Widerruf des Arbeitgebers von Telearbeit

13. Januar 2022 -

Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 14.08.2020 ­zum Aktenzeichen 9 TaBV 11/20 zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei dem Widerruf alternierender Telearbeit entschieden.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zum Widerruf einer Teleheimarbeitsbefugnis.

Der Zustimmungsersetzungsantrag ist auch begründet. Denn die Arbeitgeberin hatte den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG über die von ihr beabsichtigte Versetzung von Frau R in Form des Widerrufs der alternierenden Telearbeit ordnungsgemäß unterrichtet und der Betriebsrat kann seine Zustimmungsverweigerung nicht auf einen der in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgeführten Verweigerungsgründe stützen.

Gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen wie dem der Arbeitgeberin mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat ua. vor jeder Versetzung zu unterrichten, den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz mitzuteilen und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung darf unabhängig von den für die Verweigerung vorgebrachten Gründen aber nur dann ersetzt werden, wenn der Arbeitgeber die Anforderungen des § 99 Abs. 1Satz 1 BetrVG erfüllt und den Betriebsrat ordnungsgemäß unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen unterrichtet hatte (BAG, Beschluss vom 09.04.2019 – 1 ABR 30/17 -, Rn. 33, juris; BAG, Beschluss vom 28.06.2005 – 1 ABR 26/04 -, BAGE 115, 173-184, Rn. 21). Anderenfalls hätte die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG, innerhalb derer der Betriebsrat eine mögliche Verweigerung der erbetenen Zustimmung erklären muss, nicht zu laufen begonnen (BAG, Beschluss vom 09.04.2019 – 1 ABR 30/17 -, Rn. 33, juris). Der Betriebsrat wäre dann weder gehalten gewesen, sich über eine Zustimmung schlüssig zu werden, noch könnte sie gerichtlich ersetzt werden (BAG, Beschluss vom 28.06.2005 – 1 ABR 26/04 -, BAGE 115, 173-184, Rn. 13).

Bei dem von der Arbeitgeberin beabsichtigten Widerruf der alternierenden Telearbeit handelt es sich um eine Versetzung iSd. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG, denn die Einbindung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf und die Aufgabenerfüllung ist auch bei teilweiser Telearbeit aufgrund von deren Besonderheiten eine völlig andere als ohne Telearbeit, so dass sich bei der Beendigung der Telearbeit das Bild der Tätigkeit grundsätzlich ändert (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. September 2014 – 12 Sa 505/14 –, Rn. 92 ff., juris; Preis/Temming, Der Arbeitsvertrag, 6. Aufl. 2020, Telearbeit/Arbeiten im Home, Mobile und Global Office, Rn. 72). Mit der Verlagerung des Arbeitsplatzes vom Homeoffice zurück in den Betrieb ändern sich der individuelle Arbeitsort des Arbeitnehmers und – selbst bei unveränderten Arbeitsaufgaben – in erheblicher Weise auch die Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist (dazu näher Oberthür, MDR 2015, 1269, 1272).

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei dem Widerruf der Telearbeitsvereinbarung entfällt auch nicht deswegen, weil der TV Telearbeit eine Beteiligung des Betriebsrats ausdrücklich nur für die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes und nicht auch für den Widerruf von Telearbeit vorsieht. Bei den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes über die Mitwirkung des Betriebsrats handelt es sich um Arbeitnehmerschutzbestimmungen, die einseitig zwingender Natur sind. Wenn der Gesetzgeber etwas anderes anordnen will, bedarf dies einer entsprechend klaren Regelung (BAG, Beschluss vom10. Februar 1988 – 1 ABR 70/86 –, BAGE 57, 317-329, Rn. 26). Dies bedeutet, dass der Erweiterung und Verstärkung der Mitwirkung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten durch einen Tarifvertrag grundsätzlich nichts entgegen steht (BAG, Beschluss vom 10. Februar 1988 – 1 ABR 70/86 –, BAGE 57, 317-329, Rn. 30). Das durch die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes abgesicherte Mindestmaß an betrieblicher Interessenvertretung kann hingegen nicht durch Tarifverträge unterschritten werden (Däubler/Nebe, Tarifvertragsgesetz, 4. Aufl. 2016, § 1 TVG, Rn. 375; Schaub/Treber, 18. Aufl. 2019, ArbR-HdB, § 200 Normative Regelungen des Tarifvertrags, Rn. 34). Selbst für den Fall, dass der TV Telearbeit dahingehend auszulegen sein sollte, dass eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG beim Widerruf der Telearbeit hiernach generell nicht (mehr) erforderlich wäre, stünde eine derartige Regelung somit nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.

