Der Europäische Gerichtshof hat am 20.01.2022 zum Aktenzeichen C-165/20 sein Urteil zu der Frage verkündet, ob, wenn ein Luftfahrzeugbetreiber während einer bestimmten Handelsperiode seine Luftverkehrstätigkeit einstellt, die Anzahl der ihm zugeteilten Treibhausgasemissionszertifikate im Verhältnis zu dem Teil dieser Handelsperiode, in dem diese Tätigkeit nicht mehr ausgeführt wird, herabzusetzen ist.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 20.01.2022 ergibt sich:
Nachdem Air Berlin Ende Oktober 2017 ihren Flugbetrieb offiziell eingestellt hatte und Anfang November 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, nahm die Deutsche Emissionshandelsstelle die Air Berlin ursprünglich für die Jahre 2013 bis 2020 zugeteilten Treibhausgasemissionszertifikate zurück, soweit sie auf die Jahre 2018 bis 2020 entfielen.
Der Insolvenzverwalter von Air Berlin hat diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Berlin angefochten. Das Verwaltungsgericht hat den Gerichtshof in diesem Zusammenhang um Auslegung insbesondere der Richtlinie 2003/87 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft ersucht.
Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof dem Verwaltungsgericht Berlin wie folgt:
Art. 3e der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates in der durch die Verordnung (EU) 2017/2392 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Luftfahrzeugbetreiber während der fraglichen Handelsperiode für Treibhausgasemissionszertifikate seine Luftverkehrstätigkeit einstellt, die Anzahl der ihm kostenlos zugeteilten Treibhausgasemissionszertifikate im Verhältnis zu dem Teil dieser Handelsperiode, in dem diese Tätigkeit nicht mehr ausgeführt wird, herabzusetzen ist.
Die einschlägige Regelung über die Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten setze voraus, dass die Person, der die Zertifikate zugeteilt würden, eine Luftverkehrstätigkeit ausführe und dass die Zertifikate in jährlichen Tranchen ausgegeben würden, wobei die Person, der die Zertifikate zugeteilt würden, auch zum Zeitpunkt der tatsächlichen Übergabe der Zertifikate ein „Luftfahrzeugbetreiber“ sein müsse.
Die Ausführung einer dem Emissionshandelssystem unterfallenden Luftverkehrstätigkeit während der gesamten fraglichen Handelsperiode stelle nicht nur eine bloße Vermutung dar, aufgrund derer die Berechnung ex ante der Anzahl der Zertifikate erfolge, sondern sei eine materielle Voraussetzung für die tatsächliche Vergabe der jährlichen Zertifikatstranchen bis zum Ende der Handelsperiode.
Wenn ein Luftfahrzeugbetreiber seine Tätigkeit im Laufe einer Handelsperiode einstelle und damit seine Eigenschaft als Luftfahrzeugbetreiber verliere, so dass er die für die Jahre, in denen nun keine Luftverkehrstätigkeit mehr erfolge, zugeteilten Treibhausgasemissionszertifikate nicht mehr erhalte, so könne sich der Insolvenzverwalter dieses ehemaligen Luftfahrzeugbetreibers nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes berufen.
Die Vergabe von Treibhausgasemissionszertifikaten an den Insolvenzverwalter eines ehemaligen Luftfahrzeugbetreibers für die Jahre, in denen dieser keine Luftverkehrstätigkeit mehr ausgeführt habe, sei weder mit dem Wortlaut der einschlägigen Richtlinienbestimmung noch mit dem Zweck und der allgemeinen Systematik des Emissionshandelssystems vereinbar. Sie würde lediglich den Gläubigern dieses ehemaligen Luftfahrzeugbetreibers einen unverhofften Vorteil verschaffen.