Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat am 07.12.2021 zum Aktenzeichen 10 LB 278/20, 10 LB 268/20, 10 LB 270/20 und 10 LB 257/20 mit vier Urteilen entschieden, dass alleinstehende, nicht vulnerable Personen, die in Bulgarien internationalen bzw. subsidiären Schutz erhalten haben, dorthin rücküberstellt werden dürfen.
Pressemitteilung des OVG Lüneburg Nr. 61/2021 vom 08.12.2021 ergibt sich:
Das Verwaltungsgericht Hannover hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Urteilen jeweils unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – und vom 31.1.2018 – 10 LB 87/17 -) verpflichtet, für die jeweiligen Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgarien festzustellen (Az.: 2 A 3439/18, 15 A 3023/17 und 2 A 3026/19). Diese Urteile des Verwaltungsgerichts hat der Senat in den gestern entschiedenen Berufungsverfahren geändert und die Klagen abgewiesen. In dem Verfahren zum Aktenzeichen 10 LB 259/20 hat es die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg (Az.: 8 A 75/18) zurückgewiesen.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass er insoweit nicht mehr an seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2018, die auf Grundlage der damaligen Erkenntnislage ergangen sei, festhalte. Auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse hat der Senat festgestellt, dass die Behandlung von nicht vulnerablen international Schutzberechtigten in Bulgarien derzeit den Anforderungen nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs genügten, wonach für die Frage der Zulässigkeit der Rücküberstellung lediglich die Mindestbedürfnisse in dem betreffenden Mitgliedstaat der Europäischen Union gedeckt sein müssten („Bett, Brot und Seife“). Zwar bestünden in Bulgarien schwierige Lebensverhältnisse, die sich durch die Corona-Pandemie noch verschlechtert hätten. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass alleinstehende anerkannte Schutzberechtigte, die gesund und arbeitsfähig sind, dort kein für ihren eigenen Lebensunterhalt ausreichendes Erwerbseinkommen erzielen und keine Unterkunft finden könnten.
Dazu hat der Senat im Einzelnen festgestellt, dass nach den im Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht vulnerablen anerkannten Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Bulgarien keine Obdachlosigkeit drohe. Konkrete Erkenntnisse über Obdachlosigkeit in nennenswertem Umfang lägen nicht vor und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden und zu finanzieren. Mangels staatlicher Unterstützung sei für die dauerhafte Erlangung einer menschenwürdigen Unterkunft, die derzeit auch Nichtregierungsorganisationen nicht gewährleisten könnten, jedoch die individuelle Fähigkeit des jeweiligen Schutzberechtigten, seine Lebenshaltungskosten selbst zu bestreiten, maßgeblich. Dementsprechend sei für nicht arbeitsfähige bzw. kranke Schutzberechtigte und Familien mit Kindern eine andere Bewertung geboten. Denn es sei zwar unter Berücksichtigung der bestehenden Arbeitsmöglichkeiten für anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie davon auszugehen, dass alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige Schutzberechtigte bei einer Rückkehr nach Bulgarien in der Lage sein würden, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Einkommen zu erwirtschaften, das zur Deckung ihrer eigenen Lebenshaltungskosten einschließlich der Kosten einer Unterkunft ausreiche. Dies sei allerdings angesichts der in Bulgarien herrschenden Lebensbedingungen nicht ausreichend, wenn die Rückführung im Familienverbund erfolge und weitere Personen versorgt werden müssten. Soweit sich einzelne Kläger auf die vermutete Praxis des bulgarischen Staats berufen hätten, anerkannt Schutzberechtigten den internationalen Schutzstatus wieder zu entziehen, wenn diese ihre Identitätsnachweise nicht rechtzeitig verlängerten, sei eine Art. 4 der Grundrechtecharta der Europäischen Union widersprechende Praxis bei der Überprüfung des in Bulgarien gewährten Schutzstatus nach Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel nicht festzustellen.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der Senat in allen Verfahren nicht zugelassen. Dagegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.