Das Gebot des fairen Verhandelns beim Aufhebungsvertrag

27. Januar 2022 -

Das Landesarbeitsgericht Hessen hat mit Urteil vom 11.06.2021 zum Aktenzeichen 10 Sa 1221/20 entschieden, dass gegen das Gebot des fairen Verhandelns nicht dadurch verstoßen wird, dass Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag während einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt werden.

Gegen eine unfaire Verhandlungsführung sprach im konkreten Fall, dass sich die Verhandlungen über mehrere Wochen hinzogen, dem Kläger eine Überlegungsfrist von mehreren Tagen gesetzt worden ist, dass er diese Zeit auch nutzte, um den Entwurf des Arbeitgebers einem Rechtsanwalt zur Prüfung vorzulegen und er jederzeit auf den Inhalt des Aufhebungsvertrags Einfluss nehmen konnte und auch Einfluss ausgeübt hat.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages.

Der Kläger war bei der Beklagten ab dem 01.07.2014 als Projektingenieur beschäftigt.

Das Arbeitsverhältnis verlief nicht störungsfrei.

Im April 2016 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er werde seit ca. einem halben Jahr gemobbt und leide unter Schlafstörungen und nicht unerheblichen psychischen Problemen.

Ab November 2017 verhandelten die Parteien über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags.

Mit E-Mail vom 07.12.2017 wurde dem Kläger der Entwurf eines Aufhebungsvertrages zugesandt und um eine Rückmeldung bis zum 12.12.2017 gebeten.

Mit Schreiben vom 12.12.2017 teilte der Kläger mit, dass er einen Anwalt erreicht habe und dieser nach einer Prüfung für den Vertrag grünes Licht gegeben habe.

Im Januar 2018 wurden noch einzelne Punkte nachverhandelt wurden.

Daraufhin wurde der Aufhebungsvertrag von beiden Seiten unterschrieben.

Demnach endete das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2019.

Der Kläger wurde bis zu diesem Zeitpunkt unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass der Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen ist.

Seine psychische Erkrankung und die damit im Zusammenhang stehende Medikation sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen.

Auch die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Aufhebungsvertrag hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum 31.12.2019 beendet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückgängigmachung des Aufhebungsvertrags im Rahmen eines Schadensersatzes, denn die Beklagte hat nicht gegen den Grundsatz auf faires Verhandeln nach § 241 Abs. 2 BGB verstoßen.

Eine Verhandlungssituation ist dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht (vgl. BAG, Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18).

Denkbar ist u.a. die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse.

Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung).

Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten.

In diesem Fall lag kein Überraschungsmoment vor.

Die Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gingen über mehrere Wochen von November 2017 bis Januar 2018.

Dem Kläger wurde eine ausreichende Überlegungsfrist eingeräumt, er konnte den angebotenen Aufhebungsvertrag sogar durch einen Rechtsanwalt prüfen lassen.

Letztlich gab es am 17.01.2018 noch ein Personalgespräch bei der Beklagten, auch dort wurden noch Kleinigkeiten nachverhandelt, erst dann wurde die (finale) Unterschrift geleistet.

Dieser Gang der Vertragsverhandlungen lässt in keiner Weise den Schluss zu, dass der Kläger unfair behandelt wurde oder dass die Beklagte eine Willensschwäche und/oder eine bestehende Erkrankung des Klägers ausgenutzt hat.

Sollte es tatsächlich so gewesen sein, wofür nach der Aktenlage nichts spricht, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung unter erheblichen Medikamenteneinfluss gestanden habe und arbeitsunfähig gewesen sei, so hätte er darauf hinweisen müssen und um eine Fristverlängerung zur Abgabe seiner Erklärung bitten müssen.

Es kann insoweit auch nicht einfach hypothetisch unterstellt werden, dass der Kläger bei einer entsprechenden Bitte unfair behandelt worden wäre und die Arbeitgeberin diesem Anliegen nicht nachgekommen wäre.

Äußert sich der Kläger aber nicht entsprechend, kann er sich nicht – zumal nach mehreren Jahren – nun darauf berufen, über ein bei Vertragsverhandlungen zulässiges Maß unter Druck gesetzt worden zu sein.