Die Arbeitgeberin hatte den Betriebsrat mit ihrem Zustimmungsantrag vom 05.04.2020 über den beabsichtigten Widerruf der alternierenden Telearbeit und die in K vorgesehene Beschäftigung von Frau R informiert. Frau R und den Arbeitsplatz in K kannte der Betriebsrat ohnehin schon auf Grund seiner im Jahr 2016 erteilten Zustimmung zur damaligen Versetzung. Auch die Gründe für den Widerruf der alternierenden Telearbeit hat die Arbeitgeberin mitgeteilt, in dem sie angegeben hat, dass der damalige Grund für die Einrichtung eines alternierenden Telearbeitsplatzes, die Betreuung eines Kindes unter zwölf Jahren, weggefallen sei und dass eine veränderte Aufgabenstellung sowie die entstandene Mehrarbeit engere und kurzfristige Abstimmungen im Team und eine Anwesenheit vor Ort erforderten.

Der Betriebsrat kann seine Zustimmungsverweigerung weder gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darauf stützen, dass die Arbeitgeberin ihre betrieblichen Interessen bei der geplanten Maßnahme entgegen § 106 GewO und entgegen § 6 MTV nicht mit den Interessen der Frau R abgewogen habe, noch darauf, dass Frau R durch den Widerruf im Hinblick auf die reine Wegezeiten und Fahrtkosten iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG benachteiligt werde.

Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zu einer personellen Maßnahme nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wegen Verstoßes gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag nur dann verweigern, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag verstößt und das Ziel der betreffenden Norm allein dadurch erreicht werden kann, dass die personelle Maßnahme insgesamt unterbleibt (BAG, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11 –, BAGE 145, 355-370, Rn. 49). MaW: Der Zweck der Norm muss darin bestehen, die personelle Maßnahme selbst zu verhindern (BAG, Beschluss vom 17. Juni 2008 – 1 ABR 20/07 –, Rn. 23, juris; BAG, Beschluss vom28. März 2000 – 1 ABR 16/99 –, BAGE 94, 169-178, Rn. 20). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist hingegen kein Instrument zur Vertragsinhaltskontrolle (vgl. BAG, Beschluss vom 21. Juli 2009 – 1 ABR 35/08 –, BAGE 131, 250-258, Rn. 21; BAG, Beschluss vom 10. August 1993 – 1 ABR 22/93 –, Rn. 43, juris).

Daher kann es schon dem Grunde nach nicht darauf ankommen, ob der Widerruf gegen § 106 GewO oder § 6 des MTV verstößt. Denn bei Versetzungen geht es auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene um die tatsächliche Zuweisung eines anderen Tätigkeitsbereichs. Die betriebliche Mitbestimmung knüpft an die tatsächliche Zuweisung des anderen Arbeitsbereichs als Realakt und nicht an die zugrunde liegende schuldrechtliche Versetzungsregelung als Rechtsgeschäft an (Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 31. Juli 2018 – 7 TaBV 19/18 –,Rn. 37, juris; Fitting, 30. Aufl. 2020, § 99 BetrVG, Rn. 120). Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs würde nicht darauf abzielen, ob die Versetzung von Frau R als Realakt zu unterbleiben hat, sondern ob im Vorfeld der Versetzung im Zusammenhang mit dem Widerruf ein Rechtsverstoß vorliegt. Bei dieser Vorgehensweise würde eine vom Gesetz nicht vorgesehene Rechts- und Inhaltskontrolle individual vereinbarter Regelungen zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer erfolgen.

Zudem liegt in Zusammenhang mit dem Widerruf der alternierenden Telearbeit im Fall der Frau R kein Verstoß gegen § 106 GewO oder § 6 MTV vor. Denn die Vereinbarung über die Telearbeit konnte, wie es hier geschehen ist, von der Arbeitgeberin mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden.

Es kann insoweit im Rahmen des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG dahinstehen, ob ein Arbeitgeber auf Grund eines vorbehaltenen Widerrufsrechts einseitig bestimmen kann, dass die Arbeitsleistung zukünftig nur noch am Arbeitsplatz im Betrieb zu erbringen ist (dazu Kramer, DB 2000, 1329, 1332; 1333; Oberthür, MDR 2015, 1269, 1271 f.) und ob die entsprechende Regelung in der Vereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und Frau R vom 24.04.2007 von dem gesetzlichen Leitbild des § 106 Satz 1 GewO so weit abweicht, dass sie gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (zur Problematik Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. September 2014 – 12 Sa 505/14 –, Rn. 83 ff. juris).

Denn jedenfalls gelten gemäß § 1 der Vereinbarung mit Frau R die Bestimmungen des TV Telearbeit, der eine gleichlautende Regelung enthält. Diese Regelung geht auf Grund ihrer Spezialität der allgemeinen Regelung in § 6 MTV und dem dispositiven § 106 GewO vor.

