Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 1106/21 entschieden, dass die Nichtberücksichtigung eines dem Beschwerdeführer zustehenden Rechtsbehelfs verfassungswidrig ist.
Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Fürstenwalde/Spree mit Urteil unter anderem in die Kosten eines Zivilrechtsstreits verurteilt.
Mit Kostenrechnung vom 31. Mai 2016, in der Folgezeit mehrfach geändert, machte die Landeshauptkasse – Landesjustizkasse – des Landes Brandenburg die in diesem Zivilverfahren entstandenen Gerichtskosten gegenüber dem Beschwerdeführer geltend.
Unter dem 18. Dezember 2016 beantragte der Beschwerdeführer bei dem Präsidenten des Landgerichts Frankfurt/Oder den Erlass eines – auf Zustellungen entfallenden – Teilbetrags von 28 Euro aus der Kostenrechnung der Landeshauptkasse.
Mit Bescheid vom 14. August 2019 lehnte der Präsident des Landgerichts Frankfurt/Oder den Antrag des Beschwerdeführers ab, da die Erlassvoraussetzungen nach § 8 Abs. 2 des Brandenburgischen Justizkostengesetzes (JKGBbg) nicht vorlägen. Insbesondere entspreche ein Erlass nicht der Billigkeit, da das Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree rechtskräftig geworden und der Beschwerdeführer nach diesem Urteil Entscheidungsschuldner der entstandenen Gerichtskosten sei.
Unter dem 19. Oktober 2019 erhob der Beschwerdeführer Einwendungen gegen den Bescheid vom 14. August 2019, die der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts mit Bescheid vom 20. Februar 2020 unter Verweis auf die zutreffende Prüfung im angegriffenen Bescheid zurückwies. Die Richtigkeit des Kostenansatzes sei zudem durch den zuständigen Bezirksrevisor festgestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 11. März 2021 beantragte der Beschwerdeführer richterliche Entscheidung über den Bescheid vom 14. August 2019 und den Bescheid vom 20. Februar 2020, der ihm erstmals am 2. März 2021 zugegangen sei, beim Amtsgericht Potsdam. Beide Bescheide verletzten ihn in seinen Rechten, da er zur Zahlung einzelner Kostenansätze, insbesondere wegen vorgenommener Zustellungen, verpflichtet bleibe, die er richtigerweise nicht zu zahlen habe.
Mit Beschluss vom 1. April 2021 – 29 C 46/21 – verwarf das Amtsgericht Potsdam den Antrag des Beschwerdeführers als unzulässig. Gegen den Bescheid des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Februar 2020 sei ein Rechtsmittel nicht statthaft.
Einer Gegenvorstellung des Beschwerdeführers half das Amtsgericht Potsdam nicht ab.
Das Amtsgericht hat mit dem durch § 30a Abs. 1 Satz 1 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) vorgesehenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung einen dem Beschwerdeführer offensichtlich zu Gebote stehenden Rechtsbehelf in aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise nicht berücksichtigt und so für den Beschwerdeführer ausgeschlossen.
Nach § 30a Abs. 1 Satz 1 EGGVG können Verwaltungsakte, die im Bereich der Justizverwaltung beim Vollzug des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten in Familiensachen, des Gerichts- und Notarkostengesetzes, des Gerichtsvollzieherkostengesetzes, des Justizvergütungs- und -entschädigungsgeset-zes oder sonstiger für gerichtliche Verfahren oder Verfahren der Justizverwaltung geltender Kostenvorschriften, insbesondere hinsichtlich der Einforderung oder Zurückzahlung ergehen, durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch dann angefochten werden, wenn es nicht ausdrücklich bestimmt ist. Die Regelung des § 30a EGGVG enthält damit eine Auffanggeneralklausel für die Anfechtbarkeit von Verwaltungsakten auf dem Gebiet des Kostenrechts, die etwa bestehende Regelungslücken schließen soll. Für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit führt sie zu einer Zuständigkeit der sachnäheren Amtsgerichte anstelle der Verwaltungsgerichte. Zum nach Berücksichtigung vorrangiger, hier aber nicht eingreifender Spezialregelungen verbleibenden Anwendungsbereich des § 30a EGGVG gehören – nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur – insbesondere Entscheidungen über den Erlass oder die Stundung von Gerichtskosten (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Januar 2011 – OVG 1 S 1.11 -, juris, Rn. 6; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. November 2018 – 6 VA 12/18 -, juris, Rn. 4).
