Schlussanträge zur Klagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden bei Datenschutzverstößen

Nach Ansicht von Generalanwalt Richard de la Tour im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zum Aktenzeichen C-319/20 können die Mitgliedstaaten Verbraucherschutzverbänden erlauben, gegen Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten Verbandsklagen zu erheben; diese Klagen müssen auf die Verletzung von Rechten gestützt sein, die den betroffenen Personen unmittelbar aus der Datenschutz-Grundverordnung erwachsen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 216/2021 vom 02.12.2021 ergibt sich:

In Deutschland wirft der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (im Folgenden: Bundesverband) Facebook Ireland vor, bei der Bereitstellung kostenloser Spiele von Drittanbietern1 im „App-Zentrum“ der Plattform gegen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten, zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und über den Verbraucherschutz verstoßen zu haben. In diesem Zusammenhang erhob der Bundesverband vor den deutschen Gerichten Unterlassungsklage gegen Facebook Ireland.

Der BGH führt aus, dass Facebook Ireland den Nutzern die erforderlichen Informationen über den Zweck der Datenverarbeitung und den Empfänger personenbezogener Daten nicht (in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache) übermittelt habe. Somit habe Facebook Ireland gegen die Datenschutz-Grundverordnung2 verstoßen.

Der Bundesgerichtshof hat jedoch Zweifel daran, ob die Klage des Bundesverbands zulässig ist. Er stellt sich nämlich die Frage, ob einem Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen wie dem Bundesverband seit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung noch die Befugnis zustehe, wegen Verstößen gegen diese Verordnung unabhängig von der konkreten Verletzung von Rechten einzelner betroffener Personen und ohne deren Auftrag im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen. Aus dem Umstand, dass die Datenschutz-Grundverordnung den Aufsichtsbehörden umfangreiche Überwachungs-, Untersuchungs- und Abhilfebefugnisse einräume, könnte abgeleitet werden, dass es grundsätzlich Sache dieser Behörden sei, die Bestimmungen dieser Verordnung durchzusetzen. Daher hat der Bundesgerichtshof den Gerichtshof um Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung ersucht.

In seinen Schlussanträgen vom 02.12.2021 schlägt Generalanwalt Jean Richard de la Tour dem Gerichtshof vor, die Datenschutz-Grundverordnung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die es Verbänden zur Wahrung von Verbraucherinteressen erlaubt, unter den Gesichtspunkten des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken, des Verstoßes gegen ein Verbraucherschutzgesetz oder des Verbots der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten Klage zu erheben, wenn die betreffende Verbandsklage auf die Wahrung von Rechten gerichtet ist, die den Personen, die von der beanstandeten Verarbeitung betroffen sind, unmittelbar aus dieser Verordnung erwachsen.

Der Generalanwalt weist darauf hin, dass sich der Gerichtshof in seinem Urteil Fashion ID3 im Hinblick auf die Richtlinie 95/464, der Vorgängervorschrift der Datenschutz-Grundverordnung, zu einer ähnlichen Frage geäußert habe. Der Gerichtshof habe für Recht erkannt, dass diese Richtlinie einer nationalen Regelung, die es Verbänden zur Wahrung von Verbraucherinteressen erlaubt, gegen den mutmaßlichen Verletzer von Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten Klage zu erheben, nicht entgegensteht.

Nach Auffassung des Generalanwalts können weder die Ersetzung der Richtlinie 95/46 durch eine Verordnung noch der Umstand, dass die Datenschutz-Grundverordnung nunmehr der Vertretung von betroffenen Personen bei Klagen einen Artikel widmet, die Feststellung des Gerichtshofs in diesem Urteil in Frage stellen.

So sei es den Mitgliedstaaten immer noch gestattet, bestimmten Einrichtungen die Möglichkeit einzuräumen, ohne Auftrag der betroffenen Personen und ohne dass vorgebracht werden müsste, dass konkrete Fälle im Hinblick auf individuell bezeichnete Personen vorlägen, Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zu erheben, wenn ein Verstoß gegen Bestimmungen dieser Verordnung geltend gemacht werde, mit denen den betroffenen Personen subjektive Rechte verliehen werden sollten. Dies sei bei der Unterlassungsklage des Bundesverbands gegen Facebook Ireland der Fall.

Der Generalanwalt führt ferner aus, dass die Datenschutz-Grundverordnung nationalen Bestimmungen nicht entgegenstehe, die einen Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen die Befugnis verliehen, über Vorschriften zum Schutz der Verbraucher oder zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken eine Unterlassungsklage zur Wahrung der durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu erheben.

Solche Vorschriften können nämlich ähnliche Bestimmungen wie die der Datenschutz-Grundverordnung enthalten, insbesondere in Bezug auf die Information der betroffenen Personen über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten. Folglich könne ein Verstoß gegen eine Vorschrift zum Schutz personenbezogener Daten gleichzeitig zu einem Verstoß gegen Vorschriften über den Verbraucherschutz oder unlautere Geschäftspraktiken führen.

Nach Auffassung des Generalanwalts kommt die Wahrung der Kollektivinteressen der Verbraucher durch Verbände dem Ziel der Datenschutz-Grundverordnung, ein hohes Schutzniveau für personenbezogene Daten zu schaffen, besonders entgegen.

1 Beim Aufruf bestimmter Spiele im App-Zentrum am 26. November 2012 wurden dem Benutzer unter dem Button „Sofort spielen“ eine Reihe von Informationen angezeigt. Aus diesen Informationen ergibt sich im Wesentlichen, dass es die Nutzung der betreffenden App der Gesellschaft, die die Spiele zur Verfügung gestellt hatte, ermöglichte, eine Reihe von personenbezogenen Daten zu erhalten, und es ihr gestattete, im Namen des Nutzers bestimmte Informationen, wie etwa seinen Punktestand, zu posten. Mit der Nutzung stimmte der Nutzer den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Anwendung und ihrer Datenschutzpolitik zu. Beim Spiel Scrabble wurde darauf hingewiesen, dass die Anwendung im Namen des Nutzers Statusmeldungen, Fotos und weitere Angaben posten dürfe.

2 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie

3 Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juli 2019, Fashion ID (C-40/17, siehe auch die Pressemitteilung Nr. 99/19).

4 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31).