Mit der tariflichen Regelung, wonach die Vereinbarung alternierender Telearbeit von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann, haben die Tarifvertragsparteien nach dem Verständnis der Kammer geregelt, dass die Arbeitgeberin keine Ermessens- und Billigkeitserwägungen bei der individuellen Ausübung des Widerrufsrechts einhalten muss. Entgegen ihrem Wortlaut ist die Tarifbestimmung nicht so zu verstehen, dass die Arbeitgeberin lediglich auf eine (schriftliche) Mitteilung ihrer Erwägungen verzichten darf. Ein solches Auslegungsergebnis ließe den betroffenen Arbeitnehmer im Unklaren über die Beweggründe zum Widerruf und brächte keinem Beteiligten einen nennenswerten Vorteil. Es wäre weder vernünftig noch sachgerecht, zweckorientiert oder praktisch brauchbar (zu diesen Auslegungskriterien BAG, Urteil vom 20. Juni 2018 – 4 AZR 339/17 –, Rn. 19, juris) und kann damit nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprochen haben.

Die Arbeitgeberin und Frau R haben auf den TV Telearbeit ohne nachteilige inhaltliche Abweichung Bezug genommen, so dass er schon aus diesem Grunde, unabhängig davon, ob Frau R selbst tarifgebunden ist, gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner Inhaltskontrolle unterliegt (vgl. BAG, Urteil vom23. September 2004 – 6 AZR 442/03 –, BAGE 112, 64-71, Rn. 28; Preis, Der Arbeitsvertrag, 6. Aufl. 2020, Grenzen der Vertragsgestaltung, Rn. 60). Denn Tarifverträge werden von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt und genießen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG eine Institutsgarantie. Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien ist davon auszugehen, dass bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Die Tarifvertragsparteien haben im Unterschied zu den Arbeitsvertragsparteien eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Es besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen (BAG, Urteil vom 06. September 1995 – 5 AZR 174/94 –, BAGE 81, 5-15, Rn. 38; Staudinger/Richardi/Fischinger (2020) BGB § 611a, Rn. 897).

Auch das Direktionsrecht kann durch Tarifvertrag zugunsten des Arbeitgebers erweitert werden (BAG, Urteil vom 23. September 2004 – 6 AZR 442/03 –, BAGE 112, 64-71, Rn. 22), ohne dass dem das in § 4 Abs. 3 TVG niedergelegte Günstigkeitsprinzip entgegen stünde (Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil vom12. August 2005 – 6 Sa 73/05 –, Rn. 22, juris). Die Regelung im TV Telearbeit hat damit die – im vorliegenden Verfahren nicht widerlegte – Vermutung für sich, dass sie den Interessen beider Seiten gerecht wird und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermittelt. Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob dabei jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde (vgl. BAG, Urteil vom 06. September 1995 – 5 AZR 174/94 –, BAGE 81, 5-15, Rn. 38). Demgemäß kann die Arbeitgeberin die Vereinbarung über die Telearbeit unter Einhaltung der tariflichen Frist ohne Angabe von Gründen widerrufen.

Aber auch wenn § 106 GewO im Rahmen des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG Berücksichtigung fände, läge in dem beabsichtigten Widerruf der Telearbeitsvereinbarung kein Gesetzesverstoß, da die Arbeitgeberin das Interesse von Frau R an der Beibehaltung der alternierenden Telearbeit vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Alters ihres Kindes und der gegenüber der früheren Arbeitsstätte in B verringerten Wegezeiten und Fahrtkosten mit den betrieblichen Erfordernissen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt hat.

Frau R wird durch den Widerruf im Hinblick auf die reine Wegezeiten und Fahrtkosten nicht iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG benachteiligt.

Allerdings ist der Betriebsrat nicht aus rechtlichen Gründen gehindert, sich auf diesen Zustimmungsverweigerungsgrund zu berufen. Insoweit ist unerheblich, ob die tarifliche Regelung, wonach die Lösung von der alternierende Telearbeiter grundlos möglich sein müsse, unterlaufen würde. Denn das durch die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes abgesicherte Mindestmaß an betrieblicher Interessenvertretung kann, wie bereits dargelegt, nicht durch einen Tarifvertrag unterschritten werden. § 99 BetrVG ist insoweit nicht dispositiv.

Jedoch ist die Versetzung ist aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin beruft sich darauf, dass in der Organisationseinheit von Frau R kurzfristige und enge Teamabstimmungen notwendig sind, die eine persönliche Anwesenheit voraussetzten und auch andere Mitarbeiter ihre Arbeitsleistung in der Betriebsstätte erbringen müssten. Hierbei handelt es sich um betriebliche Gründe, die, wenn sie auch nicht zwingend sein mögen, die Entscheidung zum Widerruf der alternierenden Telearbeit bedingen und, da die Arbeitgeberin ihr billiges Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt hat, auch rechtfertigen. In einem solchen Fall kann der Betriebsrat seine Zustimmung zu der personellen Maßnahme nicht versagen (vgl. Fitting, 30. Aufl. 2020, § 99 BetrVG, Rn. 244).