Dem trägt auch die Rechtslage in Brandenburg ausdrücklich Rechnung. So bestimmt § 8 Abs. 1, Abs. 2 JKGBbg, für welchen Kreis von Kostenansprüchen und unter welchen Voraussetzungen ein Erlass in Betracht kommt. § 8 Abs. 4 JKGBbg überträgt die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Erlass solcher Ansprüche grundsätzlich auf das Ministerium der Justiz (Satz 1), ermächtigt es in Satz 2 aber auch zur Delegation der Zuständigkeit. Von dieser Delegationsbefugnis hat das Ministerium durch Erlass der Verordnung zur Übertragung von Befugnissen zum Erlass von Kosten nach § 8 des Brandenburgischen Justizkostengesetzes (Kostenerlassübertragungsverordnung – KostErlÜV) vom 24. Juli 2014 Gebrauch gemacht. In § 1 Abs. 1 bis Abs. 3 KostErlÜV wird die Zuständigkeit für den Erlass von Gerichtskosten aus dem Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften in Abhängigkeit von der Höhe der zu erlassenden Kosten und dem betroffenen Justizorgan differenziert bestimmt; aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 KostErlÜV folgt danach vorliegend die Zuständigkeit des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt/Oder für die Entscheidung über den Erlass der aus dem Zivilrechtsstreit vor dem Amtsgericht Fürstenwalde/Spree resultierenden Gerichtskosten in Höhe von 28 Euro. § 1 Abs. 4 Satz 1 KostErlÜV sieht sodann die Zuständigkeit des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts für Einwendungen gegen Erlassentscheidungen des Präsidenten des Amtsgerichts Potsdam oder der Präsidenten der Landgerichte vor. § 1 Abs. 5 KostErlÜV hebt aber hervor, dass der Rechtsweg unberührt bleibt und verweist damit in der Sache auf § 30a EGGVG.
Vor diesem Hintergrund stand dem Beschwerdeführer gegen die Bescheide des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt/Oder und des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 30a Abs. 1 Satz 1 EGGVG offen. Dem steht insbesondere auch das Einwendungsverfahren bei dem Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nach § 1 Abs. 4 Satz 1 KostErlÜV nicht entgegen, weil es sich dabei um einen förmlichen Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren handelt, vergleichbar dem von § 24 Abs. 2 EGGVG benannten Beschwerdeverfahren. Der in diesem Verfahren ergangene Bescheid des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ist danach seinerseits Justizverwaltungsakt, vermittelt also gerade nicht den von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geforderten gerichtlichen Rechtsschutz. Die abweichende, allerdings nicht weiter begründete Auffassung des Amtsgerichts im angegriffenen Beschluss ist danach weder mit § 30a Abs. 1 Satz 1 EGGVG noch mit den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Einklang zu bringen.
Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Potsdam beruht auch auf der Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht, hätte es den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung nicht bereits als unstatthaft behandelt, zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Zwar ergeben sich aus der Akte des Ausgangsverfahrens Zweifel daran, ob der Bescheid des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Februar 2020 dem Beschwerdeführer erst, wie von ihm im fachgerichtlichen Verfahren vorgetragen, am 2. März 2021 zugegangen ist, ob ein etwaiger, erheblich früherer Zugang dieses Bescheids Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung hat und ob das im Wesentlichen auf die Richtigkeit des Kostenansatzes zielende Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Rechtsverletzung durch die Entscheidungen über den Erlass der Gerichtskosten führt. Es ist aber nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diesen die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts und die Anwendung des einfachen Rechts betreffenden Zweifeln weiter nachzugehen.