2, Art. 66 Abs. 2 Satz 1 BayLWG). Die Beauftragten nehmen insoweit eine organschaftliche Funktion wahr. Die Stimmberechtigten, die am Zustandekommen eines Volksbegehrens mitwirken, sind in ihrer Gesamtheit zur Wahrnehmung der verfassungsmäßigen Rechte dieses Teils des Staatsvolks nicht handlungsfähig. Das Bayerische Landeswahlgesetz sieht deshalb die Institution eines Beauftragten vor, der im Verfahren der Volksgesetzgebung zu bestimmten Handlungen befugt ist; er vertritt die Teile des Volkes, die im Rahmen eines Volksbegehrens und Volksentscheids von der Landesverfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind, unabhängig davon, in welchem Stadium sich das Volksbegehren befindet. Da die Beschwerdeführer als Beauftragte des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“ tätig geworden sind, machen sie nicht die Beeinträchtigung der ihnen als natürliche Personen zustehenden Rechte geltend, sondern eine Verletzung der mit dem Volksbegehren verbundenen Kompetenzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Februar 2019 – 2 BvR 2203/18 -, Rn. 24). Als Beauftragte des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“ können sich die Beschwerdeführer daher nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG berufen. Insofern handelt es sich um Streitigkeiten, bei denen es um die Ausübung des Gesetzgebungsrechts im betreffenden Land geht.
Eine Verletzung des Willkürverbots ist zudem nicht ersichtlich. Gegen das Willkürverbot wird nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Rechtsanwendung oder das Verfahren krass fehlerhaft und bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen. Ein Richterspruch ist in diesem Sinne objektiv unhaltbar, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist. Die Annahme von Willkür scheidet dagegen aus, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Vereinbarkeit der mit dem Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“ vorgeschlagenen Regelung mit der Bayerischen Verfassung und – mittelbar – dem Grundgesetz umfassend geprüft und willkürfrei verneint.
Das gilt zunächst, soweit der Verfassungsgerichtshof von einem „offensichtlichen“ Verstoß gegen das Grundgesetz ausgegangen ist. Mit der – mittelbaren – Heranziehung von Art. 72 Abs. 1 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat er dem Umstand Rechnung getragen, dass ein dermaßen offensichtlicher Verstoß gegen das Grundgesetz bei verfassungskonformer Auslegung nicht nur dann vorliegt, wenn der Widerspruch offen zutage tritt und als schwerwiegender, besonders krasser Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist, sondern auch dann, wenn das Landesrecht Bestimmungen des Grundgesetzes missachtet, die die Verfassungsautonomie der Länder begrenzen, das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG etwa, die auch die Länder unmittelbar bindenden Grundrechte der Art. 1 bis 19 und Art. 101 bis 104 GG oder sonstige Vorgaben der Verfassung, zu denen auch Art. 70 ff. GG zählen. Dass das Sondervotum zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, macht die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht willkürlich.
Im Übrigen steht jedenfalls seit dem Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2021 – 2 BvF 1/20 u.a. – fest, dass die in Rede stehende Norm des Landesrechts in jeder denkbaren Auslegung mit den Kompetenznormen des Grundgesetzes unvereinbar und eine grundgesetzkonforme Auslegung nicht möglich ist. Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (sog. ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, wobei der Bundesgesetzgeber mit dem Erlass der §§ 556 bis 561 BGB von dieser Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat. Dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof davon schon vor der Entscheidung des Senats ausgegangen ist, begründet schwerlich einen Willkürvorwurf.
Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Zwar können sich die Beschwerdeführer als Beauftragte des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“ – wie jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens – auf die Verfahrensgrundrechte des Grundgesetzes berufen. Insbesondere haben sie auch einen Anspruch auf Bescheidung des auf Zulassung des Volksbegehrens gerichteten Verfahrens durch den gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies hat das jeweilige Landesverfassungsgericht zu beachten.
Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt allerdings nur vor, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich oder bei einer richterlichen Zuständigkeitsentscheidung Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt werden. Das gilt auch für das Unterlassen einer Vorlageentscheidung Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt nur vor Willkür, nicht vor Irrtum.
Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG lässt sich nicht feststellen.
Eine Verletzung der Vorlagepflicht aus Art. 100 Abs. 1 GG (i.V.m. § 13 Nr. 10, § 80 Abs. 1 BVerfGG) scheidet aus, weil es sich bei dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“ nicht um einen tauglichen Vorlagegegenstand handelt.
Gesetze im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG sind ausschließlich formelle Gesetze. Dies gilt auch für beanstandete Vorschriften des Landesrechts Ein (in Kraft getretenes) Gesetz erfordert jedoch die Ausfertigung und die Verkündung Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG.
Hieran mangelt es vorliegend. Bislang ist lediglich ein (erfolgloser) Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“ gestellt worden.
Auch zu einer Divergenzvorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG (i.V.m. § 13 Nr. 13, § 85 Abs. 1 BVerfGG) war der Bayerische Verfassungsgerichtshof vor Erlass seiner Entscheidung vom 16. Juli 2020 nicht verpflichtet.
Zum Entscheidungszeitpunkt am 16. Juli 2020 bestand keine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, von der der Bayerische Verfassungsgerichtshof hätte abweichen können. Im Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2020 – 1 BvQ 15/20 – wird es in der Randziffer 19 (lediglich) als offen bezeichnet, ob das Land Berlin die Kompetenz zur Einführung des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin besessen habe. Eine Entscheidung über die Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG („Bürgerliches Recht“) und den Umfang der Sperrwirkung (Art. 72 Abs. 1 GG), war damit gerade nicht getroffen worden. Eine kompetenzielle Einordnung des Miethöhenrechts für (ungebundenen) Wohnraum ist vielmehr erstmals mit dem Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2021 – 2 BvF 1/20 u.a. – erfolgt.