Urteil im sog. NSU-Verfahren auch hinsichtlich des Angeklagten André E. und damit insgesamt rechtskräftig

15. Dezember 2021 -

Der Bundesgerichtshof hat am 15.12.2021 zum Aktenzeichen 3 StR 441/20 das Urteil des Oberlandesgerichts München bestätigt.

Mit Urteil vom 11.07.2018 hat das Oberlandesgericht München den Angeklagten André E. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von vier weiteren Vorwürfen – der Beihilfe zum versuchten Mord in Tateinheit mit Herbeiführen einer schweren Sprengstoffexplosion, der zweifachen Beihilfe zum Raub sowie der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – hat es ihn freigesprochen.

Nach den vom Oberlandesgericht zur Verurteilung des Angeklagten getroffenen Feststellungen verschaffte er der aus Böhnhardt, Mundlos und der – mittlerweile rechtskräftig verurteilten – Mitangeklagten Beate Z. bestehenden terroristischen Vereinigung NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) in den Jahren 2009, 2010 und 2011 jeweils zwei für ein Jahr gültige Bahncards der Deutschen Bahn, die auf ihn und seine Ehefrau ausgestellt, indes mit Lichtbildern von Böhnhardt und Z. versehen waren. Der Angeklagte hielt es zu diesen Zeitpunkten für möglich und nahm es hin, dass sich das abgetarnt im Untergrund lebende Trio zu einer Vereinigung verbunden hatte, deren Zwecke und Tätigkeit auf die Begehung von Tötungsdelikten und Sprengstoffanschlägen gerichtet waren. Wie ihm bekannt war, ermöglichten die Bahncards den beiden Begünstigten nicht nur, zu einem herabgesetzten Preis Bahnfahrkarten zu kaufen, sondern auch, sich behelfsmäßig unter falscher Identität auszuweisen.

Zum Teilfreispruch hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2003 zu einem Mordanschlag mit Sprengstoff in den Räumlichkeiten eines Lebensmittelgeschäfts in Köln sowie zu zwei Raubüberfällen auf eine Post- und eine Sparkassenfiliale in Chemnitz Hilfe leistete. Bei der Detonation der als Sprengfalle konstruierten Bombe wurde die 19-jährige Tochter des iranischen Geschäftsinhabers am Kopf massiv verletzt. Er selbst, seine Ehefrau und eine weitere Tochter zogen sich lediglich zufallsbedingt keine tödlichen oder gravierenden Verletzungen zu. In den drei Fällen hatte der Angeklagte das Wohnmobil, mit dem Böhnhardt und Mundlos zum jeweiligen Tatort hin- und von dort zurückfuhren, angemietet und ihnen übergeben. Ferner begleitete der Angeklagte im Jahr 2007 die Mitangeklagte zu einer in anderer Sache durchgeführten polizeilichen Zeugenvernehmung, in der sie sich als seine Ehefrau ausgab. Er bestätigte als Zeuge ihre Falschangaben. Zuvor hatte er Z. den Bundespersonalausweis seiner Ehefrau überlassen, mit dem sie sich bei ihrer Einvernahme auswies. Das Oberlandesgericht hat allerdings nicht die Überzeugung gewonnen, der Angeklagte habe bei den drei Wohnmobilübergaben damit gerechnet, dass er die Begehung eines Mordanschlags oder Raubüberfalls fördere, oder es bis zur Beendigung der polizeilichen Zeugenvernehmung der Mitangeklagten für möglich gehalten, er unterstütze eine Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Tötungsdelikte oder Sprengstoffanschläge zu begehen.

Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch der Generalbundesanwalt diesen betreffend Revision eingelegt. Der Angeklagte hat sich gegen seine Verurteilung gewandt, der Generalbundesanwalt den Teilfreispruch angegriffen.

Der nach der Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofs bundesweit für alle Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat hat beide Rechtsmittel verworfen. Die Verfahrensbeanstandung des Angeklagten hat mangels Tatsachenvortrags bereits den gesetzlichen Formanforderungen nicht genügt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die materiellrechtliche Nachprüfung des schriftlichen Urteils, die auf die von beiden Revisionsführern erhobenen Sachrügen geboten war, hat, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler, soweit er freigesprochen worden ist, keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler ergeben (§ 337 StPO). Im Zentrum dieser Prüfung hat dabei die tatrichterliche Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite gestanden. Soweit der Generalbundesanwalt insoweit verschiedentlich weitere Erörterungen in den Gründen des angefochtenen Urteils vermisst und deshalb revisionsrechtlich beachtliche Lücken moniert hat, hat der 3. Strafsenat unter anderem die höchstrichterliche Rechtsprechung zum gebotenen Umfang der Darstellung der Beweiswürdigung bestätigt. Hiernach gilt:

Zwar verpflichtet § 261 StPO das Tatgericht, alle festgestellten Tatumstände und Beweisergebnisse, soweit sie für oder gegen den Angeklagten sprechen können oder beide Möglichkeiten zulassen, einer umfassenden Würdigung zu unterziehen; diese ist in den Urteilsgründen darzulegen. Die Darstellung kann jedoch ihrer Natur nach nicht in dem Sinne erschöpfend sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten ausdrücklich abgehandelt werden. Eine solche exzessive Erörterung würde die Möglichkeiten und Ressourcen der Gerichte übersteigen, ohne dass jemals absolute Vollständigkeit erreicht werden könnte. Sie ist daher von Rechts wegen nicht zu verlangen. Ausreichend ist die Angabe des für die Entscheidung Wesentlichen. Die Urteilsgründe müssen deutlich machen, dass das Tatgericht naheliegende erhebliche Beweistatsachen nicht übersehen oder unvertretbar gewertet hat. Aus einzelnen tatsächlich bestehenden oder denkbaren Lücken der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, das Tatgericht habe nach den sonstigen Urteilsgründen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht. Eine revisionsrechtlich beachtliche Lücke liegt vielmehr erst vor, wenn eine wesentliche Feststellung überhaupt nicht erörtert oder ein aus den Urteilsgründen ersichtliches bedeutsames Beweisergebnis übergangen wird.

Das Urteil des Oberlandesgerichts ist damit insgesamt rechtskräftig.